Ein Altnazi und die deutschen Geheimdienste: Die Geheimakte Klaus Barbie

Der Verfassungsschutz verspricht "Transparenz" bei "der Aufarbeitung der eigenen Geschichte". Doch die Freigabe brisanter Akten verweigert er "aus Sicherheitsgründen".

Klaus Barbie (r.) mit seinem Anwalt während des Prozesses in den 1980ern. Bild: dapd

Der Weg zur Wahrheit über die Nachkriegskarriere des "Schlächters von Lyon" war steinig: Er führte in ausländische Archive, zum Bundeskanzleramt und schließlich ins Archiv des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das Ergebnis dieser Recherchen sorgte im Januar 2011 international für Furore: Klaus Barbie, der wegen der von ihm begangenen Kriegsverbrechen als Gestapochef von Lyon bereits unmittelbar nach Kriegsende auf alliierten Fahndungslisten stand, war zwischen 1947 und 1951 nicht nur Agent des CIC, des Nachrichtendienstes des US-Heeres, sondern er wurde auch vom BND protegiert.

Zwischen Mai und Dezember 1966 nutzte das Amt Barbie als nachrichtendienstliche Verbindung unter dem Decknamen "Adler" in Bolivien, schützte den Mann vor Strafverfolgung und entlohnte ihn mit insgesamt 5.300 DM.

Nun gibt es neue brisante Details zur Nachkriegskarriere des "Schlächters von Lyon" zu berichten - auch diesmal verbunden mit einer seltsamen Form der Vergangenheitsbewältigung bundesdeutscher Behörden. Dieses Mal geht es um den Verfassungsschutz, der sich entgegen wortreichen Grundsatzerklärungen weigert, ganz konkrete Akten für die Forschung freizugeben.

Dahinter stehen zwei zentrale Fragen: Wie weit haben westdeutsche Geheimdienste mit Naziverbrechern kooperiert? Und sind die heutigen Erklärungen über die Offenheit der Dienste für die Forschung mehr als nur Lippenbekenntnisse?

Geboren: 1913, aufgewachsen in Trier, trat 1934, kurz nach seinem Abitur in die SS ein und machte eine steile Nazi-Karriere. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen ging Barbie als Chef der Gestapo im französischen Lyon mit unglaublicher Grausamkeit gegen politische Gegner vor. Im zweiten Stock des Hotels Terminus ließ er auch Kinder, Frauen und Priester foltern. Zahlreiche Verbrechen wurden ihm zur Last gelegt, darunter der Foltertod des Résistance-Führers Jean Moulin, das Massaker in Saint-Genis-Laval und die Verantwortung der Deportation der jüdischen Kinder von Izieu.

In Frankreich wurde Barbie in den 50er Jahren mehrfach in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Doch zu diesem Zeitpunkt war der "Schlächter von Lyon" längst in Südamerika, wo er als Folterberater und Waffenhändler Militärdiktaturen unterstütze.

1983 wurde Barbie an Frankreich ausgeliefert, vier Jahre später wurde er verurteilt: zu "lebenslänglich" wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Barbie starb 1991 im Gefängnis an Krebs.

Transparenz als wichtiges Anliegen

Seit November 2011 untersuchen Constantin Goschler und Michael Wala vom Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum die Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der Jahre 1950 bis 1975. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf den NS-Belastungen früherer Mitarbeiter.

Dass der deutsche Inlandsnachrichtendienst "die transparente und wissenschaftlich seriöse Aufarbeitung der eigenen Geschichte" dabei als "wichtiges Anliegen" - so die Pressemitteilung vom 28. September 2011 - betrachtet , wurde von Seiten der Behörde in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt öffentlich proklamiert.

Es scheint, als böte die öffentliche Diskussion um NS-Kontinuitäten deutscher Sicherheitsbehörden vielversprechende Forschungsperspektiven. Doch diese Annahme täuscht: Restriktionen, mit denen sich die Historiker bei ihrer Arbeit konfrontiert sehen müssen, stehen dem eigenen Anspruch einer transparenten Forschung entgegen.

Historiker unterliegen der "erweiterten Sicherheitsüberprüfung"

So müssen sich die Bochumer Forscher bei der Aufarbeitung der Geschichte des BfV zunächst einer "erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen" gemäß § 10, 12 Sicherheitsüberwachungsgesetz unterziehen. Dazu gehört die Befragung von Referenzpersonen ("Bürgen") durch den Verfassungsschutz. Dabei interessiert sich der Geheimdienst nicht nur für Familienstand, Geschwister und Freunde, sondern auch für die Finanzsituation naher Angehöriger, für Freizeitgestaltung und Auslandsreisen der Wissenschaftler.

Hinter dieser Praxis steht unausgesprochen die Auffassung, dass die immerhin mit Verfassungsrang ausgestattete freie Wissenschaft ein Sicherheitsrisiko darstellt.

Die Erfahrungen, die der Autor dieses Artikels im Rahmen seiner Recherchen zu seinem Promotionsvorhaben an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz machen musste, zeigen ganz konkrete Restriktionen durch das BfV. Der Autor beschäftigt sich in seiner Dissertation mit der Nachkriegskarriere des "Schlächters von Lyon", im Speziellen mit der Protektion Barbies durch westliche Nachrichtendienste.

Ein Altnazi baut neofaschistische Strukturen auf

Auf Basis vorliegenden Aktenmaterials aus ausländischen Archiven ist bereits jetzt gesichert, dass der ehemalige SS-Hauptsturmführer bis 1980 unter dem Namen "Klaus Altmann" wiederholt in der Bundesrepublik operierte, neofaschistische Strukturen aufbaute und internationale Waffengeschäfte abwickelte. Auch Barbies Sohn, Klaus Georg Altmann, der ihn in geschäftlichen Angelegenheiten häufiger in Deutschland vertrat, war in die Geschäfte seines Vaters eingebunden.

Von Hamburg aus steuerte er die von Altmann senior initiierten Waffendeals auf dem europäischen und dem amerikanischen Kontinent. Die Dokumente anderer Geheimdienste legen die Vermutung nahe, dass "Klaus Altmann" bei seinen Reisen in die BRD vom Verfassungsschutz direkt oder indirekt geschützt worden war.

Bereits im September 2011 wandte sich der Autor an das Bundesamt für Verfassungsschutz, bat um die Einsicht in Aktenmaterial betreffend Klaus Barbie und erhielt zunächst die ernüchternde Mitteilung, dass aufgrund der "hohen Anzahl von Verschlusssachen" verschiedener Nachrichtengeber in den Akten sowie aufgrund des "hohen personellen Aufwandes" keine Einzelprüfung erfolgen könne. Ein gesetzlicher Anspruch auf Akteneinsicht gegenüber dem BfV nach dem Informationsfreiheitsgesetz bestehe nicht.

Die Grenzen der Transparenz

Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich: Die "Transparenz" stößt an Grenzen. Es stellt sich die Frage, wie sich das BfV die Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte vorstellt, wenn bereits die Deklassifizierung einer einzelnen Akte das Amt vor derartige Probleme stellt.

Diese Frage schien auch das Amt beschäftigt zu haben: Auf Basis einer weiteren Intervention ließ sich der Nachrichtendienst Mitte Oktober 2011 dazu bewegen, doch eine entsprechende Einzelprüfung durchzuführen. Das Ergebnis: "Anlässlich Ihrer erneuten Anfrage wurde eine überschlägige Sachverhaltsprüfung zum relevanten Aktenbestand vorgenommen. Im Ergebnis dieser Prüfung ist eine Offenlegung der - tatsächlich im BfV vorhandenen und grundsätzlich für eine Abgabe an das Bundesarchiv vorgesehenen - Gesamtakte zu Barbie in absehbarer Zeit aus Sicherheitsgründen leider nicht möglich."

Halten wir fest: Der Verfassungsschutz, dem "die transparente Aufarbeitung" der eigenen Geschichte nach eigenen Angaben ein "besonderes Anliegen" ist, verweigert aus nicht näher definierten "Sicherheitsgründen" die Freigabe der im eigenen Archiv definitiv vorhandenen Akte über den "Schlächter von Lyon", Klaus Barbie.

Was will der Verfassungsschutz verbergen?

Wer sich mit der Geheimdienstforschung auseinandersetzt, weiß die Antwort auf die Frage, welche "Sicherheitsgründe" das sein könnten: 1. Der Schutz von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen befreundeter Nachrichtendienste. 2. Der Schutz von Persönlichkeitsrechten Dritter. Und 3. Die Preisgabe von Informationen, die dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik auch heute noch schaden könnten.

Mit Blick auf den ersten Punkt bleibt unerklärlich, welcher Nachrichtendienst einer Öffnung der Barbie-Akte mit Bangen entgegenblicken würde: Der französische, der Barbie bereits seit Mitte der 1960er Jahre in Südamerika observierte und darum bemüht war, den "Schlächter" auf die Anklagebank zu bringen? Der US-amerikanische oder der britische, die beide sämtliches Aktenmaterial zu Barbie in die jeweiligen Nationalarchive überführt haben? Oder doch einzig und allein das Bundesamt für Verfassungsschutz, das in Anbetracht der Affäre um sein Versagen bei der Aufklärung der neonazistischen Mordserie in jüngster Zeit einen weiteren enormen Imageschaden fürchten muss?

Zu den Persönlichkeitsrechten: Leider blieb der Hinweis des Autors, dass auch eine Akte, in der Namen Dritter geschwärzt würden, für das Forschungsvorhaben wertvoll sei, unbeantwortet. Bleibt ein möglicher Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung: Da erhebt sich die Frage, welche "Leichen" im Keller der "Schützer unserer Verfassung" denn noch liegen mögen - Leichen, die nicht wegen der inzwischen wohlfeilen Bekenntnisse zu NS-Kontinuitäten unter Verschluss gehalten werden, sondern wegen der Rolle des BfV in der Adenauer-Republik.

Diese Vermutung liegt auch deshalb nahe, weil das Bundesministerium des Innern, Dienstherr des BfV, bisher sämtliche Anfragen ignoriert hat. Die Freigabe der BfV-Akte Barbie wäre ein deutliches Zeichen, dass Verfassungsschutz und Innenministerium es mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte auch tatsächlich ernst meinen.

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