Ein Dorf am Scheideweg: „Die Gefahr ist real. Sie ist da.”

Leere Räume, keine Infrastruktur: taz.meinland diskutiert in Dersau über die Zukunft des Dorfes.

Ein geschlossenes Restaurant in Dersau. Was ist noch zu retten? Bild: Ann-Kathrin Liedtke

von LAILA OUDRAY

„Dersau lebt!”, ruft ein Mann in den Raum, bevor er das Hotel Leibers verlässt. Es ist das letzte Hotel und Restaurant im Dorf. Hier findet die taz.meinland-Veranstaltung statt: „Wenn ein Dorf stirbt”. Gemeinsam mit Bürgermeister Holger Beiroth, Gerd Reis (Projektgruppe Zukunft), Susanne Elbert (Beisitzerin Grüne, Kreisvorstand Plön) und Gerd Ebsen (VR Bank Ostholstein Nord), diskutierte die taz über die Zukunft des Ortes. Das schien notwendig.

Wenige hundert Meter neben dem Veranstaltungsort steht ein leerstehendes Gebäude: der Gasthof Appels. Dieses Restaurant wurde erst vor einem halben Jahr dicht gemacht. Ab April schließt auch die letzte Bank im Ort, der kleine Lebensmittelladen kämpft ums Überleben. Bäckereien, Fleischerei und die Schule im Ort in Schleswig-Holstein gibt es schon seit ein paar Jahren nicht mehr.

Busse fahren selten

Um die grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, müssen die Menschen in den Nachbarort Ascheberg fahren, wo sie Ärzte oder Lebensmittelläden finden. Doch Busse fahren vor allem am Wochenende selten. Die Menschen sind auf das Auto angewiesen, was vor allem für die Senioren des Ortes ein Problem darstellt.

Trotz dieser Probleme sind sich sowohl die geladenen Gäste, als auch die 40 Zuhörer einig: Der Titel "Wenn ein Dorf stirbt" trifft nicht auf Dersau zu. Der Bürgermeister fasst zusammen: "Dersau stirbt nicht, sondern evaluiert sich!" Tatsächlich scheint Dersau dem gängigen Klischee eines sterbenden Dorfes nicht zu entsprechen.

Alles gut in Dersau?

Noch nie haben so viele Menschen in Dersau gelebt wie jetzt, vor allem junge Familien ziehen neu hinzu, vor einigen Jahren eröffnete ein Kindergarten neu und in 2015 um eine weitere U-3-Gruppe erwartet. Die Anwesenden zählen die verschiedenen kulturellen Veranstaltungen auf, die in Dersau stattfinden: Lesetag, Picknick, Vernissage. Silke Korbmacher vom Vorstand des Sportvereins verweist auf die vielen Sportangebote im Ort: Zumba, Tischtennis und vieles mehr. Also doch alles halb so wild in Dersau?

Ein Mitarbeiter der Aktivregion warnt vor zu viel Optimismus: „Die Gefahr ist real. Sie ist da.” Die Leerstände ließen sich nicht ignorieren. Schon zum 1. April schließt die Bankfiliale. Gerd Ebsen hat die Entscheidung zur Filialschließung eng begleitet. Vor allem wirtschaftliche Gründe hätten diesen Schritt nötig gemacht, erklärt Ebsen.

Keine leeren Räume

Damit gibt es ab nächsten Monat einen weiteren leeren Raum in Dersau, doch die Runde scheint entschlossen, ihn nicht leer zu lassen. Eine Diskussion über die Nutzungsmöglichkeiten entbrennt. Ein Café? Ein Treffpunkt? Ein Lebensmittelladen?

An dieser Diskussion beteiligen sich auch Menschen umliegender Orte. Sie teilen das gleiche Problem: auch in ihren Dörfern bricht die Infrastruktur weg. Sie nutzen diesen Abend zur Vernetzung und erzählen von ihren Erfahrungen. Ein Mann aus Kirckbarkau erläutert, wie in seinem Ort ein Markttreff durch eine Bürgerinitiative entstand.

Vor einem Jahr sei der letzte Lebensmittelladen geschlossen worden, sodass die Bürger einen Markttreff eröffnet hätten. Dort verkaufen Ehrenamtliche die Lebensmittel. Ein Mann aus Grebin erzählt, wie Freiwillige in seinem Ort ein Festival organisieren. Er bietet an, dieses auch in Dersau stattfinden zu lassen

Das Ehrenamt rettet den Ort – doch wie lange noch?

An diesem Abend wird deutlich: Die Engagierten sind zur Veranstaltung gekommen. Dass das Ehrenamt überlebenswichtig für Dersau ist, weiß auch Holger Beiroth: „Wenn die Ehrenamtlichen aufhören würden, wäre Dersau wirklich tot”. Die Freiwilligen lindern die gröbste Not, wie beispielsweise die Projektgruppe Zukunft, der Herr Reis vorsteht. Wegen des Mobilitätsproblems haben sie sich eine besondere Lösung einfallen lassen: Es gibt eine rote Bank im Ort, auf die sich jene setzen können, die nach Ascheberg gefahren werden wollen. Autofahrer, die die Menschen auf der Bank sehen, können sie einfach mitnehmen.

Der Haken: Die Ehrenamtlichen leiden unter einem Nachwuchsproblem. Gerd Reis erzählt, dass gerade mal neun aktive Mitglieder in seiner Gruppe sind. Die jungen Familien, die in den Ort ziehen, haben wenig Zeit, sich zu engagieren. Eine Frau erzählt, dass sie sich erst engagieren konnte, als ihre Kinder älter waren. Auch an diesem Abend ist sie später dazugestoßen, da sie noch in Kiel gearbeitet hat. Fehlt den Familien also Zeit - oder doch mehr?

Es fehlt eine Begegnungsstätte

Eine Teilnehmerin meint: „Weil es keine Begegnungsstätte gibt, fehlt auch der Kontakt zu den jungen Familien”. Ein junger Vater erzählt, dass er vor dem Umzug nach Dersau gar nicht wusste, was es vor Ort gibt: „Die Mindestanforderung für uns war der Kindergarten und damals noch die Schule.”

Susanne Elbert (Grüne) macht darauf aufmerksam, dass sich Dersau besser präsentieren müsse, um attraktiver zu werden. Auch sie wusste vorher wenig über die Strukturen in Dersau und hatte sich auf dem Weg zur Veranstaltung gar verfahren. Vielleicht müsse die Gemeinde offensiver mit ihren Angeboten werben, um Menschen anzuziehen. Die von Holger Beiroth angeführte Homepage reicht vielleicht nicht aus ...

An die eigene Nase fassen

Zwei Stunden diskutieren die Menschen leidenschaftlich. Moderator David Joram muss nur wenige Impulse geben. Das Mikrofon wird fleißig herumgereicht, es werden Ideen geteilt und auch hinterfragt, wer an der gegenwärtigen Situation Schuld hat. Holger Beiroth meint: „Wir müssen uns alle an die eigene Nase fassen. Wenn wir nicht vor Ort einkaufen, müssen wir uns nicht wundern, wenn das Angebot wegbricht.”

Es solle mehr vor Ort produziert werden, man müsse Arbeitsplätze durch regionale Landwirtschaft schaffen. Vor allem müsse man sich entscheiden, in welche Richtung sich Dersau entwickeln soll. Ein Schlafdorf? Oder besser eines mit funktionierenden Strukturen? Erste Vorschläge gibt es bereits: Zwei Frauen wollen einen Kochabend für Kinder initiieren. Dersau stirbt? Weit gefehlt!