Ein Essay über das Ende der Welt: Mülltrennung gegen die Apokalypse

Früher wurde die Apokalypse ersehnt, da sie mit messianischer Heilserwartung oder gar Revolution verknüpft war. Heute ist es revolutionär, das Weltende aufzuhalten.

Aktuell eher unbeliebt: Die Vorstellung vom Weltuntergang. Bild: imago

Was haben Fukushima, der Euro, die Finanzkrise und die globale Erwärmung gemeinsam? Die Vorstellung, eine aus den Fugen geratene Welt rase ihrem Ende entgegen.

Was man als multiple Krisen verstehen könnte, wird immer öfter, immer nachdrücklicher als Endzeitszenarien verstanden. Ob sich der Untergang über die Ökonomie, über die Umwelt oder über die Politik Bahn bricht, ist dabei zunehmend gleichgültig. Welchen Ausgangspunkt man auch wählt – alle Wege führen in die Apokalypse.

Nun ist diese Endzeitstimmung keineswegs neu. Die apokalyptische Erwartung ist vielmehr etwas, das zuverlässig immer wiederkehrt – zuverlässiger als der Weltuntergang selbst. Was aber macht diese Vorstellung vom Weltende mit uns? Wie wirkt sie auf unser Gemüt – lähmt oder beflügelt sie?

Natürlich ist die Frage tendenziös. Wer spricht schon von Lähmung – sicher nicht jene, die sich der apokalyptischen Stimmung willig hingeben. Die Frage kann also eine leichte Genervtheit nicht verbergen. Wer sie jedoch neutral stellt, dem fällt vielleicht sofort ein, dass – zu Zeiten, als die Apokalypse noch keine Spielmarke war, sondern ein theologischer Begriff – genau diese Frage Ausgangspunkt heftiger Kontroversen war. Etwa in den Diskussionen zum Messianismus.

Da ging es um die Fragen, ob die apokalyptische Erwartung eine Lähmung des Willens bedeutet oder ob sie – ganz im Gegenteil – eine dezisionistische Entschlossenheit fördert. Anders gesagt: Soll man die Hände in den Schoß legen und auf den Messias warten oder soll man sein Kommen aktiv beschleunigen?

Der revolutionäre Messianismus

Die zweite Position, die vom Beschleunigen der Apokalypse, bedeutet einen Sprung in die Geschichte. In der soll sich die Zukunftsvision, die Prophetie verwirklichen. Deshalb befördert die aktive Weltpartizipation die Erlösung. Das ist übrigens auch das Konzept der Revolution, des revolutionären Messianismus: Man nimmt die Apokalypse in Kauf, weil sich dadurch die Heilserwartung realisiert. In dieser Perspektive ist die Apokalypse gleichbedeutend mit dem Ende der Unrechtsgeschichte. Und so verstanden beflügelt die Vorstellung vom Weltenende und drängt zum Handeln.

Jahrgang 1959, ist freie Publizistin in Deutschland und Österreich. An der Universität Wien hat sie einen Lehrauftrag am Philosophischen Institut. Auf dem tazlab spricht sie mit Pascal Bruckner über den Fanatismus der Apokalypse.

Die andere Lesart des Messianismus sieht in ihm das genaue Gegenteil: den Ausstieg aus der Geschichte. In dieser Perspektive heißt Messianismus dann warten, warten auf das Ende, das ohne unser Zutun, jenseits der Historie also, kommen wird. Das verwandelt die Gegenwart aber ganz entscheidend. Es macht aus ihr, es macht aus der geschichtlichen Zeit, eine „Frist“, so der Religionssoziologe Jacob Taubes. Es reduziert das Dasein auf ein Leben vor der Zeitenwende.

Die aus den Fugen geratene Welt kreist zwar noch, aber wir leben darin nur noch ein Leben im Aufschub: Wir harren aus in einer als Provisorium empfundenen Welt. Dadurch wird aber die Gegenwart – alles, was stattfindet ebenso wie alles Handeln – völlig entwertet. Und das erzeugt eine Lähmung: Man hält stand in Erwartung des Endes, ein „im Warten gelebtes Leben“, heißt es bei Taubes, eine „Stimmung des steten Harrens“ hat es Max Weber genannt.

Die theologische Lektion zeigt deutlich: Ohne revolutionäre Hoffnung, ohne Glauben an Erlösung bleibt nur diese Katastrophenstimmung und das ist eine katastrophale Stimmung: eine ungute Mischung von Paranoia und Angstlust.

Die Hoffnungserzählungen sind erschöpft

Heute ist genau diese Situation eingetreten: Die Hoffnungserzählungen sind erschöpft. Alle Verheißungen, für die es sich „lohnen“ würde, den Preis des Untergangs in Kauf zu nehmen, sind verbraucht. Die großen Erzählungen der Freiheit und der Emanzipation haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Nach Verlust der Heilserwartungen bleiben nur Unheilserwartungen zurück.

Wenn in so einer Situation apokalyptische Stimmungen aufkommen, wenn innerweltliche Veränderungen sich nur mehr in Metaphern des Weltuntergangs darstellen, dann erzeugt das einen Ekel vor allem Gegenwärtigen und führt zu einem weltflüchtigen Passivismus. Im Angesicht des Untergangs wird alles, was man dann tun könnte, klein – zu klein und zu unbedeutend.

Da ist nicht das Nahen der Apokalypse, da ist nur die Atmosphäre des Apokalyptischen, eine Atmosphäre, die sich selbst befeuert, indem sie alles zum Anlass nimmt, um sich zu bestätigen. Jede Katastrophenmeldung bestärkt sie, jede Schreckensnachricht wird zum Beleg. Klimawandel. Tsunami. Atombomben. Heuschrecken. Angsterzählungen aller Art fallen hier auf fruchtbaren Boden.

Aber: Es gibt noch Erzählungen, die die Menschen ergreifen, die ihnen Sinn verleihen, auch wenn es keine Hoffnungserzählungen sind, die heute noch vollste Überzeugungskraft haben, sondern solche von der drohenden Katastrophe, vom möglichen Untergang. Offen jedoch ist, ob diese Angsterzählungen einen Realitätsindex haben, ob sie einen Hinweis auf eine apokalyptische Realität haben. Oder funktionieren Angsterzählungen wie Fetische, wie Objekte, die die Einsicht in die Wirklichkeit abwehren, Objekte, die es uns erlauben, uns in unserer Paranoia einzurichten?

Aufklärung ist auch keine Lösung

Für die Wirksamkeit der Erzählung ist es unerheblich, ob sie von einem realen oder von einem imaginierten Untergang ausgeht. Wer an eine Erzählung glaubt, der glaubt auch unerschütterlich an deren Realitätsgehalt. Argumentativ gibt es da keinen Ausgang. Aufklärung ist kein Weg aus der apokalyptischen Atmosphäre.

Und doch sollte man auch bei der Darstellung der apokalyptischen Stimmung nicht selbst in eine solche abgleiten: Es ist nicht alles trost- und hoffnungslos, es ist nicht alles Apokalypse. Das ist jetzt nicht bloße Beschwörung oder Selbsthypnose. Denn zumindest einem dieser Untergangsszenarien ist es gelungen, einen Ausweg aus der Sackgasse der eigenen Erzählung zu finden. Nicht durch rationale Aufklärung, die da lauten würde: Es gibt Probleme, aber keine Apokalypse, und Probleme lassen sich lösen. Nein, die Ausräumung der apokalyptischen Stimmung in diesem Feld gelingt, indem hier selbst eine theologische Figur der apokalyptischen Erzählung aktiviert wird: die Figur des Aufhalters, der es gelingt, den drohenden Weltuntergang zu verzögern.

Ich meine damit nicht irgendeinen Guru oder Führer, der verspricht, sich heroisch gegen das Ende zu stemmen. Wir leben in einer Zeit, in der selbst die Verheißungen erfreulich postheroisch sind. Ich meine vielmehr das Narrativ vom Aufhalter der ökologischen Katastrophe: Dieser Aufhalter sind wir alle. Jeder Einzelne.

Wir alle sind dazu aufgerufen, am Aufhalten dieses Untergangs teilzunehmen. Wir alle sind befähigt, dieses Ende abzuwenden. Wir alle können uns dagegen stemmen: Mülltrennung gegen die Apokalypse. Das ist nicht nur eine Demokratisierung der religiösen oder der potenziell totalitären Figur des einzelnen Aufhalters, der das ganz im Alleingang schaffen soll, es ist zugleich auch ein Ausweg aus dem Passivismus der Weltflucht, ein Ausweg aus der apokalyptischen Lähmung.

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