Ein Film von Doris Dörrie: Leben ist möglich

Der Kinofilm „Grüße aus Fukushima” handelt von der tröstlichen Freundschaft zweier Frauen vor dem Hintergrund einer gigantischen Umweltkatastrophe.

Marie hilft Satomi, ihr zerstörtes Haus in der Sperrzone Fukushimas wieder bewohnbar zu machen. Bild: Mathias Bothor / Majestic

Was wäre, wenn ich alles verlöre. – Für Marie (Rosalie Thomass), die Protagonistin in Doris Dörries Film „Grüße aus Fukushima”, die diesen Satz vor sich hinflüstert, ist der Konjunktiv eigentlich schon passé. Sie hat mit dem besten Freund ihres Bräutigams geschlafen. Gesagt hat sie das dem Liebsten am Tag der Hochzeit, aus der dann nicht viel wird. Dann brauche ich auch mein Leben nicht mehr, denkt sie. Bald hängt Marie mit dem Strick um den Hals am Baum, im Hochzeitskleid. Die junge Frau wird gerettet, klar.

Die Eingangsfrage, was ist, wenn alles nichts ist, überdauert aber den Filmbeginn. Denn es wird um Leute gehen, bei denen ist nicht nur der künftige Ehemann abgehauen. Da ist die ganze Familie tot. „Grüße aus Fukushima” spielt am Rande und auch in der verbotenen Zone jenes japanischen Atomkraftwerks, das am 11. März 2011 von einem Tsunami überschwemmt wurde.

Grüße aus Fukushima D 2016

Regie: Doris Dörrie

Darstellerinnen: Kaori Momoi, Rosalie Thomass

Der Kinostart war am 10.03.2016

Die gesamte Region wurde bis weit ins Inland überflutet, es starben rund neunzehntausend Menschen. Im Kraftwerk kam es zur Kernschmelze, Radioaktivität wurde in hohem Maße freigesetzt, viele Tausende mussten evakuiert werden – es war der schwerste Atomunfall seit der Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Rund acht Prozent der Fläche Japans sind verseucht. Derzeit leben noch viele ältere Geschädigte in Notunterkünften am Rande des Geschehens, sie wollen ihre Heimat nicht verlassen. Die Jüngeren haben schon alle das Weite gesucht.

An diesen Ort verschlägt es die liebesgeschädigte Marie. Die hat einen krassen Tapetenwechsel vollzogen, sich der Organisation „Clowns ohne Grenzen“ angeschlossen und soll nun die Flutopfer bespaßen – ein hoffnungsloses Unterfangen. Sie kann nichts mit den Menschen anfangen und umgekehrt. „Ich bin ein dummes, arrogantes Scheißmädchen aus Deutschland“ , erklärt sie den verständnislosen Japanern. Bis klar wird, dass die dort auch nichts mehr zu suchen haben.

Satomi (Kaori Momoi) hat die Nase voll von provisorischen Hütten. Sie überredet die Deutsche, gemeinsam im verstrahlten Areal ihr Wohnhaus wieder aufzubauen. „Ist gar nicht so schlimm“, sagt sie, als der Geigerzähler vor sich hinknattert. Wie sich herausstellt, ist Satomi die letzte Geisha Fukushimas. Sie wird Marie in der geheimnisvollen Kunst der japanischen Gesellschafterin unterrichten. Die Dynamik dieses Films speist sich aus den sehr unterschiedlichen biografischen Hintergründen der beiden Frauen. Hier Jogginghose und große Klappe, bei der Japanerin Disziplin und Ordnungswillen.

Gemeinsam räumen sie das zerstörte Haus auf, praktizieren Teerituale und veranstalten auch schon mal eine Sakeorgie. Der Culture Clash wird mit viel Liebe zum Detail zelebriert. Dabei wirkt alles so leicht, denn Dörrie lässt ihre Schauspielerinnen machen, was sie können. Dörrie hat in Schwarz-Weiß gedreht, die Kamera verzeichnet die Auswirkungen der Katastrophe fast wie beiläufig. „Was ist denn in den Säcken?“, fragt Marie einmal, während sie an dicken schwarzen Paketen vorbeifahren, die bis an den Horizont und darüber hinaus gelagert sind. „Das ist Erde“, sagt man ihr. Den ersten Meter Boden dieser Landschaft habe man abgetragen, weil er vergiftet sei. Wie lange die Behälter denn da stehen müssten, fragt die junge Deutsche. „Für immer.“

Abseits der Oberfläche bekommt die Beziehung etwas Spirituelles: Nachts sitzen die Geister der Ertrunkenen in den Bäumen, schleichen umher. Mit dem Tod kennt sich die Geisha aus, sie hat im entscheidenden Moment falsch reagiert, konnte ihre letzte Schülerin nicht retten. „Vermissen ist, wie mit Geistern leben”, sagt Marie, die den Tod schon am Hals hatte. Marie bringt der Japanerin durch ihre burschikose Art das Lachen wieder bei. Kleine Scherze und Missverständnisse lassen Sakomi wieder hoffnungsfroh ins Leben blicken.

Es ist eine Katastrophe mit dieser Katastrophe – aber das Leben ist mit dem Tod nicht unbedingt vorbei, das sollen wir mitnehmen. Das ist die Botschaft in dieser schönen, dichten Geschichte.

JÜRGEN KIONTKE ist freier (Film-)Autor

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