Ein Sommer mit Vespa: Nie wieder Nahverkehr

Es regnet, der Bus kommt nicht, Menschen drängen in die U-Bahn. Dann wird plötzlich alles gut. Mit einem Motorroller. Die Geschichte einer Kaufentscheidung.

Die Vespa! Warum denken wir bei ihr nur an Eisdielen, Wind und Frauen in roten Kleidern? Bild: maxsz / photocase.com

BERLIN taz | Ich will eine Vespa, eine schwarze, um fast jeden Preis. Das hat mit meiner Kindheit zu tun, mit meiner späten Kindheit. Ich könnte sogar sagen: Mein Papa ist schuld.

Als ich sechzehn war und der Sommer kam, als die Freibäder öffneten, da stand ich in meinem Dorf an einer Bushaltestelle und wartete. Ich wollte in die Stadt, in den Sommer. In diesem Moment, das wusste ich, fuhren meine Freunde mit Motorrollern durch die Straßen. Sie hatten einen zweiten Helm dabei und meistens stieg hinten jemand auf.

Ich durfte nicht Roller fahren, mein Papa verbot es mir, er hatte es auch meinen Brüdern verboten. Er ist Arzt. Wenn wir fragten, warum, dann erzählte er von schlimmen Unfällen, die er gesehen hatte: junge Kerle mit ihren Rollern. Ich sollte also ein ungefährliches Leben führen. Das Warten an Bushaltestellen in einem Dorf in Schwaben war ein großer Teil davon. Ich habe das unversehrt überstanden, zumindest körperlich.

Fast zehn Jahre später, es ist wieder Sommer, warte ich in Berlin an Haltestellen, noch 25 Minuten, noch 11 Minuten, wegen Bauarbeiten verkehrt dieser Zug nur bis da und dorthin, bitte haben Sie Verständnis, steige unterirdisch um, die dicke Luft, die vielen Menschen, Pendelverkehr, Ersatzbusse. Der Fahrplan als einzige Ausnahme. Wenn ich in den Himmel schaue, der auch in diesem Sommer manchmal blau ist, frage ich mich, warum ich noch immer keine Vespa habe.

Der August soll heiß werden. Der September lau. Der Oktober mild. Und auch der November wird außergewöhnlich gut. Vor Kurzem habe ich meinem Vater gesagt, dass ich einen Roller kaufen will. Er erzählte mir von einem günstigen Angebot: ein Elektroroller der Stadtwerke Nürtingen, für nicht mal tausend Euro. Könne man zu Hause an der Steckdose laden, das sei doch praktisch. „Guck doch mal im Internet“, sagte er.

Nachdem er es geschafft hatte, seinen Sohn zu schützen, ging er jetzt dazu über, die Umwelt zu retten. „Ja“, sagte ich. „Ich guck mal.“

Ehrlicherweise hätte ich sagen müssen: Eher werde ich mich auf Lebenszeit verschulden, als ein Elektroroller der Stadtwerke Nürtingen zu fahren.

Ein Deutscher träumt sich über die Alpen

Ich dachte an Italien, später Abend in Ferrara, das Knattern von Zweitaktern. Ich dachte an junge Kerle, die über ihren Lenker lehnen, das gelbe Licht von Straßenlaternen. An Eisdielen. An Frauen in roten Kleidern. An Wind und schwarze Locken. Ich fragte mich, wie dieser Werbefilm in meinen Kopf gekommen ist und ob ich mich schämen muss für diese Bilder: Ein Deutscher träumt sich über die Alpen.

Ein Wochenende darauf besuchte mich ein Freund, Nico. Wir standen auf einem Parkplatz im Osten der Stadt, Berlins größter Rollerhandel. „Ich will eine Vespa“, sagte ich. „Da biste hier richtig“, sagte der Verkäufer und führte uns in den Laden.

Vom ersten Moment an war er das Gegenteil meines Vaters, wenn es um die Beantwortung der Frage ging, ob ein Mensch einen Motorroller braucht. Das gefiel mir. Für jeden Grund, der dagegen sprechen könnte, fand er ein stärkeres Argument dafür. „Was, wenn mir die Vespa geklaut wird?“, fragte ich. „Unwahrscheinlich“, sagte der Verkäufer. „Die Jugend von heute will Sportroller.“ Aber, ich bin sehr groß, pass’ ich überhaupt auf eine Vespa? „Klar“, sagte der Verkäufer. Er zeigte auf ein Modell in Schwarz. „Die LX 50, da saßen schon Zweimetermänner drauf.“

„Okay, kauf’ ich“

Ich setzte mich auf den Roller, die Hände an den Lenker, schwarz vulcano, Zweitakter. Ich stellte mir vor, wie ich auf den Fernsehturm zufahre, Karl-Marx-Allee, im Kreisel um den Strausberger Platz. „Okay, kauf’ ich“, sagte ich.

Nico lächelte, der Verkäufer führte uns an einen Schreibtisch. Dort saß ein tätowierter Mann mit sehr kurzen Haaren. Ich hatte mich tatsächlich entschlossen, eine Vespa auf Raten zu kaufen. Der Tätowierte begann auf seiner Tastatur zu tippen: Kaufpreis, Nettokreditbetrag, Bearbeitungsentgelt. „Bei einer Laufzeit von zwanzig Monaten macht das eine Rate von 149,55 Euro im Monat“, sagte er. Nico guckte mich an. „Willst du das wirklich machen?“ Wir verließen den Laden, ohne Vespa, und gingen zum nächsten Rollerverleih.

Wir mieteten zwei LX 50 und fuhren nach Osten. An jeder Ampel rollten wir bis vorne, ließen den Motor warm laufen, bis es Grün wurde. Die Karl-Marx-Allee, hinter uns der Fernsehturm. Ich sah Fußgänger, Fahrradfahrer, Haltestellen. Die Wolken schoben sich über die Stadt und ich fragte mich, ob es etwas Besseres geben kann. Mir fiel nur eins ein: Das Gleiche zu tun, mit einem Roller, der mir gehört. Abends, als Nico weg war, machte ich meinen Rechner an. Ich bestellte eine Pizza. Und einen Motorroller. Vespa LX 50. Zwanzig Raten à 139,53 Euro.

Zwei Tage später saß ich wieder im Osten der Stadt, Berlins größter Rollerhandel, am Schreibtisch des Tätowierten. Man hatte meine Bestellung an ihn weitergeleitet. Wir duzten uns und er stellte Fragen nach meinem Arbeitgeber, Familienstand, meinem Nettoeinkommen. Das sei ihm unangenehm, er müsse das fragen. Ich guckte raus auf die Straße und nickte. Mein Weg über die Alpen: ein detaillierter Tilgungsplan, fünf Unterschriften, Einweisung ins Fahrzeug.

Ich drehe den Schlüssel, ziehe mit der linken Hand an der Bremse, drücke mit dem Daumen der rechten auf den Starterknopf, ein bisschen Gas. Ich fahre nachts durch die Stadt, die Lichter spiegeln im schwarzen Lack. Ich stelle die Vespa vor mein Fenster. Nie wieder Nahverkehr.

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