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Ein Tanzstück zum AbschiedAm Ende tanzen die Skelette

Constanza Macras und ihr Ensemble Dorky Park nehmen Abschied von der Volksbühne. „Goodbye Berlin“ spielt im Berlin der 1930er Jahre und der Gegenwart.

Bis zur Erschöpfung wird manche Szene gedehnt in „Goodbye Berlin“ von Constanza Macras Foto: Thomas Aurin

Goodbye Volksbühne. Constanza Macras und ihr Ensemble Dorky Park sind nächste Spielzeit – unter der Intendanz von Matthias Lilienthal – nicht mehr mit von der Partie. Sechs Jahre lang hat die Choreografin das Haus mitgeprägt und bringt gerade jetzt „Goodbye Berlin“ auf die Bühne des Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz. Christopher Isherwoods (fast) gleichnamiger autobiografischer Roman ist ihr Reiseführer, mit dem sie in die Tiefen des 20. Jahrhunderts eintaucht und vor dieser Folie die Gegenwart kommentiert.

Zeitsprünge zwischen dem Berlin der 1930er Jahre und dem von heute finden nonstop statt. So resümiert die Tänzerin Steph Beavers Quinci: „Fräulein Schröder hatte sich damals angepasst, so wie sich Tausende angepasst haben. Und es ist doch so, egal welche Regierung hier regiert, so sind wir doch verdammt, in dieser Stadt zu leben.“ Und fragt dann: „Wie weit würdest du gehen, und welche Werte würdest du verraten, um zu überleben?“

Scheinbar en passant wirft Quinci diese Frage aller Fragen in den Raum, dann schreit ihr Kollege Campbell Caspary „Staying alive“ und das weltberühmte Lied der Bee Gees flutet die Volksbühne. Von beiden Seitenbühnen stürmen die TänzerInnen von Dorky Park heran. In Millisekunden entsteht ein intensives Kraftfeld von Körpern, die sich miteinander und doch individuell bewegen.

Isherwoods Berlin

Isherwood kam 1928 nach Berlin und verließ die Stadt, als sich die politischen Verhältnisse radikal änderten. Macras lässt Quinci und Fernanda Farah über Isherwoods VermieterInnen Fräulein Schröder und Familie Nowak reflektieren. Mit wenigen Strichen gelingt ihr so ein Bild vom Zustand der damaligen Mehrheitsgesellschaft.

Was Macras an Texten nutzt, ist analytisch-informativ, wenn es um die Vergangenheit geht, (selbst-)ironisch, wenn es um die Beschreibung der Berliner Clubkultur-Blase geht, und macht fassungslos, wenn es um die politische Gegenwart geht: „Heute steht in einer Garage in Thüringen der Mercedes von Hermann Göring. Warum existiert dieses Auto überhaupt noch? Wer hat das Geld, dieses Auto zu reparieren? Dieses Auto hat nie aufgehört zu fahren und kommt jetzt an seinem nächsten Ziel an.“

Immer wieder liegt über der Bühne ein bedrohlicher Klangteppich. In die harten kalten Beats, die im Gegensatz zur Schnelligkeit der Bühnenhandlung gefühlt ewig dröhnen, mischt sich irgendwann ein hoher Klavierton. Seine Wiederholung erscheint wie ein in die Katastrophe führender Countdown.

Man blickt auf die TänzerInnen, die zu diesem Soundtrack auf drei Pool-Dance-Stangen zurasen, immer wieder neu, wie in einem unendlichen Kreislauf. Die sich daran hochziehen, der Schwerkraft trotzen und immer weitermachen, bis sie an den Stangen wie erstarrt hängen bleiben. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Füße übereinander gelegt, stellen die drei für einen kurzen Moment die Kreuzigungsszene nach. Ein überraschender Ausflug in eine ganz andere Zeit am Ende einer Szene, die für das Bild vom Tanz auf dem Vulkan ein adäquates Kraftfeld schuf.

Gebündelte Energie mit Techno-Beats

Die Gruppenchoreografien werden meist von Techno-Beats unterlegt, sind dementsprechend dynamisch, katapultieren den Abend immer wieder in die Gegenwart. Das ist gebündelte, aggressive Energie. Aber immer wieder lässt Macras den Humor auf der Bühne los, umgesetzt vom ganzen Ensemble. Nicht zu übersehen ist er in den Solo- beziehungsweise Kleingruppenszenen, in denen Quinci, Caspary und Fernanda Farah durch ihre Doppelbegabung als TänzerInnen und SchauspielerInnen begeistern.

Die beste Szene der Inszenierung ist witzig, politisch und philosophisch zugleich. Anfangs macht sie direkt Angst und am Schluss ist sie beglückend poetisch. Farah haut Caspary auf einmal eine runter und fordert ihn auf, dasselbe zu tun. Schnell feuern sich beide gegenseitig an. Die Ohrfeigenorgie nimmt an Fahrt auf. Slapstick und extreme Grenzüberschreitung überschneiden sich. Aber dann verändern beide ihre Reaktion. Sie nutzen den Schlag ins Gesicht als Ausgangspunkt für etwas Neues, drehen sich um sich selbst oder machen einen verspielten Tanzschritt. Aus dem Schlag wird ein Antippen, das die nächste Bewegung auslöst. Augenblicklich ändert sich der Energiehaushalt auf der Bühne.

In der letzten Szene lässt Macras Skelette tanzen. Wie viele Gewalttote hat diese Stadt auf dem Buckel und wie viel Tod ging von dieser Stadt aus, geht einem beim Ansehen durch den Kopf. Starke Bilder einer Choreografin mit Alleinstellungsmerkmal, die mit ihrem wunderbaren Ensemble hoffentlich einen neuen Heimathafen finden wird in Berlin.

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