Ein Wort zum Panter Preis von Elke Schmitter: Demokratie ist Arbeit

Im Folgenden bilden wir die Rede von Elke Schmitter für die taz Panter Stiftung beim Panter Preis 2017 ab.

Das Publikum des Panter Preises im Kino International Bild: Hein-Godehart Petschulat

Liebe Genossenschafter, liebe tazler, liebe Gäste, verehrte Kandidaten für den taz Panter Preis,

einmal im Jahr kommen wir hier zusammen und feiern Menschen, die etwas geschafft haben. Nicht für sich, sondern für andere. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - bei mir löst das immer gemischte Gefühle aus. Auf der einen Seite Bewunderung und reine Freude. Auf der anderen Seite die Frage, wie es denn mit mir steht bei dem Engagement. Einerseits passt das Gefühl, alles machen zu können in unsere Zeit. Nie haben Menschen länger gelebt, nie waren sie materiell besser versorgt, nie besser ausgebildet, nie gab es so viele Möglichkeiten, das Leben selbst zu gestalten.

Alles unsere Entscheidung

Elke Schmitter Bild: Hein-Godehart Petschulat

Das Schicksal ist weitgehend abgeschafft: Wir können Kinder haben oder auch nicht, Männer müssen nicht den Beruf des Vaters ergreifen, Frauen können einen Beruf ergreifen... Wen wir als Frauen und Männer lieben, ist zu einer freien Entscheidung geworden. Was wir aus unserem Leben machen - ob wir den Job wechseln oder die Stadt, ob wir allein leben, uns drei Mal scheiden lassen, lebenslang lernen oder die freie Zeit mit Serien auf der Couch verbringen: unsere Entscheidung. Und damit, als Schatten des Schönen, wachsen auch die Selbstzweifel, die inneren Verurteilungen, das Gefühl des Ungenügens. Damit ist man im Regelfall allein. Das Alleinsein gehört dazu.

Die Sozialsysteme funktionieren, in vielem sind wir weniger allein denn je: Wir werden nicht hungers sterben, wir werden mit dem entzündeten Blinddarm im Krankenhaus versorgt, wir können uns irgendwann im städtischen Seniorenheim betreuen lassen, und für den allerletzten Übergang gibt es eine Begleitung im Hospiz. Aber zugleich ist vieles verschwunden, was für die Generationen vor uns selbstverständliches Miteinander war, eine Art soziales Grundrauschen: der mal stärkende, mal nervige Familienverbund, so fraglos wie unentrinnbar. Das gemeinsame Frühstück, die Feiern zu den großen Geburtstagen, der Sportverein um die Ecke, die rituellen Betriebsvergnügen: Vieles von dem, was lange da war, ist outgesourced oder hat sich aufgelöst, aus Mangel an Beteiligung oder aufgrund der vielen Möglichkeiten, die Zeit auch anders zu verbringen - auf dem Laufband im Fitnesscenter, im Netz oder auch beim Seminar für inneres Wachstum.

Wir brauchen die Gesellschaft

Die schlichte Erfahrung, dass vieles am besten klappt, wenn man es gemeinsam macht, ist, vor allem in den Städten, keine Grundversorgung mehr. Auch die Gemeinsamkeit ist inzwischen zu einer Entscheidung geworden. Wer sie nicht trifft, fällt sozial nicht auf. Ist kein Sonderling mehr, sondern vielleicht sogar besonders erfolgreich. Nur umso mehr unter Stress, als er das nagende Gefühl nicht loswird, dass etwas fehlt. Was er - paradoxerweise - mehr braucht denn je. Denn der mobile Mensch von heute braucht die Gesellschaft tatsächlich mehr als der Eigenbrödler, der in seiner kleinen Heimatstadt geblieben ist - wo Großeltern für die Kinderbetreuung einspringen, wo der Arzt die ganze Familie und deren Krankengeschichte kennt, wo die Nachbarn und die Eckkneipe für Geselligkeit und Heimatgefühle sorgen und für soziale Stabilität.

Und dann sind da noch jene zwanzig Jahre im durchschnittlichen Leben der Berufstätigen, in denen "keine Zeit" die häufigste Redewendung ist: Die Arbeit fordert die volle Konzentration, die Kinder brauchen Dasein und Aufmerksamkeit, die Eltern werden bedürftiger. Wir alle kennen vermutlich das Gefühl der permanenten Überforderung. Nicht nur die medialen Nerven, auch die moralischen Muskeln sind oft überspannt. Zwischen der Unterschriftensammlung gegen Beschneidung in Nordafrika, der Kampagne gegen die Fusion von Bayer und Monsanto und der Demo für Europa gleich um die Ecke, schon am nächsten Samstag, nisten sich Müdigkeit und Überdruss ein.

Für jede Art von Großzügigkeit den richtigen Adressaten

Wo soll da noch Raum sein für noch mehr Engagement? Hier beisst sich die Katze in den schönen Schwanz. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn jeder macht, was er am besten kann, bringt demokratische Praxis mehr Kraft, als sie verbraucht. Denn erst, wenn wir uns engagieren, merken wir wieder, dass wir nicht alles alleine machen müssen. Dass es auch im Politischen die gute alte Arbeitsteilung gibt. Dass das, was wir kompliziert finden - die Finanzpläne der EU oder unserer Kommune, die Schlupflöcher im Arbeitsrecht oder das Mentoring für Flüchtlinge - anderen leichter fällt. Während die dankbar sind für unsere Erfahrung: Wie man Kinder zum miteinander Spielen bringt, die sich nicht kennen. Wie man eine Fahrradwerkstatt betreibt, in der man voneinander lernen kann. Wie man den örtlichen Abgeordneten sinnvoll nervt. Wie man aus einem leerstehenden Haus ein Jugendzentrum macht. Wie man Aktionärsversammlungen mit kritischen Fragen in produktive Unruhe bringt.

Es gibt für jede Art von Großzügigkeit den richtigen Adressaten: für Menschen mit Zeit oder mit Geduld, mit Sinn für Zahlen oder für Ökologie, für Menschen mit Geld oder mit viel Platz, für Menschen, die gerne von Menschen umgeben sind wie für solche, die lieber die Buchhaltung machen. Wir sehen heute Abend sechs Beispiele für dieses schöne Paradox, dass das Engagement für andere mehr Energie bringt, als es verbraucht. Um es mit Karl Valentin zu sagen: Demokratie ist schön, macht aber viel Arbeit. Aber auch Arbeit ist schön, wenn sie die richtige ist. Ich wünsche uns allen Freude, Rührung und den Schubs in die richtige Richtung. Musikalisch kriegen wir den jetzt von der bolschewistischen Kulturkapelle.

Elke Schmitter, ehemalige Chefredakteurin und Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung