Ein Zaun für 5 Millionen Euro: Griechische Menschensperre
Mit einer Stacheldrahtbarriere will Griechenland seine Grenze zur Türkei schließen, um Papierlose an der Einreise zu hindern. 2010 kamen 47.000 über die Türkei nach Griechenland.
ORESTIADA taz | Es dürfte nicht oft vorkommen in diesen Tagen, dass ein griechischer Beamter 5 Millionen Euro investieren darf. Salamagkas Georgios ist eine Ausnahme. Georgios ist Polizeichef von Orestiada, der nordöstlichsten Gemeinde Griechenlands. Und damit ist Georgios auch zuständig für die Grenze zur Türkei. Im letzten Jahr wurde die von 47.000 Papierlosen überschritten, nirgendwo sonst sind mehr Menschen ohne Visum nach Europa gekommen. Am Dienstag endete die Ausschreibung für den Bau eines zehn Kilometer langen Zauns, der die Flüchtlinge künftig abhalten soll.
"Zaun der Schande" nennen ihn Kritiker, ein "Verstoß gegen die Menschenrechte", urteilte Amnesty International. "Mit dem Zaun wird alles besser", sagt Georgios, ein Mann von Ende 50, mit grauem Haar und großem Schnurrbart. An der Wand seines Büros im ersten Stock der kleinen Polizeistation von Orestiada hängen sieben Ikonen, die Heiligenbilder der Ostkirche, auf dem Tisch stehen eine Europaflagge und ein Wimpel der EU-Grenzschutzagentur Frontex. "Das Problem hier wird immer größer", sagt er.
"Dabei wollen fast alle Flüchtlinge weiter nach Norden." Doch die Dublin-II-Richtlinie der EU legt fest, dass Griechenland als Land des ersten Grenzübertritts die alleinige Verantwortung für sie trägt. Asylanträge in anderen EU-Staaten sind ausgeschlossen, eine legale Weiterreise ebenso. Um jeden, der bei Orestiada die Grenze passiert, muss sich Griechenland allein kümmern - oder auf eigene Kosten abschieben. Doch der bankrotte Staat hat kein Asylsystem.
Georgios zeigt erst einige Tage alte Fotos von seiner eigenen Polizeiwache. Dutzende afghanische Flüchtlinge sitzen auf dem Boden und warten darauf, in das Internierungslager im nahen Filakio gebracht zu werden. Dort landen alle Papierlosen, die die Polizei aufgreift. 17.000 waren es von Januar bis Juli.
"Unbeschreiblich" nennt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Zustände in Filakio. Mehrfach haben die Flüchtlinge in den vergangenen Wochen in dem völlig überfüllten Lager aus Protest Brände gelegt. Georgios hat noch andere Bilder: von schwarzen Leichensäcken, in denen die im Grenzfluss Evros ertrunkenen und die im Winter erfrorenen Flüchtlinge stecken.
Hilfe angefordert
"Der Evros ist ein großer Fluss, es ist schwierig hindurchzuschwimmen." Jetzt, am Ende des Sommers, sei er allerdings stark ausgetrocknet. "Leider", sagt Georgios. "Stünde das Wasser höher, würden weniger versuchen herüberzukommen."
Vor einem Jahr hatte er kapituliert. Griechenland erklärte, die Grenze allein nicht mehr abriegeln zu können. Am 25. Oktober 2010 forderte Bürgerschutzminister Christos Papoutsis bei der Frontex-Zentrale in Warschau die "Rapid Border Intervention Teams" (Rabit) an, eine Art schnelle Eingreiftruppe von Grenzschützern. Es war das erste Mal seit der Gründung von Frontex im Jahr 2005, dass die Rabits zum Einsatz kamen.
80 ausländische Beamte aus 16 Staaten stehen heute unter Georgios Kommando. 30 Tage dauert ihr Einsatz, dann kommen neue. "Frontex muss hierbleiben, bis das Problem behoben ist", sagt Polizeichef Georgios.
Der erste Abschnitt der 206 Kilometer langen Grenze zur Türkei verläuft über Land. Diese Route wählen die meisten der Flüchtlinge und Migranten. Am 4. August schrieben die griechischen Behörden den Bau einer "künstlichen Barriere" aus, die "vor illegalen Einreisen abschreckt."
Auf Georgios Schreibtisch liegen die Baupläne: zwei Zäune, 2,50 und 3 Meter hoch, im Abstand von 1,20 Metern, der Zwischenraum gefüllt mit 4 Meter hoch aufgetürmten Rollen Natodraht, dazu Wärmebildkameras und Bewegungsmelder. Schon im April soll der Zaun fertig sein. "Das Wichtigste ist, dass die Flüchtlinge die Grenze gar nicht erst überqueren können", sagt Georgios.
Ein Graben gegen Panzer
Anfang August ging eine weitere Meldung durch die Agenturen: Griechenland habe begonnen, einen Graben gegen die Papierlosen auszuheben. 30 Meter breit, 7 Meter tief, geflutet, von der bulgarischen Grenze bis zum Mittelmeer. Von einem "geheimen Plan für die vielleicht ultimative Flüchtlingssperre" schrieb die Berliner Zeitung. 450 Soldaten seien im Einsatz, 14,5 Kilometer bereits fertig gestellt.
Der türkische EU-Minister Egemen Bagis spottete, Griechenland habe hoffentlich nicht vor, eine außenpolitische Krise zu provozieren, um von der Finanzkrise abzulenken. "Es besteht das Risiko, dass der in den Graben hineinfällt, der ihn gegraben hat."
Georgios winkt ab. "Alle fragen jetzt nach dem Graben. Dabei hat der mit illegalen Migranten überhaupt nichts zu tun." Offiziell will er nichts sagen. "Militärgeheimnis". Das antworten alle, die man fragt, die Regierung in Athen eingeschlossen. Doch unter der Hand sagen alle dasselbe: Das Militär hat den Graben schon vor Jahren aus Angst vor einer türkischen Invasion als Panzersperre angelegt. Aus dem gleichen Grund ist die Grenzregion bis heute vermint. Immer wieder sterben Papierlose, weil sie auf eine Mine treten.
Nun sollen militärische Strategiepapiere aus der Türkei bekannt geworden sein, die Möglichkeiten für eine Invasion nach Griechenland durchspielen. Zudem soll die Türkei neue Brückenpanzer mit einer größeren Spannweite bestellt haben. Deshalb habe das Militär den Graben jetzt breiter gemacht - und wolle ihn bis an die Adria verlängern.
Militärische Sperrzone
Einen Blick darauf zu werfen ist unmöglich: Das gesamte Gebiet ist militärische Sperrzone. Der Graben sei "kilometerweit im Inland", sagt Georgios. "Zur Flüchtlingsabwehr nützt er gar nichts, weil die Flüchtlinge dann schon längst auf griechischem Territorium sind. Und genau das wollen wir ja verhindern."
Draußen vor der Wache parken Polizeiautos aus verschiedenen Ländern, darunter ein Bus der Bundespolizei aus Fuldatal. Junge Männer und Frauen mit Cargohosen laufen umher, auf dem Rücken tragen sie schwarze Sporttaschen, ihre Ausrüstung bringen sie aus dem Hotel mit.
Je zwei der Frontex-Grenzer patrouillieren mit zwei griechischen Beamten. Eine von ihnen ist Sophia Raptia. Sie ist jung und trägt eine große, verspiegelte Sonnenbrille, Georgios schickt die vielen ausländischen Journalisten, die sich in Orestiada die Klinke in die Hand geben, oft mit ihr los. "Schon der Name ,Frontex' erschreckt die Migranten", sagt sie. "Die wissen: Frontex verteidigt die Grenzen der EU. Das ist doch gut." Sie sei sehr froh über die Anwesenheit der ausländischen Kollegen. "Wir können viel voneinander lernen."
Kooperation mit der Türkei
Die Tour geht bis an die Grenze der Sperrzone östlich der Ortschaft Nea Vyssa. Hinter einem Maisfeld ist ein Bunker, irgendwo dahinter ist der Graben. Am Horizont sieht man die Minarette der Moschee von Edirne in der Türkei. Raptia bittet zwei Dokumentarfilmer, sie nicht mit Zigarette und Eiskaffeebecher in der Hand zu filmen. 1.100 Euro netto im Monat verdienen die Grenzer bislang, durch die EU-Sparauflagen fällt fast ein Drittel weg. "Löhne wie in Osteuropa", sagt Raptias Kollege.
150 bis 200 Kilometer pro Schicht fahren die Grenzer, und fast jedes Mal entdecken sie Papierlose. "50 bis 100 kommen jede Nacht", sagt Raptia. Ihr Ziel ist es, sie schon auf der türkischen Seite zu erspähen. "Dann machen wir das Blaulicht an, damit das türkische Militär sie verhaftet." Dabei gilt für Angehörige fast aller arabischer Staaten in der Türkei Visafreiheit. Sie halten sich dort legal auf. Früher hat die Türkei sie deshalb auch nicht belangt. Aber seit gut einem Jahr arbeitet sie bei der Flüchtlingsabwehr mit der EU zusammen - politische Verhandlungsmasse des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan für seine Forderung nach einer Aufhebung der Visapflicht für Türken in der EU.
Als Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention muss Griechenland Flüchtlingen die Möglichkeit geben, einen Asylantrag zu stellen. Die Praxis, sie von den Türken verhaften zu lassen, schließt das aus. "Was ist denn, wenn sie Terroristen sind?", entgegnet Raptia. "Man kann schließlich auf vielen Wegen Asyl beantragen", sagt sie dann noch. Ob der Grabenbau diese neue Zusammenarbeit nicht massiv gefährdet? "Kein Kommentar." Militärgeheimnis.
Zu spät aufgespürt
Wen Raptia und ihre Streife zu spät aufspüren, den dürfen sie nicht über die Grenze zurückdrängen. Die verhaften sie dann selbst. "Es kommt vor, dass manchmal einer nicht will", sagt der Kollege. "Aber das ist ja sonst im Polizeidienst auch so."
Die Situation in Filakio, die sei in der Tat "schrecklich", sagt Raptia, meint damit aber die Wachleute. "Es ist so voll, die Kollegen können sich nicht vor Ansteckungen schützen." Viele der Flüchtlinge bleiben mehrere Monate in dem Lager.
"Wenn wir die Leute nach drei Tagen freilassen, dann rufen sie zu Hause an, und es kommen noch mehr", sagt ihr Kollege. Es gebe in Athen "linke Kritiker, denen tun die Leute leid". Aber die Gesellschaft müsse sich eben entscheiden: "Soll es eine Grenze geben oder nicht? Solange es aber eine gibt, werden wir sie auch bewachen."
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