Eine Handreichung: Über Sex schreiben

Sie möchten im Rahmen eines Textes das Thema Beischlaf bearbeiten? Dann gilt es im deutschen Literaturbetrieb einiges zu beachten.

Das Original Bett von "Sophie Haas" aus der WDR-Serie "Mord mit Aussicht"

Schlafstätte im Forsthaus-Stil: Wie darüber schreiben, wenn's im Bett so richtig nett ist? Foto: dpa

1. Sollten Sie mit dem Gedanken spielen, über Sex zu schreiben: Siedeln Sie die Geschichte in der Vergangenheit an, jedoch nicht in einem anderen Land (siehe Nr.3). Das wird Ihnen erlauben, Menschen zu porträtieren, die beim Erstkontakt einander in die Augen sehen, anstatt auf ihre jeweiligen Tinder- oder Grindr-Apps zu starren. Seien Sie dabei jedoch vorsichtig, auf dass man sie nicht eines nostal­gischen Kulturkonservatismus zeihe. Achten Sie auch darauf, dass die zueinander Strebenden nicht etwa mit einem Flugzeug angereist sind, sondern klimaneutral per pedes oder mit dem Fahrrad zum Rendezvous erscheinen.

2. Schildern Sie keinen sinnlich erfüllenden oder gar glücklich machenden Sex. So manch professionelle Leser – Lektoren, Rezensenten, Buchhändler, Institutionsmitarbeiter etc. – könnten sich dar­ob zu gewissen Vergleichen herausgefordert fühlen und äußerst ungemütlich werden. Schreiben Sie stattdessen, wie sich Menschen verfehlen, nackt in Sprachlosigkeit verharren und – dies vor allem – post coitum dann so richtig traurig sind, anstatt einander eventuell ein komplizenhaftes Lächeln zu schenken oder gar ein High Five. Werden Sie zu Virtuosen der Unglücksbeschreibung. Es winken verständnisvolle Besprechungen aus den Federn ähnlich gepolter Seelen.

3. Vergessen Sie nie: Write global, fuck local. Siedeln Sie Ihre Sexszenen an deutschen Orten an, die mühelos wiedererkennbar sind. Befinden Sie sich noch in den Zwanzigern, können Berliner Clubs und WGs durchaus toleriert werden, späterhin sollten es dann allerdings westdeutsche Akademikerwohnungen sein. Lassen Sie in den Danach-Szenen (von jeher die sicherste Bank, möchte man sich nicht in erotischen Details verlieren) die Augenpaare der unbefriedigt Gebliebenen über Stuckdecken, Bücherwände und abgezogene Dielen wandern. Und achten Sie darauf, dass sich alles in einem ethnisch und sozial möglichst homogenen Milieu abspielt(siehe nächste Handreichung).

4. Vermeiden Sie Sexszenen, in denen sogenannte „Fremde“ auftauchen; Sie könnten sich den Vorwurf einhandeln, diese zu „exotisieren“. Wird solche Anklage laut, so schweigen Sie fein stille, anstatt Widerworte zu geben in jenem Sinn, dass die Verwechslung eines jedes Nichtdeutschen mit einem „Exoten“ wohl zuvörderst die beklagenswerte Erfahrungslosigkeit der Kritikübenden enthüllt. Also bleiben Sie im Lande und unter sich. Die rechten und linken Kulturalisten werden es Ihnen danken.

5. Sollten Sie die vorangegangen Handreichungen ignorieren, so achten Sie zumindest darauf, nicht mit Ihren auswärtigen Geschichten und mutwilligen Protagonisten identifiziert zu werden. Unterschätzen Sie nicht die subtile Rachsucht der Sinusmündigen. Spotten Sie auch nicht, wenn auf Ihre Bemerkung, Sie schrieben eben autobiografisch, ein erdschwer teutonisches „Ach so“ zu hören ist. Die Reaktion Ihres Leser- und Kollegenmilljöhs könnte noch viel missgünstiger ausfallen. (Und wird es auch, sollten Sie der Versuchung erliegen, diese fünf Handreichungen als Ironie zu interpretieren.)

6. Sie können diesen Katalog in der U-Bahn oder im Taxi liegen lassen, meinetwegen auch im Fahrradkörbchen. Noch schöner aber wäre es, Sie läsen laut daraus – irgendwann danach. Ich stelle mir mit Freude das spottfrohe Gelächter zweier oder auch mehrerer glücklich Ermatteter vor.

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Geboren 1970, veröffentlichte die Erzählbände „Schlafende Hunde“, „Die Nacht von San Salvador“ und „Umsteigen in Babylon“. Soeben erschien sein Essayband „Dissidentisches Denken“. Sein Buch „Das Haus in Habana. Ein Rapport“ war 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Der vorliegende Text erscheint auch im Katalog des Internationalen Literaturfestivals in Berlin (11.–21. 9.), das den Schwerpunkt „About Sex“ hat.

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