Eine Lesebühnenlegende hört auf: Kein Blatt vor dem Mund

Zwei Jahrzehnte lang hat unsere Autorin zur Freude des Publikums ihre Texte vorgetragen. Jetzt macht sie damit Schluss – und zieht ein süßsaures Resümee.

Sarah Schmidt hat zwei Jahrzehte Lesenbühnen-Erfahrung. Bild: Lothar Michael Peter

Vor über 20 Jahren stand ich zum ersten Mal am Mikrofon einer Lesebühne. Es war aufregend und berauschend, und ich wollte unbedingt mehr davon. Mehr von dem Gefühl, eine neue Art von Kultur mitzuentwickeln, eine die sich unabhängig von der etablierten Literatur- und Bühnenszene machte, in der der Abstand zwischen Autoren und Publikum häufig verschwand. Eine Kultur, deren Mittelpunkt das eigene Erleben war.

Ende Februar stand ich vorläufig zum letzten Mal bei „meiner“ Bühne – dem Frühschoppen im Schlot – am Mikrofon, um mich zu verabschieden.

Ob ein Ausstieg aus der Szene, mit der mich so viel verbindet, die richtige Entscheidung ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich es bald vermissen. Das würde mich freuen. Trotzdem ging es nicht anders. Ich habe ein gutes Jahr Nachdenken für diesen Entschluss gebraucht, da aber dieser Artikel kurz werden muss, beschränke ich mich auf drei Aspekte: die Kollegen, das Publikum und mich.

In der Berliner Szene habe ich wunderbare männliche und weibliche Autorinnen kennengelernt, glitzernde Perlen, auf die ich mich jedes Mal freute, wenn ich mit ihnen auftreten konnte. Aber das Gros der Lesebühnen-Männer sind ziemlich maulfaule Gesellen, die sich selbst Gesellschaft genug sind und deren kollegialen Kommunikationsmöglichkeiten mit einem aus den Zähnen gezogenen „Hallo“ schon erschöpft sind. Ich habe genug Zeit mit mittelalten Männern verbracht, die nicht sprechen wollen; ihr Verharren in einer Slacker-Pose macht mich müde. Alter ist das richtige Stichwort, um zum Publikum zu kommen.

Lesebühnenpublikum ist entweder sehr jung, und das bin ich nicht mehr. Oder ganz schön bei Jahren, und das bin ich noch nicht. Ich brauche also einerseits immer häufiger eine Lesebrille, aber ich möchte mir noch nicht die Schuhe ausziehen und meine Wollfüße auf die Bühne legen. Ja, das machen ältere Besucher sehr gern. Wahrscheinlich, um auszudrücken, wie wohl sie sich fühlen. Und das wiederum eint beide Generationen. Sie wünschen sich Unterhaltung, die nicht wehtut, Geschichten, in denen sie sich spiegeln können.

Noch ein Schenkelklopfer

Texte, die nicht ganz genau in das erwartete Schema passen (Ich-Perspektive, voll witzige Wendungen und/oder Wortspiele, Alltag), werden freundlich müde beklatscht. Dann ist man froh, wenn der nächste Text wieder ein Schenkelklopfer ist, denn darum kommt man ja zur Lesebühne. Wenn die Welt düster scheint, möchte man es wenigstens in der Freizeit lustig haben. Verständlich. Aber vor Zuschauern, die beim Wort „ficken“ immer wieder entzückt auflachten, konnte ich mein Augenrollen nur noch mühsam verbergen.

Super Überleitung zu Punkt drei: ich. In diesen zwei Jahrzehnten Lesebühne habe ich das Schreiben von pointierten Kurzgeschichten gründlich gelernt, Routine bekommen. Routine lernen ist eine gute Sache, so lange, bis man sie hat. Seit einiger Zeit langweilte sie mich. Immer dringender wollte ich mehr als ein Spotlight verfassen, gründlicher beschreiben. Das geht in einer Lesebühnengeschichte so wenig, wie es in diesem Artikel möglich ist. Kurz und knackig soll es sein, und das bin ich nicht mehr so oft. Vielleicht auch, weil in meinem Leben nicht mehr so viel passiert, das sich in einer Kurzgeschichte erzählen ließe. Wäre ich eine Lesebühnen-Daily-Soap, ich wäre auserzählt.

Wären Slams – also Wettbewerbe – ein Ausweg? Auf keinen Fall. Als einen der großen Vorteile der Lesebühnen habe ich immer die Konkurrenzlosigkeit empfunden. Natürlich entwickeln sich Lieblinge, die eine schreibt einfach besser als der andere, ein paar Überflieger haben sich aus der Szene herauskristallisiert. Die Idee, freiwillig als Gegner vor ein Publikum zu treten, das durch Klatschen oder durch Grölen „Sieger“ bestimmt, finde ich aber vollkommen idiotisch.

Was geblieben ist: das Bedürfnis, mich mitzuteilen. Das Schöne am prekären Autorendasein ist die Möglichkeit, einfach etwas Neues beginnen zu können. Ich bleibe lieber mit etwas arm, das mir derzeit mehr Spaß macht: Romane schreiben. Mein dritter ist gerade fertig. Das ist meine Freiheit.

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