Eine gelungene Portion Existenzialismus: Sterben als lustiges Jungsspiel

In „Tamtam der Leidenschaften“ dekliniert das Theatre du Pain bei seinem Bremer Gastspiel fast die ganze Evolution herunter.

Drei Ensemble-Mitglieder des Théâtre du Pain hinter einem Esel.

Das Gefühl, ein Fremder im Universum zu sein: die drei Mannen vom Théâtre du Pain. Foto: Théâtre du Pain

BREMEN taz | „Hermann“ schallt es lauthals durch den Bremer Schlachthof – und Hermann kommt. In billigster Cheruskerverkleidung erscheint der heimtückisch smarte Hans König (Bremen) mit der Lust, rammsteinig zu teutonisieren. Martin Luther, vom knuffigen, später sich selbst ans Kreuz nagelnden Kauz Wolfgang Suchner (Wuppertal) dargestellt, rührt derweil in einem Zauberkessel aus seinen Papieren ein bis heute in religiösen Franchise-Zirkeln goutiertes Märchenragout zusammen. Auftritt des Theatre-du-pain-Fans gut bekannten Ugoruck Goruk-Goruk.

Und Mateng Pollkläsener (Bremen) zeigt derweil, dass sich der Steinzeitmensch inzwischen zum Popcornmampfer entwickelt hat. Dazu erzählt er prollig derb, wie er zuvor die gesamte Evolution des Kapitalismus durchlaufen musste. Die reicht von der guten alten Sesshaftwerdung zur Einführung von Familie, Moral, Schule, Polizei, Religion und allem, was man noch so braucht, um menschliches Miteinander zu ordnen, Gefühle zu zähmen und triebhaftes Verhalten zu bestrafen.

Das alles währt, bis schließlich das Geld erfunden, eine Manufaktur nach der anderen gegründet und der Aktienmarkt eingeführt wurde. Und das war‘s dann mit den Glücksverheißungen des Konsums. Irgendwann besaß Ugoruck Goruk-Goruk alles – und alle anderen nichts. Die kauften dann auch nichts mehr. Der Popanz Leistungsfrömmigkeit wurde beerdigt, ist zu erfahren, und nun werde post-ökonomischer Tauschhandel getrieben und Nahrung im Haarfett frittiert.

So höhnisch wie beiläufig handelt das Theatre du pain in seinem neuen, zunächst in Wuppertal und jetzt in Bremen gespielten Stück „Tamtam der Leidenschaften“ ab, was seit über 30 Jahren seine Shows antreibt. Einst verbanden dessen Akteure kindliche Sudellust, anarchistischen Poltergeist, dadaistische Trunkenheit mit Sprachwitz und Reimzwang zu Attacken aufs Publikum, verwirrten den Zuhörerverstand und entwickelten Performance-Ästhetiken. Aber irgendwann war diese kollektive Kreativität im Theater-Business marktgängig geworden; das Alleinstellungsmerkmal passé.

Wie das Hochkultur­theater des Absurden setzen auch die ​Akteure des Theatre du pain auf surreale Phantasie, verzichten auf die unzerstörbare Einheit der Charaktere und eine zusammenhängende dramatische Handlung

In seinem neuen Stück hat das Theatre du pain wieder frische Texte vertont – mit Gitarre, Schlagzeug, Tuba, Trompete und fast schon altersweiser Element-of-Crime-Melancholie. Hinzugebastelt werden Sketche und Handlungspartikel. Und so wird das Ensemble mit dem neuen Programm ganz eigen älter im ganz eigenen Genre, dieser sentimentalen Version des absurden Theaters.

Thema sind existenzielle Nöte. Das Gefühl, ein Fremder im Universum zu sein: keine Erinnerungen an eine verlorene Heimat und keine Hoffnung auf ein gelobtes Land sind da zu haben. Der Sinn suchende Mensch schwebt im sinnleeren Weltall, und das ist die absurde Kombination, in der das clowneske Trio des Theatre du pain aufblüht.

Und klar, dass es dabei auch mal von der Autobahn der Vernunft abbiegt, bei Ureinwohnern den Heißkleber-Atem des ostböhmischen Küchendrachens entdeckt und über eine Vorhaut stolpert, die sich aus Gründen der Heiligkeit ihres Besitzers im Laufe der letzten Jahrhunderte nicht aufgelöst hat. So wird erzählt.

Ein Aufbruch ins Profane geht dem Trio dabei, wie hinlänglich gewohnt, „am Arsch vorbei“. Aber wer mag, kann natürlich wieder alles mit allem auf und vor der Bühne Erlebtem auf irgendeiner Bedeutungsebene miteinander verknüpfen.

Zu entdecken ist dabei zum Beispiel die Identitätsproblematik des Künstlers: „Wenn ich musiziere, bin ich der, der ich bin, nicht der, der ich sein will.“ Auch Samuel Beckett wird zitiert. Tritt Hans König doch zum Finale wie Pozzo auf und peitscht seine Kollegen, auf dass sie Lucky werden.

In ihren schäbigen Anzügen könnten alle drei aber auch Wladimir oder Estragon sein. Allerdings warten sie nicht mehr auf Godot, sondern genießen seine Abwesenheit. Diese neue Gelassenheit betiteln sie ironisch als „Tamtam der Leidenschaften“.

Okay, eine gewisse Penelope sorgt noch mit Liebesbriefen voller jubilierender Sonnenstrahlen für Augenverdrehen und kleine Sehnsuchtsstöhnerchen, aber die theatralen Leidenschaften kreisen samtpfotig komödiantisch um den Tod. Seit Platon wissen wir ja, dass Philosophieren, also das absurde Theatre du pain, nichts anderes will, als sterben lernen: einen versöhnlichen Umgang zu pflegen mit der eigenen Endlichkeit, die alle Lebensmomente erst mit ihrer Bedeutung auflädt.

Wie das Hochkulturtheater des Absurden setzen auch König-Pollkläsener-Suchner dabei auf surreale Phantasie, verzichten auf die unzerstörbare Einheit der Charaktere oder eine zusammenhängende dramatische Handlung. Die Künstler deuten nur an, dass sie drei Brüder spielen. Vielleicht sind sie auch ein Hermann in verschiedenen körperlichen Ausformulierungen. Oder eine geträumte Abenteuerkonstellation von drei Freunden wider den tierischen Ernst.

Aber wie dem auch sei: Ego reimt sich bei ihnen auf Lego. „Wir sind, was wir fürchten.“ Und irgendwie auch Sisyphos. Albert Camus behauptete ihn ja als glücklichen Menschen, da er den einen Berg hinunter rollenden Stein stets wieder herauf rollte. Seine Revolte gegen die Sinnlosigkeit der ewig gleichen Handlungsabfolge mündet im Akzeptieren – so wird ein Stück Freiheit zurückerobert.

Genau das will auch das Bühnentrio, designt sich mit Strumpfmasken und beraubt nächtens ihr ererbtes Unternehmen, um tagsüber den Schaden wieder zu bereinigen. Es ist ein Triumph des Absurden. „Wer sich nicht ermächtigt, wird entmachtet.“ Aber dem Tod zu entkommen, dazu hilft auch das nicht. Die Kiste als sein Symbol kommt auf die Bühne nicht in Sargform, sondern als Schatztruhe – und das Sterben ist ein Jungsspiel mit einem Ritterschwert aus der Spielwarenabteilung.

Ungeklärt bleibt aber, ob die Spaßtreiber anschließend – wie ersehnt – in den Träumen eines Spatzen leben, mit Tinte aus Asche neue Gags schreiben oder unter einem Mantel aus Blättern begraben wurden.

Was bleibt dem geneigten Zuschauer von den amüsanten Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand? Eine Erscheinung! „Ein Fisch, der raucht, ist kein Fisch“, ist die zu Beginn der Performance verkündete Wahrheit. Zum Finale wird dann ein Fisch aus der Totenkiste gefingert und ihm die gierig aus dem Maul hängende Fluppe angezündet. Ganz vorsichtig tragen die heiligen drei Künstler den Fisch zu Luthers Zauberkessel und geben ihn in den angerührten Bibelbrei. Vielleicht ist das der Höhepunkt des Abends. Vielleicht haben wir Godot gesehen. Und Gott ist gar nicht tot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.