Kerzen für die Toten: Trauerfeier für einsam Vestorbene in der Berliner Marienkirche Foto: Stefan Boness/Ipon

Einsames Sterben:Was kostet der Tod?

Bei Bestattungen von Amts wegen sind die Behörden zur Sparsamkeit aufgerufen. Nirgendwo aber darf ein Begräbnis so wenig kosten wie in Berlin.

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26.2.2020, 16:02  Uhr

Somewhere over the Rainbow“ ertönt in der Kirche am Ale­xanderplatz. Auf den Holzbänken in den vorderen Reihen der Marienkirche sitzen dunkel gekleidete Menschen jeden Alters. Manche haben die Hände in ihrem Schoß verschränkt. Andere die Augen geschlossen. Sie trauern um verstorbene Menschen, die sie nicht kennen.

Vor dem Altar zündet die Pfarrerin 54 Kerzen an. Eine für jede Person, die in dem Jahr im Bezirk Mitte ohne Angehörige und mittellos zu Grabe getragen wurde. „Ordnungsbehördlich bestattet“ heißt das in der Behördensprache. Auf der Trauerfeier werden Namen, Lebensdaten, die letzte Adresse der Verstorbenen verlesen – der jüngste wurde 40, die älteste 94 Jahre alt. „Erst wenn die Erde deine Glieder gefordert hat, wirst du wahrhaft tanzen“, liest die Pfarrerin aus Khalil Gibrans „Das Geheimnis des Todes“ vor. Ein paar Dutzend Menschen sind zum Gottesdienst gekommen, manche haben Blumen dabei. Tourist:innen schauen ab und an herein, machen ein Foto und gehen wieder.

Etwa eine Stunde dauerte diese erste Trauerfeier der Ma­rien­kirche für einsam gestorbene Menschen Ende vergangenen Jahres. Von nun an soll sie jedes Jahr stattfinden. In anderen Kirchen und Bezirken wird bereits regelmäßig der Menschen gedacht, die von Amts wegen bestattet wurden.

Die Einsamkeit des Todes, sie rührt uns und berührt unsere eigenen Ängste vor der Kälte der Gesellschaft. Eine ordnungsbehördliche Bestattung, das heißt: Der Verstorbene war mittellos, Ehepartner:innen, Kinder, Eltern, Geschwister, Enkel:innen oder Großeltern konnten nicht gefunden werden, die die Bestattung bezahlen müssten. Es bedeutet auch, dass es keine nahen Verwandten gibt, die um den Toten trauern. Rund 2.200 Menschen werden in Berlin jedes Jahr ordnungsbehördlich bestattet – das sind etwa 6 Prozent aller Verstorbenen.

Der Tod: Er ist auch ein Geschäft. Mehrere Tausend Euro zahlen Angehörige nicht selten für eine Bestattung – mit Trauerfeier, Grabrede, Blumenschmuck und Grabstätte.

Die Behörden dagegen sind zur Sparsamkeit aufgerufen. Seit einigen Jahren werden die ordnungsbehördlichen Bestattungen in Berlin wie in anderen großen Städten auch per Ausschreibung vergeben: Der günstigste Bestatter wird beauftragt. Seit 2015 ist das für ganz Berlin ein Unternehmen, dem die Innung der Bestatter:innen Dumpingpreise vorwirft. 150 Euro bekommt es von den Bezirksämtern pro ordnungsbehördlicher Bestattung. „Dafür kann man nicht arbeiten und schon gar keinen Mindestlohn bezahlen“, sagt Rüdiger Kußerow, Obermeister der Bestatterinnung.

Hartmut Woite vom Berolina Sargdiscount

„Pietät hat nichts mit Geld zu tun“

Vor kurzem hatte das Landesverwaltungsamt die ordnungsbehördlichen Bestattungen neu ausgeschrieben – bis zum 24. Februar konnten Bestattungsunternehmen sich bewerben. Die Innung rief ihre Mitglieder dazu auf, sich trotz geringer Aussichten zu beteiligen. „Um den Behörden die reellen Preise zu zeigen“, wie Innungsobermeister Kußerow sagt. Auch der Geschäftsführer des Discountbestatters, wie er sich selbst nennt, hat sich wieder beworben. „Pietät hat nichts mit Geld zu tun“, sagt er.

Hartmut Woite und sein Unternehmen Berolina Sargdiscount sind seit zwanzig Jahren „Vorreiter auf dem Markt der Billigbestatter“, wie es auf der Internetseite des Unternehmens heißt. Sein Konzept: Preistransparenz und Tiefstpreisgarantie. „In einer Stadt mit so vielen armen Menschen hat das auch einen sozialen Aspekt“, sagt Woite. Eine Feuerbestattung kostet bei ihm ab 888 Euro – inklusive Kremierung und anonymer Beisetzung in Tschechien. Die stille Erdbestattung gibt es ab 749 Euro zuzüglich Grabstätte. Telefonisch gebucht wird es noch günstiger. Bei den traditionellen Bestattern, zum Teil seit dem 19. Jahrhundert als Familienunternehmen am Markt, kostet die einfachste Bestattung ohne Trauerfeier laut Bestatterinnung ab 1.500 Euro.

Woite hatte sich schon vor 2015 auf die Ausschreibungen um die ordnungsbehördlichen Bestattungen beworben. „Aber da war ich zu teuer.“ Erst mit seinem Niedrigpreis von 150 Euro pro Todesfall sei er zum Zug gekommen. Aber wie läuft sie ab, so eine ordnungsbehördliche Bestattung?

Anteilnahme: Die Marienkirche blieb bei der Trauerfeier für einsam Verstorbene nicht leer Foto: Stefan Boness/Ipon

Es beginnt an dem Ort, an dem ein Mensch verstirbt: im Altersheim oder Krankenhaus, manchmal auch allein in der eigenen Wohnung oder – bei obdachlosen Menschen – auf der Straße. Ist kein naher Angehöriger da, der sich kümmert, so wird – von Staatsanwaltschaft, Krankenhaus oder Altersheim – das Bezirksamt informiert. Dann bekommt Berolina den Auftrag.

„Meine Mitarbeiter fahren raus zum Verstorbenen“, so Woite. Mitten am Tag kann das sein, im ärgsten Berufsverkehr. Oder auch mitten in der Nacht. An manchen Tagen holten sie über zwanzig Verstorbene im Auftrag der Ämter ab, erzählt Woite. Sie werden entkleidet, mit einem einfachen Sterbehemd bekleidet, in einen Sarg mit Decke und Kissen gebettet. Das Prozedere ist in Verträgen mit den Bezirksämtern und im Berliner Bestattergesetz festgehalten.

Für die Sargtransporter von Berolina geht es dann weit in den Westen der Stadt, nach Ruhleben. Eine Bushaltestelle ist hier nach dem Ort benannt, an dem auch die Körper verbrannt werden, die von Amts wegen bestattet werden. Das Krematorium Ruhleben ist ein Exempel moderner Sachlichkeit, gebaut in den 1970ern nach Entwürfen des Berliner Architekten Jan Rave, der hier selbst 2004 betrauert wurde. „Wir haben dort zwei Kühlhallen gemietet“, sagt Woite. Platz für 600 Leichen.

Der Verstorbene wird in die Registratur des Krematoriums eingetragen und vorerst gelagert. Das Warten beginnt, bevor Berolina den Auftrag zu Ende bringen kann. Das bedeutet dann: den nötigen Papierkram erledigen, das Begräbnis organisieren, Abmeldung bei den Behörden. Wenn der Verstorbene den Wunsch hinterlassen hat, dass er auf einem bestimmten Friedhof oder auf bestimmte Weise beerdigt werden will, sind die Behörden angehalten, auch das zu berücksichtigen.

Zunächst aber haben sie sieben Tage Zeit, doch noch nahe, also zahlungspflichtige Angehörige zu finden. Das Erbe können Kinder, Enkel, Geschwister oder Partner ausschlagen, nicht aber die Übernahme der Bestattungskosten. Egal ob sie Kontakt mit dem Verstorbenen hatten oder nicht. Bestattungen, die doch noch von Angehörigen bezahlt werden, sind manchmal nur der Beweis dafür, dass die Ämter bei ihrer Suche nach Zahlungspflichtigen fündig geworden sind. Von einem Leben ohne Einsamkeit erzählen sie nichts.

Sind nahe Angehörige zwar da, können aber nicht zahlen, dann springt das Sozialamt ein und zahlt pauschal 750 Euro pro Bestattung. Den Bestatter darf dann die Familie auswählen.

Teil der Kalkulation

„Bei rund einem Viertel der Fälle werden doch noch zahlungspflichtige Angehörige gefunden“, sagt Berolina-Chef Woite. Für ihn bedeutet das entweder unternehmerisches Glück oder Pech. Glück, wenn er der von der Familie gewünschte Bestatter bleibt. Dann kann er in der Regel deutlich mehr berechnen als die 150 Euro, die das Amt bezahlt. Diese Rechnung ist Teil seiner Kalkulation, wie ihm Konkurrenten vorwerfen und Woite unumwunden zugibt. Nur so, quasi als Akquisemethode für Folgeaufträge, ergebe der niedrige Preis einen Sinn.

Pech hat der Berolina-Chef, wenn die Familie den Bestatter wechselt. „Dann kann ich sicher sein, dass die Bestatterinnung den Angehörigen sagt, sie müssten mich nicht bezahlen“, sagt Woite, und dass er so regelmäßig auf den Kosten sitzen bleibe. Unter Bestattern gehe es nicht gerade nett zu. „Ich bin so beliebt, dass mich die Konkurrenten nicht mal grüßen auf dem Friedhof“, so Woite. Vor einigen Jahren seien er und die Bestatterinnung im Streit auseinandergegangen, weil er der Branche Intransparenz vorwarf.

Tatsächlich ist man bei der Bestatterinnung weder auf den Billigbestatter noch auf die Ausschreibungspraxis des Landesverwaltungsamts gut zu sprechen. „Wir haben uns dort beschwert, dass wir für diese Preise nicht arbeiten können“, sagt Innungsobermeister Rüdiger Kußerow. „Aber solange jemand diesen Preis anbietet...“

In den aktuellen Ausschreibungsunterlagen ist vermerkt, dass fast ausschließlich nach preislichen statt nach Qualitätskriterien entschieden wird. Beim Landesverwaltungsamt verweist man darauf, dass die Angebote den Preis bestimmten. Der Richtwert von 150 Euro pro Bestattung, der sich auch aus den Vergabeunterlagen ergibt, sei lediglich als Orientierung gedacht.

Nicht immer waren die Preise für die Bestattung mittelloser Menschen so knapp bemessen. Es ist gar nicht lange her, da zahlten noch die gesetzlichen Krankenkassen ein Sterbegeld als Beerdigungszuschuss für all ihre Versicherten aus. 2004 wurde es abgeschafft, zuvor schon deutlich zusammengekürzt. Seitdem ist die Vorsorge für den Sterbefall privatwirtschaftlich organisiert – etwa in den in ihrem Nutzen umstrittenen Sterbegeldversicherungen privater Anbieter.

Die Zahl ordnungsbehördlicher Bestattungen ist in den vergangenen zehn Jahren jedenfalls deutlich gestiegen in einer wachsenden Stadt. Bei der aktuellen Ausschreibung musste diesmal auch er einen höheren Preis veranschlagen, sagt Berolina-Chef Woite. Schließlich seien die Lohnkosten deutlich gestiegen, er zahle an seine Mitarbeiter bereits den Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde, der seit diesem Jahr auch für vom Land Berlin vergebene Aufträge gilt. Dass er deutlich preiswerter sein könne als seine Konkurrenten, liege am Mengenvorteil. „Ich kaufe im Jahr mehrere Tausend Särge, natürlich bekomme ich die günstiger“, so Woite. Außerdem gebe es nur ihn als Chef, nur wenige Filialen und keine opulente Firmenzentrale.

Sterben:

35.900 Menschen sind 2018 in Berlin gestorben, rund 13 Prozent mehr als 2009. Jeder in Deutschland Verstorbene muss bestattet werden. Für die Kosten müssen die nahen Angehörigen aufkommen, falls der Verstorbene nicht entsprechend vorgesorgt hat. Die Bestattungskosten setzen sich im Wesentlichen aus den Leistungen des beauftragten Bestattungsunternehmens, des Krematoriums und aus den Friedhofsgebühren zusammen.

Sozialbestattung:

Können bestattungspflichtige Angehörige aufgrund geringen Einkommens nicht für die Bestattung aufkommen, übernimmt das Sozialamt auf Antrag die Kosten für „einfache, aber würdige Erd- oder Feuerbestattungen“. In Berlin sind für die Leistung des Bestatters pauschal 750 Euro vorgesehen zzgl. Kremierungs- und Friedhofsgebühren.

Ordnungsbehördliche Bestattung:

Eine ordnungsbehördliche Bestattung wird vom zuständigen Bezirksamt veranlasst, wenn keine bestattungspflichtigen Angehörigen ermittelt werden konnten oder diese die Bestattung nicht veranlassen. Die meisten ordnungsbehördlichen Bestattungen sind Feuerbestattungen, das Bezirksamt muss aber den schriftlichen Willen zur Art der Beisetzung, Religion oder Weltanschauung berücksichtigen. Das per Ausschreibung ausgewählte Bestattungsunternehmen erhält derzeit rund 150 Euro pro Todesfall. Dazu kommen auch hier die Kosten der Einäscherung und die Friedhofsgebühren.

„Es geht wie überall ums Geld“, sagt Woite über den Konkurrenzkampf der Bestattungsunternehmer. Ums Geld geht es auch dem Leiter des Reinickendorfer Gesundheitsamts – aber vor allem als Ausdruck des politischen Unwillens, im Tod mehr als einen Kostenfaktor zu sehen. Patrick Larscheid hat vor zwei Jahren begonnen, selbst monatliche Trauerfeiern für die ordnungsbehördlich bestatteten Menschen seines Bezirks zu organisieren, „weil sich kein Politiker Berlins wirklich für das Thema interessiert“. Nirgendwo, sagt Larscheid, seien die Kosten für die Bestattungen so knapp kalkuliert wie hier. In München übernehme ein städtisches Bestattungsunternehmen die ordnungsbehördlichen Bestattungen, rund 3.000 Euro seien dafür vorgesehen. In Hamburg, wo die Vergabe ähnlich wie in Berlin organisiert sei, rechne man mit insgesamt 2.500 Euro. Und in Berlin?

„Rund 870 Euro darf uns hier eine ordnungsbehördliche Bestattung insgesamt kosten – mit Bestatter, Krematorium und Friedhofsgebühren“, sagt Larscheid. Das sei nicht nur aus ökonomischer Sicht dramatisch wenig, es sei auch in Sachen Qualität „an der Untergrenze des Denkbaren“. „Wir haben sicherlich alle sehr unterschiedliche Vorstellungen, was mit einem Menschen nach dem Tod geschehen soll, aber niemand sollte dem Vergessen ausgesetzt werden“, sagt Larscheid.

Galina Kalugina vom Alten Domfriedhof St. Hedwig

„Ab dem Friedhofstor sind bei uns alle gleich“

Darum bemüht man sich auch auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig. Fast immer ruft Berolina hier an, wenn eine ordnungsbehördliche Beisetzung vollzogen werden soll. Der Alte Domfriedhof ist ein 1834 eingeweihter katholischer Friedhof in Wedding, ein Gartendenkmal, zwei große Marmorengel weisen den Weg zur Kapelle. Linker Hand sind mehrere quadratische oder rechteckige Felder abgesteckt: Die Urnengemeinschaftsgräber, in denen auch die Überreste der ordnungsbehördlich bestatteten Menschen ruhen.

Flankiert werden sie von teils mannshohen, teils denkmalgeschützten Grabsteinen, deren Nutzungszeit längst abgelaufen ist. Die opulenten Grabmale stammen aus einer Zeit, in der die Erdbestattung zur gesellschaftlichen und religiösen Pflicht gehörte, in der ein Priester hier an jedem Grab stand, vor Trauernden in schwarzer Kleidung. Es ist kein Geheimnis in der Bestatterbranche, dass der Trend inzwischen zum einfachen, preiswerten Begräbnis geht: auf die grüne Wiese statt ins Familiengrab, unter einen Baum statt unter ein Marmorkreuz. Ein Problem ist das auch für die alten Friedhöfe, die teils ums Überleben kämpfen.

Die goldenen Inschriften der alten Gräber des Domfriedhofs jedenfalls sind verblasst, manche Verstorbene schon über 100 Jahre tot. Da, wo einst in Särgen ihre sterblichen Überreste ruhten, liegen nun dicht beieinander die Urnen. Alle halbe Meter ist eine von ihnen in die Erde eingelassen. Oberirdisch bekundet ein schlichtes Namensschild, wessen Asche hier begraben wurde.

Ob ein Verstorbener im Auftrag von Angehörigen oder im Auftrag des Bezirksamtes zu Grabe getragen wurde, das steht da nicht. Es steht auch nicht in dem Schaukasten am Eingang des Friedhofs. Im Wochentakt werden dort die anstehenden Beerdigungen veröffentlicht: 9 pro Tag, mit Namen und Uhrzeit.

Selbst der Mitarbeiter, der die Urne in der Kapelle aufstellt bei leiser Musik und brennenden Kerzen, der die Aschekapsel in die kleine Grube absenkt und später das Schild mit Namen und Lebensdaten auf dem Grab feststeckt – selbst der weiß nicht, wer die Bestattung bezahlt hat. „Ab dem Friedhofstor sind bei uns alle gleich“, sagt Galina Kalugina von der Friedhofsverwaltung. Sie war es, die vor fünf Jahren dafür sorgte, dass inzwischen nahezu alle ordnungsbehördlichen Bestattungen auf dem Alten Domfriedhof stattfinden.

2014 habe sie in einem Pressebericht von “Schubkarrenbegräbnissen“ gelesen, sagt Kalugina. Von anonymen Beerdigungen im Minutentakt. Bestatter und Hinterbliebene hätten ihr ebenfalls von dieser Praxis berichtet. „Das konnte ich weder persönlich noch als Christin so hinnehmen“, sagt Kalugina. So schrieb sie erfolgreich alle Bezirke an, dass sie auf dem Alten Domfriedhof mehr Leistung bekämen: Eine stille Abschiednahme in der Kapelle und ein namentlich gekennzeichnetes Grab auf 20 Jahre. Und all das – wieder geht es ums Geld – für geringere Kosten: 365 Euro, billiger sei keine anonyme Beisetzung auf einem städtischen Friedhof.

45 Minuten Zeit nähmen sie sich auf dem Alten Domfriedhof für jede Beerdigung, sagt Kalugina. 15 Minuten stehe die Urne in der Kapelle – egal ob jemand kommt oder nicht. „Und es ist überhaupt nicht so, dass da nie jemand kommt.“ Dass es keine zahlungspflichtigen Angehörigen gibt, heiße noch lange nicht, dass niemand um den Toten trauert. Halbe Altersheime, Nachbar:innen, Freunde und Bekannte erschienen immer wieder bei den stillen Abschiednahmen. „Manchmal ist es nur ein einziger Trauergast, aber es waren auch schon über 200“, sagt Kalugina. Bei mehr als der Hälfte der ordnungsbehördlichen Bestattungen blieben die Bänke der Kapelle nicht leer.

Am Schluss eben der Tod: Sinnbildlich als Schädel auch in der Marienkirche zu sehen Foto: Stefan Boness/Ipon

Dass es nun Kritiker gibt, die sagen, der Wald aus grünen Plastikschildchen und die engen Urnengräber auf der Fläche alter Gräber seien der Würde der Verstorbenen nicht angemessen, lässt Kalugina kalt. „Wo waren die denn, als die Verstorbenen noch im 3-Minutentakt auf der grünen Wiese verscharrt wurden?“ Es sei nur eine kleine Zeremonie, die sie hier auf dem Alten Domfriedhof pflegten. Aber sie gebe den Verstorbenen einen Namen und den Hinterbliebenen noch Jahre nach der Beisetzung einen Ort der Trauer.

Larscheid, der Leiter des Reinickendorfer Gesundheitsamtes, wünscht sich mehr: Eine richtige Trauerfeier für jeden Verstorbenen etwa und einen einfacheren Weg für Hinterbliebene, davon zu erfahren. Ginge es nach ihm, so würden die ordnungsbehördlichen Bestattungen ganz verstaatlicht – weg von privatwirtschaftlichen Konkurrenzkämpfen, Dumpingpreisen und Akquiseüberlegungen. Das unengagierte Verhalten des Staates, es sei auch ein Signal an die Bürger, wie wenig sie ihm wert seien.

In der aktuellen Ausschreibung des Landesverwaltungsamtes ist zumindest ein einfacher Blumenschmuck für alle ordnungsbehördlichen Bestattungen vorgesehen. In der Kapelle des Alten Domfriedhofs wird er dann vor der schmucklosen Aschekapsel stehen, mit ihr zum Urnengrab getragen. Was in dieser Gesellschaft als würdevoller Abschied angesehen wird – auch für Menschen, an deren Grab vielleicht niemand steht – wird also weiter verhandelt.

Eines aber, sagt Galina Kalugina von der Friedhofsverwaltung des Alten Domfriedhofs, dürfe man dabei nicht aus den Augen verlieren: Ein einsamer Tod in Armut sei vor allem ein Symptom für ein einsames, armes Leben. „Ist das nicht der viel größere Skandal?“

Mitarbeit: Luise Land

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