Einsatz von Chemiewaffen in Syrien: Mehr Fragen als Antworten

Die USA halten einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien für möglich. Verlässliche Fakten gibt es kaum. Obama muss sagen, ob die „rote Linie“ überschritten ist.

Klare Beweise für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien gibt es bislang nicht. Bild: reuters

BERLIN taz | Nach Israel, Frankreich und Großbritannien spricht nun auch die US-Regierung davon, das syrische Regime habe möglicherweise in den vergangenen Monaten „in kleinem Maßstab“ chemische Waffen gegen die Aufständischen eingesetzt.

In einem Brief des Weißen Hauses an verschiedene Senatoren, unter anderem den Republikaner John McCain, einen vehementen Befürworter einer US-Militärintervention in Syrien, heißt es: „Unsere Geheimdienste kommen mit unterschiedlichen Graden von Gewissheit zu dem Schluss, dass das syrische Regime in kleinem Umfang chemische Waffen in Syrien eingesetzt hat, insbesondere das Giftgas Sarin.“

Der gleiche Brief macht allerdings sehr deutlich, dass es über diese Hinweise keinerlei Gewissheit gibt. Zwar basiere die Analyse inzwischen nicht mehr nur auf Opferfotos. Auf Fotografien und in einigen auf Youtube veröffentlichten Videos waren Verletzte mit weißem Schaum vor dem Mund zu sehen – ein Hinweis auf einen möglichen Giftgaseinsatz.

Zwei syrische Regierungsvertreter haben Vorwürfe aus den USA zurückgewiesen, wonach die Streitkräfte des Landes chemische Waffen gegen die Aufständischen eingesetzt haben sollen. Die Regierung habe keine chemischen Waffen verwendet und werde das auch nicht tun, sagte einer der beiden am Freitag in einem Interview der Nachrichtenagentur AP.

Ein weiterer Behördenvertreter bezeichnete die Vorwürfe als "Lügen" und zog eine Parallele zu falschen Anschuldigungen gegen den ehemaligen irakischen Machthaber Saddam Hussein, er habe Massenvernichtungswaffen gehabt.(ap)

Inzwischen sagen die britische und französische Regierung, sie seien im Besitz von Bodenproben, in denen Spurenelemente von Sarin gefunden worden seien. Nur: Niemand weiß, woher diese Proben genau kommen, wer sie wann genommen hat und ob sie tatsächlich im urprünglichen Zustand ins Ausland gelangt sind. „Die Transportkette ist unklar, so können wir nicht bestätigen, wo und unter welchen Umständen die Proben genommen wurden,“ schreibt das Weiße Haus.

Intervention ja oder nein?

US-Präsident Barack Obama hatte mehrfach betont, sollte das Assad-Regime chemische Waffen einsetzen, wäre damit eine „rote Linie“ überschritten und die USA würden über eine mögliche Intervention neu nachdenken. Zunächst war davon in Washington nicht die Rede.

„Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht und angesichts der Lehren, die wir aus unseren eigenen jüngsten Erfahrungen gezogen haben, reichen geheimdienstliche Einschätzungen nicht aus – nur glaubwürdige und bestätigte Fakten, die uns mit einem gewissen Grad an Sicherheit ausstatten, werden unsere Entscheidungsfindung leiten,“ heißt es im Brief des Weißen Hauses an führende Senatoren, womit direkter Bezug auf die falschen Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen genommen wird.

Zunächst schlossen sich die USA der Forderung Frankreichs und Großbritanniens an, UN-Experten sollten vorort die Fakten überprüfen. Das hat die syrische Regierung bislang allerdings abgelehnt.

Fragwürdiger Chemiewaffeneinsatz

Neben der doch sehr dünnen Beweiskraft der bisher vorgelegten Indizien weisen Militärexperten und Politiker aber auch darauf hin, dass überaus fragwürdig ist, warum das Assad-Regime chemische Waffen einsetzen sollte. Der erfahrene Kriegsreporter des britischen Observer, Peter Beaumont, schreibt: „Der Nutzen solcher Waffen wie Sarin, VX und Senfgas für jene, die skrupellos genug sind, sie einzusetzen, besteht nicht nur darin, dass sie eine große Menge von Menschen töten, sondern dass ihr Einsatz auch einen tiefen psychischen Eindruck hinterlässt. Anders gesagt: Gas setzt man gemeinhin nicht diskret ein, sondern nachdrücklich.“

Darauf geht auch der deutsche Linke-Abgeordnete und Militärexperte Jan van Aken in einer Pressemitteilung ein: „Militärisch ergibt der Eisnatz kleinster Mengen Sarin punktuell an einem Ort überhaupt keinen Sinn. Eine einzelne Saringranate bringt in einem Gefecht kaum taktische Vorteile, während sie strategisch mit dem großen Risiko behaftet ist, dass die USA militärisch angreifen. Ein Einsatz einzelner Sarinwaffen durch Assads Truppen wäre deshalb im höchsten Maße irrational.“

Im Unterschied dazu, schreibt van Aken, müsse man allerdings seit Barack Obamas Ankündigungen einer „roten Linie“ durchaus „damit rechnen, dass Rebellen alles daransetzen, einen Chemiewaffenangriff vorzutäuschen oder gar selbst auszulösen, um damit einen Kriegseintritt der USA zu provozieren.“

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