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Einst Israel-solidarische St.-Pauli-FansDie Stimmung kippt gegen Netanjahus Krieg

Erstmals positioniert sich die größte Fangruppierung beim FC St. Pauli gegen Israels Töten in Gaza. Der Verein lässt sie gewähren.

Richtungswechsel: St. Paulis Ultras fordern ein Ende des Tötens in Gaza Foto: Oliver Ruhnke/imago

Hamburg taz | Bei den Fans des FC St. Pauli kippt die Stimmung gegen Israels Kriegsführung im Gaza-Streifen. Die größte Fangruppierung Ultrà St. Pauli zeigte vor dem 2:1-Heimsieg gegen den FC Augsburg am Sonntagnachmittag ein strafraumbreites Banner mit der Aufschrift „Netanjahu Fascist! Stop Killing Civilians in Palestine!“.

Das ist insofern bemerkenswert, als der Verein und große Teile der links geprägten Fanszene sich als solidarisch mit Israel verstehen. Mit dem Verein Hapoel Tel Aviv besteht eine Fanfreundschaft. Nicht nur deshalb hatten Verein und Fans nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 Mitgefühl und Solidarität bekundet.

Dass die Ultras nun den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu als Faschisten bezeichnet haben, markiert eine Wende beim Thema Palästina. Denn die Gruppierung steht traditionell der antideutschen Szene nahe, die sich bedingungslos an die Seite des Staates Israel stellt. In Hamburgs radikaler Linker ist das eine starke Strömung, die sich rund um das besetzte Autonome Zentrum Rote Flora kristallisiert.

Unter den St.-Pauli-Fans bleibt das Thema umstritten, wie am Sonntag Transparente in anderen Tribünenbereichen zeigten. So pflichteten etwa Fans den Ultras bei mit einem Banner „Stop warcrimes in Gaza!“, also „beendet Kriegsverbrechen in Gaza“. Andere versuchten ein Gegengewicht zu setzen, mit dem Slogan „Free the hostages“, also „Befreit die Geiseln“, die die Hamas noch immer in ihrer Gewalt hat.

Likud und Hamas auf einer Stufe

Als Kompromissangebot kann gelten „Fuck Likud – Fuck Hamas“, das die Terrororganisation auf eine Stufe mit Netanjahus Regierungspartei stellt – mit dem sehr allgemeinen Zusatz „Freiheit für alle Unterdrückten“. Die vertretenden Meinungen bildeten ein Gleichgewicht zwischen Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und einer klaren Kante gegen Antisemitismus.

Im Mai hatten Ordnungskräfte ein Transparent mit der Aufschrift ‚Genozid in Gaza stoppen‘ beschlagnahmt

Wenngleich sich die organisierte Fanszene zuvor nie so eindeutig gegen das Vorgehen der israelischen Regierung gestellt hatte, sind propalästinensische Statements am Millerntor keine Neuigkeit. Beim ersten Heimspiel der Saison gegen Dortmund wurde ein „Ceasefire Now!“-Transparent gezeigt, also „Waffenstillstand jetzt!“, beim Saisonfinale wurde gefordert, Israel die „Rote Karte“ zu zeigen.

Beim Heimspiel gegen Stuttgart im Mai hatten Ordnungskräfte während der Halbzeitpause ein Transparent mit der Aufschrift „Genozid in Gaza stoppen“ beschlagnahmt. Das im Anschluss veröffentlichte Vereinsstatement blieb recht vage, gelobte auf der einen Seite, die Meinungsfreiheit zu respektieren, sprach sich aber auch gegen „polarisierende Schlagworte“ aus.

Kritik am Kapitän wegen Palästina-T-Shirt

Nach den Ereignissen vom Wochenende hat der Verein keine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Offenbar scheint ihm die Bezeichnung von Netanjahu als „Faschist“ eher von der Meinungsfreiheit gedeckt als der „Genozid“-Vorwurf gegen Israel.

Zuletzt hatte es um das Thema Kontroversen gegeben, als St. Paulis Kapitän Jackson Irvine sich bei einem Konzert mit einem T-Shirt des fiktiven „FC Palestina“ hatte fotografieren lassen. Darauf war auch stilisiert das Gebiet Palästinas abgebildet, unter Einschluss des heutigen Israel.

Aus der Fanszene waren danach vereinzelt Vorwürfe erhoben worden, Irvine würde damit Israel das Existenzrecht absprechen. Der Verein hatte damals keinen öffentlichen Kommentar abgegeben, aber angekündigt, mit Irvine zu sprechen. Irvine selbst zeigte sich später verletzt von Antisemitismus-Vorwürfen. Er habe lediglich auf das Leid der Menschen in Gaza aufmerksam machen wollen.

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