Eintracht-Frankfurt-Spieler Marco Russ: „Es wird noch ein langer Weg“

Eine Krebserkrankung warf Marco Russ aus der Bahn. Zwei Chemotherapien musste er durchstehen. Jetzt arbeitet er an seinem Comeback.

Porträt Marco Russ

„Ich laufe schon wieder 30 bis 35 Minuten am Stück“ – Marco Russ will nicht klein beigeben Foto: dpa

FRANKFURT taz | Jahresrückblicke sind gerade en vogue. Im Stadionmagazin der Eintracht Frankfurt Fußball AG (Eintracht vom Main) hat Marco Russ seine ganz persönliche Bilanz fürs ablaufende Jahr ziehen dürfen. „Kaum ein Adlerträger erlebte ein derartiges Wechselbad der Gefühle“, heißt es im Vorspann. Wohl wahr. Rückblende: Am 19. Mai dieses Jahres nimmt der tapfere Verteidiger seine Kinder Moses und Vida an die Hände, um sich von den Fans einen letzten Applaus abzuholen.

Gerade hatte die Identifikationsfigur, mit kurzer Unterbrechung seit zwei Jahrzehnten für den Bundesligisten am Ball, eine tragische Geschichte im Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg geschrieben. Ihm war ein Eigentor unterlaufen, dann hatte sich der 31-Jährige eine Gelb-Sperre eingehandelt – all das unmittelbar nach der schockierenden Diagnose, die durch erhöhte Hormonwerte bei einer Dopingprobe gestellt worden war: Hodenkrebs. Russ lief trotzdem auf eigenen Wunsch auf. „Ich wollte der Mannschaft unbedingt helfen.“

Als die Eintracht sich vier Tage später im Rückspiel rettete und in der ersten Liga blieb, lag der Defensivspezialist bereits im Krankenhaus. Am Morgen war er operiert worden, am Abend verfolgte er die Partie vom Krankenbett aus. Es folgte eine lange Leidenszeit. Zwei Chemotherapien musste er über sich ergehen lassen. In dieser Zeit weilte seine Frau Janina an seiner Seite, obwohl sich beide kurz zuvor getrennt hatten. Das Schicksal schweißte die Familie zusammen. Wie hat er das seinen Kindern erklärt? „Wir haben gesagt, dass Papa Zellen im Körper hat, die wehtun, und dass man dagegen angehen muss.“

Wegen der Infusionen habe er während der ersten Chemo zeitweise 103 Kilo gewogen. In der zweiten waren es nur noch 85 Kilo. „Weil ich gar nichts mehr herunterbekommen habe.“ Vorübergehend zog er sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück – und zeigte sich den Fans erst wieder im Sommer bei der Saisoneröffnungsfeier. Die Haare waren ihm ausgefallen, der Körper schwer gezeichnet, „aber es war ein schöner Tag, weil ich in diesem Moment immer näher an die Mannschaft gerückt bin. Vorher ging es einfach nicht“, sagt er.

Vertrag bei der Eintracht bis 2019 verlängert

Inzwischen ist Russ geheilt. Er arbeitet am Comeback. „Ich laufe schon wieder 30 bis 35 Minuten am Stück.“ Nur: Nach einem Koordinationstraining seien ihm kürzlich „die Waden komplett um die Ohren geflogen“. Aus medizinischer Sicht gebe es keinerlei Einschränkungen mehr, versichert Mannschaftsarzt Christoph Seeger. Der 276-fache Bundesligaspieler will zum Trainingsstart am 3. Januar wieder bei der Mannschaft sein. Vielleicht kann er auch am Tag darauf mit ins Trainingslager nach Abu Dhabi fliegen. „Mein Wunsch ist es, in der Rückrunde wieder das Level zu erreichen, um dem Team helfen zu können – aber ich setze mich da nicht unter Druck“, betont der gebürtige Hanauer. Gestern noch Krebspatient, morgen wieder Stammspieler – so schnell geht das nicht.

Cheftrainer Niko Kovac und Sportvorstand Fredi Bobic dämpfen eine übersteigerte Erwartungshaltung. „Marco ist im Aufbautraining. So schnell werden wir ihn nicht auf dem Platz sehen“, erklärt Kovac. Und Bobic ergänzt: „Es wird noch ein langer Weg für ihn.“ Der Verein hatte demonstrativ im September den Vertrag bis 2019 verlängert, um ein Zeichen der Wertschätzung für einen Führungsspieler zu setzen.

Niko Kovac, Eintracht-Trainer

„Marco ist im Aufbautraining. So schnell werden wir ihn nicht auf dem Platz sehen“

Russ fand es toll, dass ihm Menschen aus ganz Deutschland Mut zugesprochen haben. „Auch Kollegen und Fans anderer Vereine. Daran habe ich gemerkt, dass die Solidarität in Deutschland viel größer ist als Rivalität.“ Das Kämpferherz hatte damals sofort den Kontakt zu seinem langjährigen Mannschaftskollegen Benjamin Köhler (Union Berlin) gesucht, der an Lymphdrüsenkrebs erkrankt war. Und er weiß heute, dass er es vergleichsweise besser hatte: Sein Tumor, zumal so früh erkannt, war therapierbar.„Im Vergleich zu Bennys Krebs war meiner in Anführungszeichen Kindergarten“, gestand er in der Sportbild. Sein Rückfallrisiko liegt bei nur drei Prozent. Die Phase des Zittern und Bangens ist überwunden. „2016 steht für mich unter einem ganz besonderen Stern. Ich habe den Kampf gegen den Krebs gewonnen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.