Einwanderung nach Deutschland: Willkommen im Paragrafendschungel

Es gibt Möglichkeiten, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Aber die dazugehörenden Regeln sind kompliziert.

Die chinesische Pflegerin Song Xi und ihre 96-jährige Patientin

Sie hat einen Arbeitsplatz gefunden: Song Xi aus China arbeitet als Pflegerin Deutschland. Foto: imago

BERLIN taz | Wer heute vor den Bomben des syrischen Diktators Assad oder vor der Armut aus Niger und Ghana flieht, riskiert nicht selten sein Leben in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Und muss in Deutschland politisches Asyl beantragen. Obwohl sehr viele der Neuankömmlinge hier einfach arbeiten wollen – und die deutsche Wirtschaft diese Arbeitskräfte auch sucht.

Grundsätzlich ist sichere Einwanderung nach Deutschland schon heute möglich – legal, als Arbeitskraft, mit Visum. Doch die deutsche Bürokratie macht es den Interessierten schwer. Trotzdem ist das der Kern des Einwanderungsgesetzes, über das die Regierungsparteien nun diskutieren. Die SPD will es – das hat ihr Fraktionschef Thomas Oppermann gerade erst bekräftigt. Die Begeisterung in der Union dagegen ist weniger ausgeprägt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält es nicht für „vordringlich“.

Nehmen wir als Beispiel einen Klempner aus Damaskus, der gelernt hat, wie man Gas- und Wasserleitungen verlegt. Sein Beruf steht auf der „Positivliste“ der Bundesagentur für Arbeit – wie rund 80 weitere, etwa Bauelektriker, Kabelmonteur, Lokführer, Krankenschwester oder Altenpfleger. In diese Liste nimmt die Agentur Berufe auf, bei denen bundesweit weniger als drei Arbeitslose auf eine offene Stelle kommen und freie Arbeitsplätze länger als durchschnittlich unbesetzt bleiben. Dies gilt als Beleg dafür, dass die Firmen in Deutschland nicht mehr genug einheimische Bewerber finden.

Deshalb ist es seit zwei Jahren zum Beispiel auch Syrern, Eritreern oder Afghanen erlaubt, hierzulande einen Job in „Mangelberufen“ anzunehmen. Durchgesetzt hat das die ehemalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Allerdings kamen 2014 durch diese Tür nur 311 Personen nach Deutschland. Zwischen Januar und Juli 2015 schafften es 337.

Komplizierte Regeln

Die Gründe dafür liegen in den komplizierten Regeln. So muss der syrische Klempner, der in Deutschland arbeiten will, erst einmal seine Ausbildung als „gleichwertig“ zu einem deutschen Abschluss anerkennen lassen. Dafür ist er verpflichtet, seine Zeugnisse einzureichen, mitunter auch genaue Nachweise, welche Unterrichtsinhalte er wie lange gelernt hat. Die deutschen Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern, die die Unterlagen prüfen, verlangen oft übersetzte, beglaubigte Papiere. Bevor sie ihre Zustimmung erteilen, wollen sie in der Regel auch das konkrete Jobangebot einer deutschen Firma sehen.

Das alles per E-Mail aus Syrien oder Niger zu bewältigen, mag grundsätzlich möglich sein. Praktisch allerdings ist es sehr schwierig. Und haben die Bewerber überhaupt Chancen, die nötigen Schriftstücke zu besorgen, um die Gleichwertigkeit ihrer Fähigkeiten nachzuweisen? „In vielen Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, existiert kein Ausbildungssystem, das mit Deutschland vergleichbar wäre“, sagt Claudius Voigt von der Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster. Er plädiert dafür, die Anforderungen an die Ausbildungsnachweise herabzusetzen.

Auch Manager und Firmenchefs setzen sich mittlerweile dafür ein, diese Dinge besser und einfacher zu regeln. Viele Menschen, die das gar nicht wollten, würden „gezwungen, Asylanträge zu stellen“, sagte unlängst Klaus Engel, der Chef des Chemiekonzerns Evonik in Essen. „Wir brauchen jetzt endlich ein Einwanderungsgesetz.“

Die Blaue Karte hilft kaum

Zwar wurden bereits in den vergangenen Jahren mehrere Möglichkeiten geschaffen, um legal zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. So können Hochqualifizierte die Blaue Karte der EU erhalten. Der Erfolg dieser Öffnung für Arbeitsmigranten hält sich aber in Grenzen.

Insgesamt bekamen „im Jahr 2014 nur gut 37.000 Zuwanderer aus Drittstaaten“ außerhalb der EU „einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken“, heißt es in einer aktuellen Studie der Bundesagentur – nach Einschätzung der Experten viel zu wenige. Zum Vergleich: Rund 600.000 Arbeitsplätze können die deutschen Firmen derzeit nicht besetzen.

Auch dieser Gegensatz treibt die politische Debatte an. „In den letzten Jahren haben wir viele Gesetze liberalisiert, damit wir leichter Fachkräfte bekommen können. In der Realität zeigen diese Gesetze aber leider kaum Wirkung. Diese Regeln müssen wir durch ein einheitliches Gesetz vereinfachen“, sagt Cemile Giousouf, die Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Giousouf ist eine derjenigen in der CDU, die ihren Generalsekretär Peter Tauber unterstützen. Der verlangte von seiner Partei zu Beginn dieses Jahres, dass „wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden“. Ob sich der CDU-Bundesparteitag im Dezember aber wirklich zu diesem Anliegen bekennt, steht in den Sternen. Über die Lage in ihrer Bundestagsfraktion sagt Giousouf: „Weil gegenwärtig so viele Menschen zu uns kommen, ist die Ablehnung eines Einwanderungsgesetzes in der Unionsfraktion jetzt vermutlich größer als die Zustimmung.“

Hürden für Zuwanderer

Die Grünen und Linken haben die große Koalition dagegen aufgefordert, bis zum Jahresende ein solches Gesetz auszuarbeiten. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat sich festgelegt: „Wegen des demografischen Wandels droht bis 2050 ein massiver Fachkräftemangel. Deshalb sind wir auch auf Arbeitnehmer aus anderen Ländern angewiesen“, sagt Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher. Angesichts der niedrigen Geburtenrate würden bald „6,7 Millionen Erwerbsfähige“ in Deutschland fehlen.

Im Papier der SPD-Fraktion vom März 2015 sind zahlreiche Vorschläge enthalten, wie aus der kleinen Tür ein großes Tor werden könnte. Unter anderem sei es nötig, das Gewirr der „über 50 verschiedenen Aufenthaltstitel“ zu entrümpeln. Wer heute in das Aufenthaltsgesetz schaut, findet dort tatsächlich Dutzende Spezialregelungen. Nur Experten blicken durch, potenzielle Zuwanderer dürften an dieser Hürde oft scheitern.

Die SPD schlägt deshalb ein übersichtliches Punktesystem ähnlich dem kanadischen vor. Bewerber würden nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnissen und Jobangebot eingestuft. Wer eine hohe Punktzahl hat, darf rein. Das sei praktikabler als die heutige, langwierige Einzelfallprüfung, so die SPD.

Etwas Bewegung in diese Richtung ist neuerdings zu verzeichnen. Im Koalitionsausschuss am Sonntag beschlossen Union und SPD, in den kommenden fünf Jahren jeweils 20.000 Leuten vom Westbalkan die einfachere Einreise als Arbeitnehmer zu gestatten. „Das ist ein erster Schritt zu einem Einwanderungsgesetz“, kommentierte SPD-Fraktionschef Oppermann.

Wobei kurzfristig sicher drängendere Probleme in Deutschland zu bewältigen sind: Wohnungen beschaffen für 800.000 Einwanderer in diesem Jahr, Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen zur Verfügung stellen, die Flüchtlinge innerhalb der EU verteilen. Trotzdem müsse man auch an die langfristige Lösung denken, meint Wolfgang Grenz von der Fachkommission Asyl bei Amnesty International: „Gäbe es bessere Möglichkeiten für legale Migration, würde der Druck auf das Asylrecht abnehmen.“

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