Einwanderungsgesellschaft: Raus aus der Resignation

"Integration? Nein danke!" heißt eine Kampagne, die den Begriff als Machtmittel entlarven und das politische Bewusstsein von MigrantInnen wecken will.

Wörterbuch, Symbol der eigenen Sprache, dem Abweichen von der Norm. Bild: dpa, Oliver Berg

Was bedeutet der Begriff Integration eigentlich wirklich? Er bedeutet, dass Einwanderer ihre eigene Sprache und Herkunft als minderwertig und die deutsche Lebensweise als Norm begreifen sollen. Er diffamiert migrantische Communities als Parallelgesellschaften Unberechenbarer, denen die Schuld an Kriminalität, am Niedergang der Sozialsysteme und an schlechten Pisa-Ergebnissen zugeschrieben wird. Und wer als integriert erscheint, wird dann eben als terroristischer Schläfer angesehen."

Die Liste unterschiedlicher Bedeutungen des Begriffes Integration, die Garip Bali vom Verein Allmende vorträgt, ist noch viel länger. Der der Linkspartei nahestehende "Verein für alternative Migrationspolitik" hat im Herbst 2009 die "Plattform gegen Rassismus" ins Leben gerufen: als Reaktion auf die Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators und heutigen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin (SPD) über MigrantInnen, die seiner Meinung nach etwa außer für den Obst- und Gemüsehandel keine produktive Funktion hätten, aber Deutschland durch eine hohe Geburtenrate erobern wollten.

Am Dienstagabend startete die Plattform eine erste Veranstaltungskampagne - unter der Überschrift "Integration? Nein danke!" Den oberen Bogen des Fragezeichens bildet ein raubtierartiges Maul mit Reißzähnen.

Die Auftaktveranstaltung im Kreuzberger Familiengarten ist gut besucht, viele der etwa 100 Gäste müssen stehen. MigrantInnen unterschiedlichster Herkunft sind in der Mehrheit. Das zeige die Brisanz des Themas, freut sich Garip Bali. Am Ende seiner langen Aufzählung bedankt er sich ausdrücklich bei Thilo Sarrazin: Der habe deutlich gemacht, was mit dem Begriff Integration tatsächlich gemeint sei - nämlich Assimilation - und zudem, welche große Zustimmung diese Auffassung finde "durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch", so Bali. "Wir wollen aber nicht nur meckern", beendet er seine Analyse. "Wir wollen nach Alternativen zu diesem von der Mehrheitsgesellschaft diktierten Begriff suchen."

In der anschließenden Podiumsdiskussion schildern Hilmi Turan vom Migrationsbeirat und Martina Mauer vom Berliner Flüchtlingsrat, wie Integration gefordert und gleichzeitig - durch offen gesetzlich festgeschriebene oder auch versteckte Diskriminierung - verhindert wird. Etwa, indem Flüchtlingen durch die Pflicht zum Aufenthalt am zugewiesenen Wohnort und das Verbot einer Arbeitsaufnahme der Kontakt zur Aufnahmegesellschaft erschwert wird. Oder, indem selbst akademisch gebildete Nachkommen von Einwanderern bei Einstellungen benachteiligt werden.

Im Publikum hatte schon der eingangs gezeigte Kurzfilm "Das Märchen von der Integration" der Initiative Kanak Attak große Freude hervorgerufen: Er zeigt die Bemühungen einer jungen Einwanderin, den Forderungen eines Schreibens des "Staatssekretärs für Integration" nachzukommen, das sie auffordert, verschiedene Beweise für ihre Integration zu erbringen. Sie muss sich etwa mit einer deutschen Staatsbürgerin unterhalten, den Leitartikel einer deutschen Zeitung flüssig wiedergeben oder an einer typisch deutschen Vergnügungsveranstaltung teilnehmen - und sich das dann jeweils quittieren lassen. Als sie nach der letzten Prüfung - essen in einer typisch deutschen Gaststätte - die Toilette aufsucht, fehlt dort das Klopapier. Der jungen Frau bleibt nichts anderes übrig, als stattdessen den nun komplett ausgefüllten Integrationsnachweis zu benutzen.

"Von mir verlangt niemand Integration, Sprachkenntnisse oder gar das Akzeptieren einer deutschen Leitkultur", sagt in der Publikumsdiskussion ein britischer Teilnehmer. Dies gelte nur für die eigentlich Unerwünschten und das seien die Muslime, vor allem türkischer und arabischer Abstammung. "Armut, soziale Probleme und die damit verbundende gesellschaftliche Ausgrenzung betreffen aber alle Hartz-IV-Empfänger", so der Brite. Indem man den Focus der Debatte immer auf die Zuwanderer lege, verhindere man gesellschaftliche Solidarität.

"Wir diskutieren diese Themen seit den 80er Jahren", sagt ein anderer Teilnehmer afghanischer Herkunft. Zum Positiven verändert habe sich nichts, im Gegenteil: "Als damals afghanische Flüchtlinge kamen, die vor den Russen flohen, waren sie willkommen. Die heutigen, die vor dem Krieg der Europäer und Amerikaner flüchten, sind es nicht." Er habe keine Kraft mehr, Veranstaltungen wie diese zu organisieren: "Doch ich bewundere, dass Sie es tun. Geben Sie bitte nicht auf!"

Doch es gab auch Kritik an der Kritik des Integrationsbegriffs. Er finde den Titel der Kampagne problematisch, ja "gefährlich", so ein deutscher Teilnehmer, der sich als grüner Bezirksverordneter vorstellte. Der Begriff enthalte doch auch "ein Versprechen". Sie fände Balis Analyse zu negativ, stimmte eine türkeistämmige Teilnehmerin zu: "Ich definiere Integration nicht so." Ein anderer, ebenfalls Türkeistämmiger, widersprach: Er sei mit seinen Integrationsversuchen doch stets gescheitert. "Ich wurde immer wieder auf mein Ausländersein reduziert." Dies habe ihn bewogen, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht anzunehmen.

Die Vorschläge der Podiumsdiskutanten, wie die Probleme anzugehen seien, ähnelten zum Teil erstaunlich denen deutscher Integrationspolitiker: "Wir müssen die Forderungen eher an uns selbst richten, nicht an die anderen", so Hilmi Turan. MigrantInnen sollten selbstbewusster auftreten und sich mehr in die Gesellschaft einbringen.

Zunächst müsse aber die durch jahrelang Ausgrenzung entstandene Resignation aufgebrochen werden, so Garip Bali: Die führe zu Rückzug oder zum Festklammern an traditionellen Werten "und spielt so wieder Sarrazin in die Hände". Sein Weg: "Wir müssen das politische Bewusstsein der MigrantInnen wecken, wir müssen sie politisieren!"

Dies will die Kampagne "Integration? Nein danke!" künftig mit einer Reihe von Diskussions- und Infoveranstaltungen angehen. Am 24. April stellt sich die Initiative beim "Gayhane" im Kreuzberger SO 36 vor, am 1. Mai gibt es einen Infostand auf dem Mariannenplatz, am 6. Mai wird im Verein Allmende über "Antimuslimischen Rassismus als gesellschaftliche Krisenbewältigungsstrategie" diskutiert.

Infos unter www.integration-nein-danke.org

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