Eisschnelllauf bei Olympia: Bauchklatscher ins Glück

Mit einer bäuchlings ins Ziel schlitternden Anni Friesinger qualifizieren sich die Eisschnellläuferinnen fürs Finale und gewinnen ohne sie äußerst knapp die Goldmedaille.

Freestyle-Friesinger bei ihrer Zielankunft im Halbfinale. Bild: dpa

VANCOUVER taz | Markus Eicher hat ganze Arbeit geleistet. Denn einst brachte er Anni Friesinger das Schwimmen bei. Eicher arbeitete früher gelegentlich als Schwimmlehrer. Friesinger muss damals vier oder fünf gewesen sei, als sie das Seepferdchen machte, erinnerte sich Eicher in Vancouver. Jetzt ist er Bundestrainer der deutschen Eisschnellläufer und durfte in der Nacht zu Sonntag mit ansehen, was seine Elevin im Halbfinale des Teamwettbewerbs auf der Kraulstrecke draufhatte.

Normalerweise laufen die Athletinnen ja auf Schlittschuhen ins Ziel, aber Friesinger hatte nach einem Wackler in der vorletzten Kurve und einer kräftezehrenden Aufholjagd derart weiche Knie, dass sie auf der Zielgeraden hinplumpste. Sie rutschte auf dem Bauch dahin wie ein Pinguin ins Wasser. Dabei zappelte sie wild mit den Armen, als habe sie Angst unterzugehen. Dann drehte sich Freischwimmerin Friesinger und streckte ein Bein nach vorn.

In dieser bemitleidenswerten Lage passierte sie das Ziel. Fast jeder im Olympic Oval von Richmond, einschließlich der Gestürzten, war sich sicher, dass die deutsche Teamstaffel um Stephanie Beckert, Daniela Anschütz-Thoms und Friesinger draußen war. Doch welch Wunder, das Team der US-Amerikanerinnen war trotz Friesingers Bauchklatscher hinter dem deutschen Trio platziert.

Zuerst waren es zwei Zehntel, später zeigte die Tafel einen Vorsprung von sechs Hundertstelsekunden an, im offiziellen Endergebnis waren es schließlich 23 Hundertstel. Offenbar war auch die Zeitnahme nicht vorbereitet auf solch ein Ereignis. "Super, dass sie den Fuß nach vorn geschlagen hat, das hat es genau gebracht", lobte Eicher, "denn der Transponder am Schlittschuh löst ja die Zeitnahme aus, nicht der Arm oder der Körper."

"Ich wollte nur noch ins Ziel krabbeln, mehr wollte ich nicht", sagte Friesinger. "Ich habe natürlich gedacht, dass ich es den Mädels vermasselt habe, aber dann stand auf der Anzeigetafel doch die Eins." Sie wurde auch sogleich vom Erfurter Stützpunkttrainer Stephan Gneupel über den glücklichen Ausgang des Rennens informiert: "Wir hams geschafft", rief er ihr zu und half Friesinger auf. Vermasselt war in der Tat noch gar nichts.

Die Deutschen standen im Finale gegen die Japanerinnen, und die Frage war nur, ob Friesinger, die über Kniebeschwerden klagte, auch im Endlauf ums Oval kurven würde. Sie zog zurück, überließ der Berlinerin Katrin Mattscherodt das Feld und schaute im finalen 3000-Meter-Rennen der Frauen zu, was "schrecklich" gewesen sei, wie sie hinterher bekannte.

Angeblich sei dieser Tausch schon am Vortag beschlossene Sache gewesen, aber da hatte sich die Deutsche Eisschnellauf-Gemeinschaft (DESG) wohl auf eine Sprachregelung verständigt. Eicher behauptete, "zu 80 Prozent" habe bereits festgestanden, dass Friesinger im Finale nicht laufe. Es darf als sicher gelten, dass Mattscherodt nicht gelaufen wäre, wenn Friesinger normal ins Ziel gekommen wäre.

Friesingers Kolleginnen, von den Coaches nur "Matschi", "Schützi"und Steffi genannt, liefen ein Rennen, das nicht minder spektakulär verlief. Sie blieben zwar alle auf den Beinen, aber zwischenzeitlich lagen sie bereits über 1,7 Sekunden und damit scheinbar aussichtslos zurück. Doch die Erfurterin Stephanie Beckert, die bereits zwei Silbermedaillen über die Langdistanzen in Vancouver gewonnen hatte, zog in den letzten beiden Runden das Tempo derart an, dass es für den klitzekleinen Vorsprung von zwei (!) Hundertstelsekunden reichte. Gold hatten alle Vier gewonnen, auch das Sturzopfer aus Inzell, das seit seiner Heirat mit einem holländischen Skater Friesinger-Postma heißt und in Salzburg Steuern spart.

"Was will ich mehr, das ist sehr versöhnlich", sagte Friesinger, wohlwissend, dass ihr in dieser Saison nicht besonders viel auf den 400-Meter-Bahnen dieser Welt gelungen ist. "Aber auch wenn alle draufschlagen, ich gebe nicht auf, das habe ich mir immer gesagt, in dieser Medaille steckt ganz viel Geschichte drin und ganz viel Nerven", erzählte Friesinger einer Traube von Journalisten.

Daneben stand Stephanie Beckert, die Hauptverantwortliche für den hauchdünnen Triumph. Keiner interessierte sich so richtig für die stille Thüringerin. Wenigstens fand die umgarnte Anni Friesinger, 33, lobende Worte für die 21-Jährige neben ihr. "Sie bringt uns nach Hause, das war perfekt." Beckert lächelte schüchtern.

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