Eklat bei den Salzburger Festspielen: "Dann folgt der Tod"

Der frühere UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler wollte bei den Salzburger Festspielen eine Rede halten. Man hat ihn aber nicht gelassen. Veröffentlicht hat er sie trotzdem.

Jean Ziegler, Paradelinker und streitbarer Sozialoge, darf nicht zu den Reichen und Schönen sprechen. Bild: dpa

WIEN taz | Er hätte sich gefreut, wenn "die Geldsäcke, die dort sitzen" eine halbe Stunde zuhören müssen. So begründete der streitbare Schweizer Soziologe Jean Ziegler, ehemaliger UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, dass er die Einladung zur Eröffnung der Salzburger Festspiele angenommen hatte.

Der sommerliche Hochkulturevent wird nächsten Donnerstag ohne Ziegler eröffnet werden. Denn Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, SPÖ, zog ihre Einladung schon im April wieder zurück. Als Begründung wurde angeben, der 77jährige Schweizer Paradelinke hätte den Gaddafi-Menschenrechtspreis mitbegründet.

Zieglers Vermutung hingegen ist eine andere. Er glaubt, die Sponsoren der Festspiele hätten interveniert. Das wurde aber erst vergangenen Samstag wieder von Festspiel-Direktorin Helga Rabl-Stadler heftig dementiert: "Die sind viel zu intelligent für so was". Die Rede blieb jedenfalls ungehalten.

Doch die dramatische Hungersnot am Horn von Afrika hat Ziegler jetzt bewogen, seinen Appell zumindest schriftlich herauszubringen. Der Salzburger Ecowin-Verlag bringt sie unter dem Titel "Der Aufstand des Gewissens" am Montag als Broschüre auf den Markt. Ziegler hält sich entgegen seiner Angewohnheit kurz, formuliert aber gewohnt drastisch.

"Dann folgt der Tod"

Man kann sich vorstellen, dass es den Festgästen tatsächlich den Appetit auf das anschließende Buffet verschlagen hätte: "Bei unterernährten Kindern setzt der Zerfall nach wenigen Tagen ein. Der Körper braucht erst die Zucker-, dann die Fettreserven auf. Die Kinder werden lethargisch, dann immer dünner. Das Immunsystem bricht zusammen. Durchfälle beschleunigen die Auszehrung. Mundparasiten und Infektionen der Atemwege verursachen schreckliche Schmerzen. Dann beginnt der Raubbau an den Muskeln. Die Kinder können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ihre Arme baumeln kraftlos am Körper. Ihre Gesichter gleichen Greisen. Dann folgt der Tod".

Die Zahlen kennt man schon aus früheren Ziegler-Ansprachen: "Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37.000 Menschen verhungern jeden Tag und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe World-Food-Report der FAO, der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte. Schlussfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht".

Fazit: "Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet". Ziegler beschreibt, wie die UNO-Beamten vor dem Flüchtlingslager Dadaad die hoffnungslosen Fälle abweisen: "Nur noch ganz wenige – die eine Lebenschance haben – kommen herein". Verantwortlich für das Massensterben seien die reichen Geberländer, die so viele Tausend Milliarden Dollar in die Rettung der Banken gesteckt hätten, dass das Budget des Welternährungsprogramms von sechs Milliarden (2008) auf nur mehr 2,8 Milliarden (2011) zusammengeschmolzen sei.

Dieses Geld sei aber noch weniger wert, denn: "Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen (Chicago Commodity Stock Exchange, u. a.) umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis lag im Jahr zuvor genau bei der Hälfte. Reis ist um 110% gestiegen. Mais um 63%".

Salzburg: Ort der Mogule

Für alle, die den Zusammenhang noch nicht begriffen haben: "Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung". Ziegler sieht aber auch Grund für Optimismus: "Die Hoffnung liegt im Kampf der Völker der südlichen Hemisphäre, von Ägypten und Syrien bis Bolivien, und im geduldigen, mühsamen Aufbau der Radikal-Opposition in den westlichen Herrschaftsländern. Kurz: in der aktiven, unermüdlichen, solidarischen, demokratischen Organisation der revolutionären Gegengewalt. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Der Tag wird kommen, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden".

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