Elbchaussee-Prozess in Hamburg: Auf keiner Seite ein Erfolg

Im G20-Prozess sind am Freitag fünf Männer verurteilt worden. Richterin Meier-Göring äußerte sich kritisch gegenüber der Staatsanwaltschaft.

Rauch über Hamburg: Während des G20-Gipfels brannten in der Elbchaussee die Autos Foto: Boris Roessler/dpa

HAMBURG taz | Selten habe die Wahrheit in einem Gerichtsverfahren so sehr in der Mitte gelegen, wie im Elbchaussee-Prozess, konstatierte die vorsitzende Richterin des Hamburger Landgerichts, Anne Meier-Göring, als sie am Freitag Morgen das Urteil verkündete. Entsprechend im mittleren Bereich befindet sich auch das Strafmaß: Zwei Angeklagte aus Hessen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, kommen mit Arbeitsauflagen davon, die beiden anderen Hessen mit Bewährungsstrafen. Der französische Angeklagte Loïc S. wird zu drei Jahren Haft verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, sich am Morgen des 7. Juli 2017 im Rahmen des G20-Protests an den Ausschreitungen in der Elbchaussee beteiligt zu haben. Rund 200 Personen waren etwa eine halbe Stunde lang von der Polizei unbehelligt durch das Reichenviertel gezogen und hatten massive Sachschäden angerichtet. Sie setzten Autos und Mülleimer in Brand und schlugen Scheiben von Geschäften und einem Wohnhaus ein. Zudem wurde die Tür eines Linienbusses beschädigt, in dem sich verschreckte Fahrgäste befanden.

Doch trotz der wohl aufwendigsten Öffentlichkeitsfahndung der Polizeigeschichte war es den Ermittler*innen nicht gelungen, die tatsächlichen Brandstifter*innen und Steinwerfer*innen zu erwischen. Die fünf Angeklagten waren zwar dabei, richteten aber, so sieht es auch die Staatsanwaltschaft, persönlich keinen Schaden an – bis auf einen Böllerwurf durch Loïc S. Ihm rechnet das Gericht außerdem vier Stein- und Flaschenwürfe im Schanzenviertel zu.

Trotzdem forderte der Staatsanwalt, den Angeklagten alle aus der Demonstration verübten Taten und den gesamten Sachschaden von geschätzt einer Million Euro zuzuschreiben. Der Aufzug sei arbeitsteilig organisiert und auf größtmögliche Zerstörung ausgerichtet gewesen – deshalb seien alle für alles haftbar zu machen. Es wäre ein neues Kapitel Rechtsgeschichte gewesen.

Kritische Worte zur Staatsanwaltschaft

Doch Meier-Göring folgte dieser Rechtsauslegung nur in Teilen. Die vermummten Angeklagten hätten sich dem Schwarzen Block angeschlossen, um sich mit der Gewalt, die von einem schwarzen Block normalerweise ausgehe, zu solidarisieren und psychische Beihilfe zu leisten. Deshalb machten sie sich des Landfriedensbruchs und der Beihilfe zu Brandstiftungen schuldig. Mit den Angriffen auf das Wohnhaus und den Linienbus hätten sie jedoch nicht rechnen können, da es für solche Aktionen in linken Kreisen keinen Konsens gäbe.

Mit deutlichen Worten wendete sich die Richterin an die Staatsanwaltschaft und den ersten Strafsenat des Oberlandesgerichts. „Sie haben politische Stimmungsmache gegen die Kammer und die Angeklagten betrieben“, so der Vorwurf der Richterin. Die Staatsanwaltschaft hatte die Kammer zu Beginn des Verfahrens als „zu milde“ abgelehnt. Meier-Göring ist dafür bekannt, polizeiliche Ermittlungen kritisch zu hinterfragen. Bereits im Verlauf des Prozesses kritisierte sie die Polizeiarbeit scharf. Auf das Wort der Hamburger Sonderkommission „Schwarzer Block“ sei kein Verlass, hatte die Richterin im Laufe der Zeugenbefragungen festgestellt.

Protest vor dem Hamburger Landgericht zur Urteilsverkündung Foto: Jannis Grosse/imago

Die Behauptung der Staatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts, der Aufzug sei genau durchgeplant und paramilitärisch organisiert gewesen, sei ein juristischer Trick gewesen, eine Mär, die mit der Beweisaufnahme nichts zu tun habe, so Meier-Göring. Zwischen den Zeilen schwingt mit: Die Staatsanwaltschaft habe sich nicht dafür interessiert, was die Beweisaufnahme ergab. Sie hatte ihre politische Agenda.

Trotz des relativ milden Urteils für die hessischen Angeklagten ist das Urteil auch für die Verteidigung kein Erfolg. Alle Verteidiger*innen hatten auf Freispruch plädiert: Ihre Mandanten hätten lediglich ihr Grundrecht auf Versammlung ausüben wollen. Es wäre Aufgabe der Polizei gewesen, eine friedliche Versammlung zu ermöglichen, so die Verteidigung.

Mit dem Urteil ist einer der letzten großen Komplexe in der juristischen Aufarbeitung der G20-Proteste zu Ende gegangen – vorerst. Die Staatsanwaltschaft hat bereits durchklingen lassen, dass sie ein niedrigeres Urteil als die geforderten Haftstrafen von zweieinhalb und drei Jahren für die Hessen und knapp fünf Jahren für Loïc S. nicht akzeptieren würde. Dann muss die letzte Instanz entscheiden: Der Bundesgerichtshof.

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