Elfi Mikesch über ihren Film „Fieber“: Die Macht des Schweigens

Von Kolonialkriegstraumata und der kindlichen Neugier auf das Ungesagte: Ein Gespräch mit Elfi Mikesch über ihr neuestes Werk.

Nicole Max, Martin Wuttke und Carolina Cardoso in „Fieber“. Bild: Berlinale

taz: Frau Mikesch, Ihr Film weckt die Erinnerung an vergessene Kolonialkriege.

Elfi Mikesch: Die Fotografien, die der Vater meiner Hauptfigur Franziska aufgenommen hat, stammen aus der Zeit zwischen 1922 und 1932. Es sind Bilder aus meinem Privatarchiv, die mein Vater als französischer Fremdenlegionär in Algerien, Marokko und Syrien, damals französisches Protektoratsgebiet, aufgenommen hat. Mein Alter Ego vertieft sich als Kind in die Bilder und stellt Fragen. Wer ist der Feind? Was ist mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“? Die Mutter antwortet: „Beim Militär darfst du töten.“

Nach einer langen Karriere als Fotografin, Kamerafrau und Regisseurin kommen Sie auf die authentischen Bilder Ihrer Kindheit zurück.

Es sind Bilder des spanisch-französischen Rifkrieges und des Widerstands der Berber unter Abd al-Karim. Die Spanier unterdrückten den Aufstand unter Einsatz von Giftgas. Deutschland war eingebunden, denn das Senfgas wurde in Hamburg produziert und nach Spanien geliefert.

Geboren 1940 in Judenburg, Österreich, ging als Fotografin um 1965 mit ihrem Mann, dem Maler Fritz Mikesch, nach Westberlin. Sie drehte rund vierzig experimentelle Dokumentar- und Spielfilme wie „Ich denke oft an Hawai“ (1978), „Was solln wir denn machen ohne den Tod?“ (1980), „Verführung: Die grausame Frau“. Sie war Kamerafrau für Rosa von Praunheim, lehrte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und ist Mitglied der Akademie der Künste.

Ihr Film geht von dem Nachhall der Kriege in der Beziehung zwischen Vater und Tochter aus. Die autobiografischen Elemente treten in der fiktionalen Erzählung zurück. Legen Sie Hinweise auf die Giftgasattacken im gegenwärtigen syrischen Bürgerkrieg nah?

Schon im Ersten Weltkrieg wurde das katastrophale Senfgas eingesetzt, aber Giftgasbomben aus Flugzeugen setzte man zuerst in diesem Kolonialkrieg in Marokko ein. Das war ein Experiment mit verheerenden Folgen für Menschen und Tiere. Bis heute ist die Krebsrate in dieser Region sehr hoch.

Anfang der fünfziger Jahre wächst die kleine Franzi (Carolina Cardoso) in einem bedrückenden Elternhaus im österreichischen Städtchen Judenburg auf. Erwachsen und als erfolgreiche Fotografin macht sich Franziska (Eva Mattes) auf die Reise nach Novi Sad, um auf den Spuren ihres rigiden und fieberkranken Vaters (Martin Wuttke) zu ergründen, warum er über seine Taten als französischer Fremdenlegionär in Algerien, Marokko und Syrien beharrlich schwieg. Die Fotoalben des Vaters konfrontieren das Kind mit vergessenen Kolonialkriegen des 20. Jahrhunderts. „Fieber“ erzählt, wie die elfjährige Franzi versucht, Licht in das Familiengeheimnis zu bringen.

Regie: Elfi Mikesch. Österreich/Luxemburg 2014, 80 Min.

Mittwoch, 12.02.2013, Cinestar 3, 17.45 Uhr; 13. 2., International, 14 Uhr

Sie blenden im Film von den Erinnerungen der Fotografin Franziska zurück in die kindliche Wahrnehmung.

Mir war wichtig, mit den Mitteln des Spielfilms von der Ausnahmesituation und Grausamkeit des Krieges zu erzählen, ohne dass Action ins Spiel kommt. In „Fieber“ findet der Krieg in der Vorstellung des Kindes statt, das um 1952 elf Jahre alt ist. Die Kriege des Vaters kennt es nur aus Erzählungen. Wie verarbeitet ein Kind die Konfrontation? Was imaginiert es, wenn es keine Antworten auf seine Fragen findet? Diese andere, fragmentarische Perspektive auf Geschichte interessierte mich.

Gestalten aus den Erzählungen des Vaters schauen dem Mädchen über die Schulter.

Unsere Eltern erzählen uns Geschichten, aber was verschweigen sie? Wir alle kennen diese Erfahrung, die Franzi macht. „Schweigen ist Macht“, sagt der Vater über sein Weltbild.

Aber Sie zeigen ihn bei seinen Versuchen, das Erlebte aufzuschreiben. Das Kind erschließt sich die Geschichte zudem aus Fotoalben. Erzählung ist ein explizites Motiv in Ihrem Film.

Er will erzählen, aber was verschweigt er? Franzi stöbert neugierig in seinen Sachen und betritt einen Raum, den sie wie in einem bösen, abgründigen Märchen nicht betreten sollte. Die Gespenster, die ihr erscheinen, sprechen aus, was das Kind von den Erwachsenen aufgeschnappt hat. Mich faszinieren die Imaginationen, die aus diesem Zwischenreich entstehen.

Fotografien, mit denen wir Nachgeborene zum Beispiel die Naziverbrechen rekonstruieren, scheinen meist viel zu verschweigen.

Deshalb beschäftigt es mich, Fotografien zu lesen und hinter die Bilder zu schauen. Wir kennen die grausamsten Holocaust-Bilder und die Hungergeschichten der Welt. Mir ist wichtig, was diese Bilder mit uns machen, wenn wir uns an sie gewöhnen.

Erzählt die skeptische Haltung der Protagonistin von Ihrer Haltung zur Fotografie?

Franziska fotografiert einmal im Schlachthof ein Tier, das kurz zuvor noch gelebt hat. Sie sieht die Zuckungen und antwortet auf die Frage des Metzgergehilfen, was am Ende bei ihrer Arbeit herauskommt: „Nur ein Bild.“ Sie will das Vorher und ein Nachher der Bilder ergründen.

Sie kreieren einen emotionalen filmischen Raum, der die Fotoalben des Vaters in Bewegung setzt.

„Fieber“ wurde von unserem Kameramann Jerzy Palacz sehr fotografisch gefilmt. Ich untersuche diesen Zwischenraum. Bei der Fotografie halten wir inne, wir können eine Geschichte hineininterpretieren. Im Film bekomme ich tatsächlich eine Geschichte erzählt.

Wo sehen Sie Ihren Film in der Debatte über Geschichtsbilder? Ist die Vaterfigur nicht eher ein Opfer als ein Täter?

Er ist als Soldat ambivalent, Opfer und Täter zugleich. Das Kind stellt die entscheidende Frage, die auch eine Anklage sind. Es liebt Vater und Mutter, muss aber erkennen, dass das ideale Bild der Eltern nicht existiert, andererseits erleiden Soldaten die Kriege auch. Sie sind traumatisiert, auch in allen gegenwärtigen Kriegen. Opfer und Täter können oft nicht über die Verrohung sprechen. Dagegen möchte ich den Dialog zwischen Sprache, Musik und Bild setzen.

Franzi, ihr Bruder und die Mutter lieben den unmöglichen Vater. Anstatt individuell anzuklagen, stelle ich die universelle gesellschaftliche Frage, warum es Armeen gibt und warum mit Waffen Geld verdient wird. Es ist uns nicht bewusst, dass Deutschland an dritter Stelle des internationalen Waffenexports steht und durch die Lieferung von Komponenten zur Giftgasproduktion indirekt an den jüngsten Giftgasattacken in Syrien beteiligt ist. Ich setze bei der Familie, dem kleinsten Glied der Gesellschaft, an.

Sie spalten die weibliche Gegenwelt auf. Neben der Mutter gibt es Marguérite, die Nachbarin und Geliebte des Vaters, die Sie als erotische Ikone beschreiben. Ist sie eine Fantasiefigur des Kindes Franziska?

Das bleibt offen. Marguérite ist Franzis Verbündete, wenn sie sagt: „Geheimnisse sind dazu da, gelüftet zu werden.“ Aber die offengelegten Geheimnisse schrecken das Kind auch. Merkwürdig, dass die Eltern gegenüber den Bildern alles andere als verschwiegen sind. Sie darf sie wie böse Märchen anschauen. Franziska sagt einmal: „Ich habe mich mit diesen Bildern zugedeckt, ich dachte, mich sieht keiner, aber ich dafür die Welt.“

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