Emissions Gap Report: Das Prinzip Hoffnung
Nie wurde mehr Kohlenstoffidioxid in die Atmosphäre geblasen. Ein UN-Report lässt kaum Hoffnung auf die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.
Neuer Emissionsrekord: Noch nie stieg der Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre so stark an wie im Jahr 2024. Legte der Gehalt des klimaschädlichen Gases in den 1960er Jahren durchschnittlich um rund 0,8 Teilchen pro Million (ppm) zu, so waren es im vergangenen Jahr fast viermal so viel: 3,5 ppm. Laut Erhebung der Weltwetterorganisation WMO liegt die Konzentration nun bei 423,9 ppm.
Wie vor Jahrzehnten von der Wissenschaft vorhergesagt, entspricht diese Konzentration einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad: 2024 war die Erdoberfläche 1,55 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Nun hat das UN-Umweltprogramm UNEP den „Emissions Gap Report“ des Jahrgangs 2025 vorgelegt. Dieser ist Teil des Paris-Prozesses, er ist quasi eine „Buchhaltung der Hoffnung“. Und um es vorwegzunehmen: Aktuell sieht es ziemlich finster aus, die Welt ist auf einem 2,5-Grad-Kurs.
Zehn Jahre ist es her, dass das Paris-Protokoll beschlossen wurde. In diesem verpflichten sich alle Länder der Welt, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur „deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau“ zu halten und „Anstrengungen“ zu unternehmen, 1,5 Grad nicht zu überschreiten. Das Neue an diesem Vertrag: Die Staaten „dürfen“ der UNO melden, welches Reduktionsziel sie sich setzen. Experten der Unep rechnen dann zusammen, wohin die Erderwärmung voranschreitet, wenn diese Selbstverpflichtungen eingehalten würden – im „Emissions Gap Report“.
Dieses „dürfen“ mag komisch klingen: Bis zum Paris-Vertrag galt das Kyoto-Protokoll von 1997, in dem die Industriestaaten ihre Schuld als Verursacher des Klimawandels anerkannten. Deshalb waren sie verpflichtet, ihre Emissionen zu senken, nicht aber die Schwellenländer und die Staaten des Globalen Südens.
Weil aber die Emissionen in Staaten wie China, Saudi-Arabien, Indien, Mexiko oder Katar viel stärker angestiegen sind, als die Industriestaaten reduzierten, war klar, dass es ohne Klimaschutz in diesen Ländern nicht geht. Allerdings beharrten Länder wie China, Katar oder Saudi-Arabien darauf, in der Welt der Klimadiplomatie weiterhin als Entwicklungsland zu gelten, denn diese genießen in der Klimarahmenkonvention von 1992 – Grundlage des gesamten Prozesses – Privilegien.
Beispielsweise jenes, die eigenen Emissionen nicht senken zu müssen. Deshalb ist „Freiwilligkeit“ Grundlage des Paris-Vertrages: Die „Nationally Determined Contributions“ – abgekürzt NDC – sind national festgelegte Klimabeiträge, das Herzstück des Pariser Klimaschutzabkommens. Aktuell könnten diese bei der UNO eingereichten Selbstverpflichtungen der einzelnen Länder in Summe die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf 2,3 bis 2,5 Grad reduzieren. Ohne Klimaschutzmaßnahmen könnte sich die Erde um bis zu 6 Grad mehr erhitzen. „Die Staaten sind nach wie vor weit davon entfernt, das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen“, heißt es im Bericht, es gibt also eine Reduktionslücke.
Der Hamburger Klimaforscher Mojib Latif weist zudem auf eine Schwachstelle des Pariser Systems hin: „Die Staaten tun nicht das, was sie der UNO versprechen.“ Derzeit würde Klimaschutz überall rückabgewickelt, „in den USA, in der EU, auch in Deutschland“. Die absurde Debatte über eine Verschiebung des Verbrenner-Aus sei nur ein Beispiel: „Solange die Emissionen steigen, so lange gibt es auch ein ‚Gap‘ zwischen erklärtem Ziel und politischer Wirklichkeit“, so Latif gegenüber der taz.
Dass der „Emissions Gap Report“ unmittelbar vor der Klimakonferenz COP30 erscheint, ist kein Zufall: Am Montag startet die 30. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention im brasilianischen Belém. Die UNO „bittet“ wie jedes Jahr die Vertragsstaaten darum, ihre Selbstverpflichtungen zu verschärfen. Jene Pläne, die 2024 gültig waren, schafften nur eine Temperaturreduzierung von 2,6 bis 2,8 Grad, wie der „Emissions Gap Report“ im vergangenen Jahr ergeben hatte. 64 Staaten kamen bislang der Bitte der UNO nach, darunter Angola, Kuba, Moldawien, Nordmazedonien, Malaysia und Uruguay. Deshalb sind nun 0,3 Grad weniger möglich im Vergleich zum Bericht 2024.
Eisschilde kollabieren
Was allerdings immer noch viel zu viel ist: Der „Global Tipping Points Report“ hatte Mitte Oktober davor gewarnt, dass bei einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad die Eisschilde auf Grönland und in der Westantarktis unwiderruflich kollabieren. Das hätte einen Anstieg des Meeresspiegels von mehreren Metern zur Folge und einen Zusammenbruch bestimmter Meeresströmungen, beispielsweise den für Europa so wichtigen Golfstrom. Der wird angetrieben durch kaltes, salziges Wasser rund um den Nordpol. Strömt aber immer mehr Süßwasser vom grönländischen Gletscher nach, verändert sich die für das Fallen des Meeresspiegels notwendige Konzentration. Die Korallen, eines der 17 Kippelemente, sind dem Bericht zufolge bereits unrettbar verloren.
Deutschland oder ein anderes Mitglied der EU haben übrigens ihre NDCs bis Redaktionsschluss nicht nachgeschärft; die EU-Umweltminister tagten am Dienstag zu dieser Frage in Brüssel. Die USA ist unter Donald Trump ganz ausgestiegen aus dem Pariser Klimaabkommen. „Das Zeitfenster, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, schließt sich rapide“, erklärt Savio Carvalho, Sprecher der internationalen Klimaorganisation 350.org. Die COP30 müsse ein Wendepunkt werden, „an dem die Staats- und Regierungschefs aufhören, Ausreden zu suchen“.
Klimaforscher Latif findet besorgniserregend, wie stark der Anstieg der Treibhausgasemissionen im vorigen Jahr ausfiel: „Ein Grund dafür ist, dass die Natur immer stärker ihre Fähigkeit einbüßt, Treibhausgase zu speichern“, so Latif, der seit 2022 Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg ist. Wälder, Moore und Ozeane würden weniger Kohlendioxid aufnehmen als in den vergangenen Jahrzehnten – Effekte, die selbst direkte Folgen des Klimawandels sind. Latif: „Wir müssten also mehr tun und den Betrag ersetzen, den die Natur nicht mehr reduzieren kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert