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Ende des BürgergeldesJobcenter als Besserungsanstalt

Barbara Dribbusch

Kommentar von

Barbara Dribbusch

Das Bürgergeld ist bald passé. In Deutschland soll es offenbar wieder darum gehen, vor dem Jobcenter Angst zu haben.

Jobcenter in Berlin-Mitte: Wenn die Sach­be­ar­bei­te­r:in­nen im Jobcenter als Strafende erscheinen, dann werden alle verlieren Foto: Sabine Gudath/imago

W er wissen will, wie sich politische Erzählungen verwandeln können, weitgehend unabhängig von den Fakten, der muss sich nur die neueste Reform der Grundsicherung anschauen, die am Donnerstag von der Bundesregierung vorgestellt wurde. Vorbei sind die Zeiten des Bürgergeldes, als vom Jobcenter als Kooperationspartner die Rede war, der Arbeitslose berät und unterstützt, ihre Wünsche berücksichtigt, langfristig mitdenkt. Jetzt steht der Begriff der „Sanktion“ im Vordergrund.

Beim Nichterscheinen zum Termin, beim Abbruch einer Maßnahme soll nun schneller und härter am Regelsatz gekürzt werden. Das Wort Bürgergeld wird aus dem Sozialgesetzbuch gestrichen und durch „Neue Grundsicherung“ ersetzt. Es gilt der „Vermittlungsvorrang“ – das heißt, ein Job, auch in der Zeitarbeit, in einer Lagerhalle, bei einer Putzfirma, gilt als förderlicher, als lange in Weiterbildungsmaßnahmen oder Sprachkursen zu sitzen.

Das Jobcenter erscheint damit als eine Art Besserungsanstalt, die irgendwie zur Arbeit erziehen soll, obgleich ein Anstieg des Missbrauchs von Sozialleistungen statistisch nicht nachweisbar war. Abgesehen davon, dass die Reform moralisch verwerflich ist, wird die Idee, die Menschen zur Arbeit zu zwingen, nicht in großem Stil funktionieren. Und irgendwie ahnen die Ma­che­r:in­nen der Reform das auch schon. So soll der Erwerbsfähigkeitsbegriff „realitätsnäher“ definiert werden, heißt es im Entwurf. Im Bürgergeldbezug finden sich zu Hunderttausenden viele Eingeschränkte, psychisch Kranke, Angeknackste, sehr lange Arbeitslose, die keine acht Stunden Arbeit am Tag schaffen, aber als „erwerbsfähig“ gelten.

Job­cen­ter­mit­ar­bei­te­r:in­nen sollen nun darin geschult werden, psychische Erkrankungen zu erkennen. Sie sollen Langzeitarbeitslose mit „höherer Kontaktdichte“ betreuen. Die Frage ist, was daraus wird. Wenn die Sach­be­ar­bei­te­r:in­nen im Jobcenter künftig vor allem als Strafende erscheinen, dann werden alle verlieren. Eine Institution zu werden, vor der Menschen vor allem Angst haben – das ist der Offenbarungseid jeder Sozialpolitik.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch). Kontakt: dribbusch@taz.de
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