Energie-Volksentscheid: Berlinern geht kein Licht auf

Der Volksentscheid scheitert, obwohl knapp 600.000 Berliner für das Öko-Stadtwerk und den Rückkauf des Stromnetzes stimmen.

Noch irgendwo ne Stimme? Bild: dpa

Dann wird die Musik wieder ausgemacht. Das Spielchen kennen die 300 schon, die in einem Club in Prenzlauer Berg seit drei Stunden auf das Ergebnis des Volksentscheids warten. Kampagnenleiter Michael Efler steht auf der Bühne, fummelt wieder am Smartphone herum und sagt: "Der Landeswahlleiter war auch schon mal pünktlicher." Derweil stehen die Kampagnenhelfer seit über einer halben Stunde mit einem Transparent vor der Bühne, für die Fotografen und Kameraleute, die den entscheidenden Moment einfangen wollen. Als dann der orangefarbene Balken auf der Homepage der Landeswahlleiterin knapp unter dem entscheidenden roten Strich hängen bleibt, kriegts keiner richtig mit, weil die Kameras den Blick versperren.

Es ist still, einer stöhnt: "Oh, Scheiße". Und Efler sagt: "Fangen wir doch mal damit an: Wir haben eine überwältigende Menge an Ja-Stimmen geholt." Da fängt eine Gruppe Jungs mit Bärten an zu skandieren: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer verrät uns immerzu? C-D-U!" Dass der Senat den Abstimmungstermin nicht auf das Datum der Bundestagswahl gelegt hat, empfinden hier immer noch alle wie einen Schlag in die Magengrube.

Am Ergebnis ändert das alles nichts mehr: Der Volksentscheid Energie ist gescheitert, wenn auch knapp. Nur 24,1 Prozent der Wahlberechtigten haben für den Gesetzentwurf des Energietischs gestimmt, 25 Prozent wären nötig gewesen. Dabei lag die Wahlbeteiligung bei 29,1 Prozent und somit höher als beim - erfolgreichen - Wasser-Entscheid vor zweieinhalb Jahren.

Die AktivistInnen des Energietischs hatten sich schon gefreut, als klar wurde, dass die Wahlbeteiligung bei knapp 30 Prozent lag. Als der Bär, das Energietisch-Maskottchen, durch die Tür gekommen war, waberte sogar die Zahl "35 Prozent" durch den Raum. Zwischendurch war Efler auf die Bühne geklettert und hatte mitgeteilt: "Ich war gerade im Wahllokal direkt nebenan - da liegt die Zustimmung bei 90 Prozent!"

29,1 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung, 83 Prozent davon stimmten mit Ja, 16,8 Prozent mit Nein, 0,2 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig.

Besonders hoch waren Beteiligung und Jastimmen-Anteil in Friedrichshain-Kreuzberg mit 36,9 bzw. 92,9 Prozent. Auch in Pankow (31,7/88,0 Prozent) und Mitte (27,7/87,1 Prozent) votierten besonders viele für den Gesetzentwurf. Schlusslicht bei der Beteiligung war Marzahn-Hellersdorf (23,3/82,5 Prozent). (taz)

"Lasst die Köpfe nicht zu sehr hängen, Freunde!", brüllt Stefan Taschner, das Gesicht des Energietischs, der auch auf die Bühne gekommen ist, "die zweieinhalb Jahre haben sich wirklich gelohnt!" Die Initiative habe es geschafft, die Zukunft der Energieversorgung auf die politische Tagesordnung zu setzen. "Mit dem Schwung dieser Zustimmung setzen wir den Senat weiter unter Druck!"

Überhaupt reden sich jetzt alle Mut zu: Linken-Landeschef Klaus Lederer will von Begräbnisstimmung nichts wissen. "Dafür gibt es gar keinen Grund, denn es hat sich eine sehr große Mehrheit für das Volksbegehren ausgesprochen." Jetzt gehe es darum, weiter Druck zu machen. Lederer zieht einen Vergleich mit dem Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof 2008. Der sei zwar ebenfalls nur am Quorum gescheitert, doch die Abstimmung ging mit 60 Prozent Ja- zu 40 Prozent Nein-Stimmen viel enger aus.

Auch Lederer macht die Terminentscheidung des Senats mitverantwortlich für den Abstimmungs-Flop: "Das war schon ein ganz erheblicher Punkt, ohne dass ich jetzt seriös Zahlen nennen könnte. Das Kalkül der Koalition ist aufgegangen."

Grünen-Parteichefin Bettina Jarasch sieht das genauso. Sie übt zugleich ein Stück Selbstkritik: Was die Grünen es im Bundestagswahlkampf zu wenig geschafft hätten - die Energiewende wirklich zum Thema zu machen -, habe der Energietisch geschafft. "Hut ab davor", so die Grünen-Vorsitzende. Dank des klaren Meinungsbildes komme der Senat aus seinem bislang teils formell wirkenden Bekenntnis zu einem Öko-Stadtwerk nicht mehr heraus.

SPD-Energieexperte Daniel Buchholz, der im September nicht mitstimmen wollte, als die SPD aus Koalitionsräson mit der CDU ein barsches "Nein" beim Volksentscheid empfahl, klingt nicht depremiert. Dass es den Parlamentsbeschluss für ein Stadtwerk vor zehn Tagen ohne das Volksbegehren nicht gegeben habe, so weit will er nicht gehen. Aber durch den Energietisch hätten er und seine SPD-Kollegen "in den schwierigen Gesprächen mit dem Koalitionspartner" viel Rückenwind gehabt. Buchholz erwartet nun direkte Konsequenzen. In den laufenden Haushaltsverhandlungen sollen nach seinen Vorstellungen aus jenen mageren 1,5 Millionen Euro, die bislang für das Stadtwerk veranschlagt sind, 5,5 Millionen jährlich werden, also fast vier Mal so viel. "Das wäre eine anständige Größe, mit der sich etwas bewegen ließe."

Jetzt heißt es kämpfen

Pirat Pavel Mayer ist die Enttäuschung beim Frust-Rauchen vor dem Club dann doch anzusehen. Aber auch für ihn ist nicht alles verloren: Schon in dieser Woche wolle man sich mit den anderen Oppositionsfraktionen zusammensetzen und planen. Aus dem Senats-Konzept eines Mini-Stadtwerks gelte es nun so viel wie möglich rauszuholen und dafür zu kämpfen, dass die Stadt die Ausschreibung um die Netzwerkkonzessionen gewinne.

Drinnen wummern nun die Bässe, Robert Pörschmann vom BUND, der den ganzen Tag Flyer in Kreuzberg verteilt hat, tanzt. "Ich bin eigentlich nur hier, um das Kampagnenlied live zu hören", hatte der 36-Jährige vorher noch gesagt. "Und weil ich heute noch die Zahl 621.000 hören will". Daraus ist nun nichts geworden.

Und was sagen die faktischen Gewinner an diesem Abend? CDU-Fraktionschef Florian Graf interpretiert den Ausgang des Volksentscheids so, dass "die Berlinerinnen und Berliner" die ablehnende Haltung seiner Fraktion durch ihr Stimmverhalten unterstützt hätten.

Graf bekennt sich aber zum "energiepolitischen Ziel einer vernunftgeleiteten Energiewende". Ein Fraktionssprecher weist die Kritik am Abstimmungstermin zurück: Innensenator Frank Henkel (CDU) habe schon im Juni darauf hingewiesen, dass Frist- und Zeitgründe einen gemeinsamen Termin von Bundestagswahl und Volksentscheid verhindern würden.

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