Energiepolitik der USA: Die spröde Schönheit von Turbinen

Die US-Regierung fördert den Ausbau erneuerbarer Energien. Das Motto: grüne Jobs gegen die Krise. Doch im Konzept gibt es viel Widersprüchliches.

Dunkle Wolken über der Windenergie: Die Förderung in den USA hat auch Schattenseiten. Bild: dapd

DES MOINES/FORT MADISON taz | Wie der schmale Rumpf einer überlangen Segelyacht ruht das Rotorblatt auf zwei Halterungen. Allan Luers klopft auf den durchsichtigen Körper, durch den der Kern aus Balsaholz und weißes Fiberglas durchschimmern. "Sind sie nicht schön? Sieht aus wie ein Parkettboden, oder? Fast zu schade, um sie mit Farbe anzustreichen."

Es riecht nach Klebstoff in der sauberen Produktionshalle. Luers, 47, ein energischer Mann mit graubraunem Haar, geht langsam an dem Blatt vorbei, 49 Meter ist es lang und 11 Tonnen schwer. Kritisch schaut er durch seine Schutzbrille, sucht nach Fehlern. Schon bald wird sich das Blatt, dann weiß angestrichen, an einer riesigen Windturbine irgendwo in den USA drehen.

Luers ist Betriebsleiter in einer Siemens-Fabrik in Fort Madison, einer Kleinstadt im Südosten des US-Bundesstaates Iowa. Die Fabrik produziert Rotorblätter für Windturbinen der neuesten Generation, die von der obersten Blattspitze bis zum Boden fast 130 Meter hoch sind. Luers hat viel zu tun. Mitte 2007 geöffnet, hat Siemens die Produktionsfläche des Werkes inzwischen verdoppelt, Gleise für den Schienentransport gelegt und den Lagerplatz vergrößert. Schon bald wird Luers mit seinen Leuten eine weitere Gussform für Blätter einrichten.

Nach langer Zurückhaltung der Industrie boomt die Windkraft in den USA. Die pro Jahr neu installierte Leistung wächst seit 2007 in gewaltigen Sprüngen, der amerikanische Windenergieverband AWEA bejubelte teilweise Zuwächse von über 40 Prozent.

Und der Recovery and Reinvestment Act, das 2009 aufgelegte, gut 800 Milliarden Euro schwere Konjunkturprogramm von Präsident Obama, wirkt wie ein gigantischer Energieschub. Rund ein Sechstel des Geldes fließt in erneuerbare Energien, in Häuserdämmung, in Forschungsprogramme und in grüne Jobs, wie die in Fort Madison.

Als "die ambitionierteste Energiegesetzgebung in der Geschichte des Landes" beschrieb das Time Magazin den Recovery Act Anfang September, der das US-Energieministerium in den weltweit größten Fond für Risikokapital verwandelt habe. Die Branche war begeistert. "Die Förderung hilft entscheidend dabei, geplante Projekte ans Ziel zu bringen", schreibt der AWEA in einem im Juli veröffentlichen Report. Allein im Jahr 2009 wurden landesweit neue Windkraftanlagen mit einer Leistung von 10.000 Megawatt installiert, sie produzieren so viel Strom wie drei neue Atomkraftwerke.

Ein unscheinbares Rohr

Auch Kent Holsts Projekt ist Teil des Booms. Auch wenn das rostige Stahlrohr mit Verschlusskappe, das auf einem Schotterplatz einen knappen Meter aus dem Boden ragt, nicht gerade aussieht wie eine brillante Idee in der Geschichte der Windkraft. Holst tritt gegen die Konstruktion. "Das ist genau das, was Präsident Obama meint, wenn er von grünem Wandel spricht." Holst, 71, kräftig gebaut, Glatze, plant hier, ein paar Meilen westlich der Hauptstadt Des Moines, in der Tat etwas Einzigartiges.

Das unscheinbare Rohr reicht gut 900 Meter tief in die Erde. Es ist eine von zwei Probebohrungen, die Holsts Team bisher in einem Pinienwäldchen vorgenommen hat. Denn der Boden unter den Bäumen, den Häusern und den Maisfeldern der Umgebung ist besonders. Tief unter Holsts Schuhen spannt sich eine massive Felsenkuppel über porösen Sandstein, der mit Grundwasser getränkt ist. Ein riesiger Schwamm mit Dichtung. In ihm will Holst die Energie des Windes speichern.

In wenigen Jahren sollen Kompressoren mit hohem Druck Luft in den Sandstein pressen. Immer dann, wenn ein starker Wind weht und die Turbinen viel Elektrizität produzieren, der Verbrauch aber niedrig ist. Wenn die Produktion niedrig, der Bedarf aber groß ist, öffnen die Ingenieure die Ventile, und die Druckluft strömt aus der Blase im Grundwasser in vier Erdgasturbinen, so groß wie Zugwaggons. Jede soll eine Leistung von 50 Megawatt haben und zwei Drittel weniger Energie als konventionelle Turbinen verbrauchen, die Energie für die Luftkompression benötigen.

Aus dem Recovery Act hat Holst bisher keinen Cent bekommen. "Es ist verrückt. Wir erfinden mit unserer Anlage nichts grundsätzlich Neues, weil wir bekannte Technologien anwenden. Deshalb erfüllt unser Projekt die Bedingungen nicht."

Tatsächlich ist das Prinzip alt. Erdgas wird seit Jahrzehnten in wasserführenden Gesteinsformationen gespeichert. Weltweit arbeiten außerdem zwei Anlagen mit Luft, allerdings in ehemaligen Salzminen. Neu und einmalig ist bei Holsts Projekt also die Kombination.

Die gut 11 Millionen Dollar, die das Luftspeicherprojekt von Kent Holst bisher gekostet hat, stammen aus öffentlichen Töpfen, 8 Millionen kommen vom Bund, der Rest von städtischen Energiegesellschaften und vom Bundesstaat Iowa. Wie kaum ein anderer Staat steht Iowa für den Boom der vergangenen Jahre.

Iowa ist nach Texas der zweitgrößte Produzent von Windenergie in den Staaten. Iowa speist 14 Prozent seines Stromverbrauchs aus Windkraft, Deutschland schafft nicht mal 8 Prozent. Und in Iowa gibt es die meisten Jobs in der Fertigung von Windkraftanlagen.

Aus einem Guss

Allan Luers hat einen davon. Der Betriebsleiter kann leidenschaftlich über die Produktion erzählen, während er durch die Halle läuft, mit fast jedem Arbeiter ein paar Worte wechselt oder schnell piependen Gabelstaplern ausweicht. Auf eines ist er besonders stolz: Während die Konkurrenz ihre Blätter aus zwei Hälften zusammenklebt, bestehen die Siemens-Blätter aus einem Stück. "Wenn mich meine Kunden fragen, was passiert, wenn Wasser in das Blatt eindringt, kann ich ihnen sagen: Das geht nicht."

Er klettert die Stufen zu einer der Gussformen hinauf. Eines der Produktionsteams arbeitet gerade an einem neuen Rotorblatt. Sie legen die weiß glänzenden Matten, die aus Fiberglasfasern gewebt sind, in einer riesigen Form aus. Darauf wird später der Kern aus Balsaholz gelegt. Dann werden die Matten um ihn gewickelt und mit weiteren verwoben, nach einem zentimetergenau vorgeschriebenen Muster. Sie bilden das Skelett des Blattes.

Dann klappen die Arbeiter die obere Hälfte der Gussform darüber, pumpen einen Kunstharzkleber hinein, der die Matten tränkt und dem Blatt die endgültige Form gibt. Zum Aushärten wird die Form aufgeheizt. Man könnte auch sagen, dass Luers riesige Waffeleisen beaufsichtigt. Nach dem Härten wird der Kern entfernt, und die Blätter werden geprüft, poliert und lackiert.

38 Stück produziert das Werk in einer Woche in mehreren Gussformen, 40 Stunden braucht ein Team für eins. "Wir können mit Recht behaupten, dass wir unsere Produkte hundertprozentig in Handarbeit herstellen", sagt Luers lachend.

Es ist eine Geschichte, wie sie sich die PR-Profis im Weißen Haus nicht besser ausdenken könnten: Vor der Werksöffnung sah es in Fort Madison düster aus. Nachdem Firmen wie Motorola oder der Schulbushersteller Bluebird Werke schlossen oder verkleinerten, litt die Region unter hoher Arbeitslosigkeit. Heute ist das Siemens-Werk mit fast 700 Angestellten der größte Arbeitgeber der Gegend, zwei Drittel der Belegschaft waren vorher arbeitslos.

Siemens profitiert

Siemens bekam für den Ausbau des Werkes 3,4 Millionen Dollar aus dem Recovery Act. Grüne Jobs gegen die Krise. Präsident Obama besuchte es im April persönlich, um vor der jubelnden Belegschaft einmal mehr für den grünen Wandel zu werben. Ein paar Dinge ließ der Präsident weg, weil sie schlecht in die Geschichte passen. Zum Beispiel, dass der Industriekonzern anderswo an Atomkraftwerken kräftig verdient, also alles andere als grün operiert.

Oder dass Siemens das Werk wohl auch ohne die Zuschüsse ausgebaut hätte. Das Unternehmen expandiert stark auf dem amerikanischen Windkraftmarkt, liefert in den nächsten Jahren hunderte Windturbinen aus und braucht Produktionsanlagen im Land. Mit einem Marktanteil von 12 Prozent sei Siemens auf Platz 3 im US-Markt für Windenergie, sagt ein Sprecher. Bis 2012 wolle man einer der beiden führenden Anbieter werden.

Doch es liegt wohl in der Natur von Konjunkturprogrammen, dass ihre Logik der Realität nicht gerecht wird. Während ein Industriekonzern mit Milliardengewinnen weitere Millionen bekommt, bekommt ein kleines, nachhaltiges Projekt nichts.

Kent Holst nimmt in einer Garage neben der Bohrung den Deckel von einer Plastikschachtel, darin liegen in vielen kleinen Fächern Gesteinssplitter. Alle drei Meter, die sich der Bohrer durchs Gestein frisst, wird eine Probe genommen. "Bisher sieht alles gut aus", sagt Holst. "Der Sandstein ist porös, die Luft kann ihn gut durchdringen." Er zerreibt ein paar Splitter zwischen den Fingern.

Ein Labor analysiert gerade die Proben der zweiten Bohrung, dann planen Holst und seine Kollegen die erste Luftinjektion. Und sie wollen sich dieses Mal bei der Regierung bewerben: "Es ist der letzte Beweis, der fehlt, dass das Projekt profitabel arbeiten kann. Welche Förderung kommt dafür in Frage, wenn nicht das Konjunkturprogramm?"

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