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Energiewende-BerichtDas Ende der Wende?

Der von Wirtschaftsministerin Reiche in Auftrag gegebene Bericht über die Energiewende liegt vor. Die Opposition ist entsetzt über die Schlussfolgerungen.

Transport eines Rotorblatts für ein Windrad: Umweltverbände sehen Klimaschutz in Gefahr Foto: Paul Langrock

Berlin taz | Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) will mit einem 10-Punkte-Plan die Energiewende neu justieren. Das kündigte sie am Montag bei der Vorstellung der Ergebnisse des von ihr in Auftrag gegebenen „Energiemonitorings“ an. Opposition und Umweltverbände fürchten großen Schaden für die klimafreundliche Energieversorgung.

Das Energiemonitoring soll eine Bestandsaufnahme zum Ausbau der Erneuerbaren liefern und die Grundlage für weitere energiepolitische Entscheidungen bilden. Die Erstellung wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Ministerin hat das Beratungsinstitut BET und das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) an der Universität Köln damit beauftragt. Kri­ti­ke­r:in­nen monieren die Nähe des EWI zur fossilen Industrie. Etliche fürchten, dass Reiche mit Hinweis auf die Ergebnisse den von der Ampel in Gang gebrachten massiven Ausbau der erneuerbaren Energien abwürgen könnte.

Bei der Vorstellung des Monitoringberichts und ihrer Schlussfolgerungen daraus bemühte Reiche sich, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Das Ziel, dass bis 2030 mindestens 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen, bleibe erhalten, betonte sie mehrfach. Allerdings: Der bislang für 2030 vorgesehene Strombedarf von 750 Terawattstunden (TWh) jährlich wird herabgesetzt.

Die Energiewende steht an einem Scheideweg

Wirtschaftsministerin Reiche

Die Gut­ach­te­r:in­nen gehen von einem Bedarf von 600 bis 700 Terawattstunden jährlich aus – 80 Prozent davon sind weniger als von 750 Terawattstunden. Jetzt liegt der Bedarf bei 510 Terawattstunden. Dass der Bedarf langsamer als angenommen wächst, liegt etwa am schleppenden Absatz von E-Autos und Wärmepumpen. Insgesamt sieht das Gutachten die Energiewende auf einem guten Weg. Beim klimafreundlich hergestellten Wasserstoffs hapert es allerdings sehr, bei Windenergie im Meer ein bisschen.

Der Bedarf liegt bei 510 Terawattstunden

„Die Energiewende steht an einem Scheideweg“, sagte die Ministerin. Die Energiewende sei ein Erfolg. Aber: „Die nächsten Schritte werden schwieriger“, betonte sie. Das System brauche eine „Rückbesinnung auf ökonomische Grundsätze“. So seien Überkapazitäten von Strom bei guten Witterungsverhältnissen und zu wenig Produktion bei wenig Sonne und Wind große Herausforderungen. Das zu bewältigen ist nach Auffassung der Ministerin teuer, weil bei sogenannten Dunkelflauten schnell verfügbare Ausgleichskapazitäten zur Verfügung stehen müssen. Reiche setzt dafür auf teure neue Gaskraftwerke. Umweltverbände halten ihre Pläne für überdimensioniert.

Den Auftakt ihres 10-Punkte-Plan bildet die Ankündigung eines neuen „Planungsrealismus“. Außerdem will die Ministerin Förderungen im Energiesystem infrage stellen. Sie sollen „auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden“, sagte Reiche, die bis zu ihrem Wechsel ins Ministerium Energiemanagerin bei einem fossilen Konzern war. Die garantierte Vergütung des eingespeisten Stroms aus privaten Solaranlagen etwa ist ihrer Meinung nach überflüssig, weil sich diese Anlagen bereits jetzt rechnen.

Energie- Monitoring

Bundes­wirtschafts­ministerin Katherina Reiche (CDU) hat ein Gutachten zur Energiewende erstellen lassen. Kritiker:innen befürchten, dass es den Ausbau von Wind- und Solarenergie ausbremsen soll. Die taz erklärt, warum die Energiewende dadurch in Gefahr geraten könnte.

taz.de/Energie­wende-in-Gefahr

Das Stromsystem soll flexibler, besser gesteuert, digitalisiert und auch nicht klimafreundlich hergestellter Wasserstoff soll eingesetzt werden. Was genau Reiches Pläne bedeuten, wird in allen Konsequenzen erst sichtbar, wenn die Entwürfe für die zahlreichen nötigen Gesetzesänderungen vorliegen, etwa die Novellierung des EEG oder des Wind-auf-See-Gesetzes.

Anwachsende Stromnachfrage

Der Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erwartet, dass er jetzt in die Diskussion über die Schlüsse aus dem Gutachten einbezogen wird. Der Monitoringbericht sei „ein überzeugender Angang“, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae. „Der nun mit 600 bis 700 TWh prognostizierte Strombedarf ist eine gute Standortbestimmung, am Ende aber auch nur eine Momentaufnahme“, sagte Andreae. Die Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie entwickele sich aktuell zwar langsamer als angenommen. Dennoch solle man vorbereitet sein auf eine anwachsende Stromnachfrage durch eine konjunkturelle Erholung und zusätzliche Stromnachfrage etwa durch Rechenzentren.

Aus Sicht des Verbandes ändert sich nichts an dem erheblichen Ausbaubedarf der erneuerbaren Energien. Nach Angaben des BDEW werden bei Beibehalten der jetzigen Ausbauziele die Erneuerbaren bei maximaler Auslastung im Jahr 2030 den Strombedarf zu 80 Prozent decken, wenn der bei 620 Terawatt liegt. „Um diese Ziele zu erreichen, dürfen wir jetzt nicht im Tempo nachlassen“, sagte Andreae.

Kurswechsel in der Energiepolitik

Der grüne Bundestagsabgeordnete und Energieexperte Alaa Alhamwi sieht in dem Gutachten eine Bestätigung der bisherigen Ausbaupläne. „Der Monitoringbericht zeigt, dass die Energiewende insgesamt auf einem guten Weg ist“, sagte er. „Nur scheint Frau Reiche das nicht so zu sehen.“ Schon seit Wochen spreche sie über einen Kurswechsel in der Energiepolitik. „Alles im Sinne: Fossils First“, kritisiert er. Fatal sei auch, dass die Ministerin keinerlei Antworten gebe, wie die Industrie, Wärme und Verkehr elektrifiziert werden sollen. „Dabei besteht hier laut Monitoringbericht ein riesiger Handlungsbedarf“, sagte er.

Reiches Feststellung, die Energiewende sei an einem Scheideweg, ist falsch, ist der energiepolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Jörg Cezanne überzeugt. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien war zuletzt auf einem guten Weg und muss fortgesetzt werden“, sagte er. Reiches Ankündigung, kleine Solaranlagen nicht mehr zu fördern, bremse die dezentrale Energiewende zugunsten größerer Player und schwäche die Akzeptanz der Energiewende. „Es ist erschütternd, dass die Ministerin jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, um die Agenda ihrer Freunde bei den Gaskonzernen durchzudrücken“, sagte er.

Umweltverbände sehen sich in ihren Befürchtung bestätigt, dass die Energiewende gefährdet ist. „Was Ministerin Reiche am heutigen Montag als Kurskorrektur verkauft, droht eine energiepolitische Vollbremsung zu werden“, sagte Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings. Auch die Deutsche Umwelthilfe ist empört. „Was Frau Reiche mit ‚Planungsrealismus‘ meint, ist faktisch eine Ausbaubremse für die Erneuerbaren“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Das angebliche „Subventionen-Senken“ laufe in Wahrheit auf den Kahlschlag bei wichtigen Förderprogrammen hinaus, während fossile Beihilfen neu geschaffen werden sollen.

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