Enge auf dem Wohnungsmarkt: Rückzug aufs Hochbett

Die Mietpreise in den Ballungszentren steigen. Deshalb drängen sich dort immer mehr Familien in einer zu kleinen Wohnung.

So weit gehen für etwas Privatsphäre? Hübsch sieht's ja aus Bild: imago/blickwinkel

Die Zahl klingt nicht schlecht: 42,7 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf haben die Leute in Deutschland zur Verfügung, meldet das statistische Bundesamt. Die Wohnfläche pro Person ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Doch Anke Felsner* muss lachen angesichts dieser Zahlen. Mit der Wirklichkeit der Berlinerin haben solche Durchschnittswerte nichts zu tun.

„Wir essen in der Küche in zwei Schichten, der Tisch ist einfach zu klein“, sagt die 38-jährige Autorin, die mit einem Ingenieur verheiratet ist. Ihre sechsköpfige Familie lebt auf 94 Quadratmetern in Berlin-Lichtenberg. Die drei Jungs teilen sich ein Zimmer mit Stockbett, Kinderbett und einem einzigen Schreibtisch. Das elfjährige Mädchen hat ein acht-Quadratmeter-Zimmer für sich allein, auch da passt kein Kleiderschrank mehr rein. Die Schränke der Kinder stehen im Schlafzimmer der Eltern, die aus diesem Grund im Hochbett schlafen.

Demnächst kommt im Jungszimmer ein zweites Hochbett dazu. „Man braucht gewissermaßen eine zweite Wohnebene“, sagt Felsner. Zum Glück leben sie im Altbau, da sind die Räume hoch genug.

Die Felsners sind ein Beispiel für Familien in Ballungszentren, die in zu kleinen Wohnungen bleiben, auch wenn sich der Haushalt vergrößert hat. Nach den Kriterien der Jobcenter in Berlin und dem sozialen Wohnungsbau in vielen Bundesländern wären 109 Quadratmeter für eine sechsköpfige Familie angemessen. Doch längst gibt es kaum noch entsprechende bezahlbare Angebote in gefragten Städten wie etwa Hamburg, Berlin, München, Frankfurt am Main oder Köln.

Wie stark dürfen sie steigen? Die Bundesregierung plant ein Gesetz, um den Anstieg der Miete bei Wiedervermietung auf nicht mehr als zehn Prozent der ortsüblichen Miete zu beschränken.

Gibt es Hoffnung? In München, Hamburg und Berlin laufen Vorhaben für öffentlich geförderte Neubauwohnungen mit Mietpreisen von sechs bis acht Euro, in München sogar bis zu elf Euro nettokalt für den Quadratmeter. Die Zahl dieser subventionierten Neubauwohnungen ist aber viel kleiner als der errechnete Bedarf.

Wer kann sich das leisten? Eine Nettokaltmiete von 7 Euro plus Betriebskosten für eine vierköpfige Familie in einer 85 Quadratmeter großen Wohnung ergeben eine Endmiete, die etwa von den Jobcentern in Berlin nicht übernommen wird. (bd)

Eine Studie des Beratungsunternehmens empirica im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass in Hamburg nur noch elf Prozent der Wohnungsangebote für Familien von Durchschnittsverdienern geeignet waren. Familien, die weniger als zwei Drittel des mittleren Einkommens zur Verfügung hatten, konnten sich sogar nur zwei Prozent der Wohnungsangebote leisten. Billiger wird es nur weit draußen in den Randgebieten.

Kompromisse, Disziplin

„Es gibt verstärkt Fälle, wo der Flächenbedarf, den man von Amts wegen realisieren könnte, etwa wenn ein zweites Kind kommt, nicht mehr umgesetzt wird“, sagt André Adami, Niederlassungsleiter des Immobilienberatungsunternehmens Bulwiengesa über die Lage in den gefragten Städten.

Das enge Wohnen erfordert Kompromisse und Disziplin. „Wir haben keinen Fernseher“, berichtet Felsner. Wenn der Achtjährige die Hausaufgaben am Wohnzimmertisch macht, herrscht möglichst Ruhe. Die andern spielen dann im Jungszimmer. 830 Euro Warmmiete zahlen die Felsners. Eine größere Wohnung würde heute über 1.200 Euro warm kosten, zu viel für die Familie.

Auch Petra Djoume*, 42, alleinerziehende Mutter dreier Kinder, versucht sich mit ihrer 73-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Charlottenburg abzufinden. Nach den Richtgrößen des sozialen Wohnungsbaus in vielen Bundesländern wären 85 bis 95 Quadratmeter für eine vierköpfige Familie angemessen. Aber das Jobcenter, von dem sie hauptsächlich lebt, hat die Mietkosten in dem Altbau früher sogar mal als zu hoch gerügt. Die Warmmiete beträgt heute 648 Euro im Monat.

Wäscheständer in der Küche

Das Hochbett im kleinen Zimmer, in dem auch ein Schreibtisch für die Mutter steht, dient als Rückzugsgebiet des Elfjährigen. Das Reich der zehnjährigen Tochter ist die blaue Ausziehcouch, die durch ein Bücherregal vom Rest des Zimmers abgetrennt wird. Der Kleinste schläft mit im Zimmer der Mutter, in dem auch der schmale Esstisch steht. In der Küche ist es dafür zu eng, denn dort befindet sich der immer voll behangene Wäscheständer. „Wir kommen aber zurecht“, betont Djoume. In ein Berliner Randgebiet zu ziehen mit den Kindern, die hier ihre Freunde und Schulen haben, kommt für sie nicht in Frage.

Die Probleme ballen sich nur in den gefragten Städten. In anderen Regionen ist der Wohnungsmarkt entspannter: Laut Statistik hat eine vierköpfige Familie in Deutschland im Schnitt 98 Quadratmeter an Wohnfläche zur Verfügung. Dabei gibt es große Spannen je nach Einkommen und Alter. Selbständige verfügen über 115 Quadratmeter. Haushalte mit Arbeitslosen leben im Schnitt auf 61 Quadratmetern. Haushalte mit über 80-Jährigen haben im Schnitt eine Wohnfläche von 90 Quadratmetern zur Verfügung.

Wer eine Wohnung oder ein Haus besitzt, hat in der Regel mehr Platz. Auch da muss man flexibel sein. Familie Schulte* in Köln hat zwar ein Eigenheim, inzwischen aber auch drei Kinder. Damit jedes Kind ein eigenes Zimmer hat, werden jetzt im Obergeschoss neue Wände eingezogen. Die Eltern müssen zusammenrücken, der Vater verliert sein Arbeitszimmer. Martina Schulte ist entschlossen: „Ich will, dass meine Kinder eine Privatsphäre haben.“

*Namen geändert.

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