Entgleiste Bürgerbeteiligung in Pankow: „Wir sehen die Ängste“

Nach dem Eklat bei der ersten Bürgerdebatte zum Riesenwohngebiet Blankenburger Süden gibt Senatorin Lompscher (Linkspartei) Fehler zu.

„Wir müssen den Prozess wieder einfangen“: Senatorin Lompscher, hier auf der Klausur der Linksfraktion am Tag vor der Bürgerdebatte Foto: dpa

taz: Frau Lompscher, sind Sie mutig oder – mit Verlaub – wahnsinnig?

Katrin Lompscher: Wenn Berlin den Herausforderungen der wachsenden Stadt gerecht werden will, dann werden wir alle mutiger werden müssen.

Bei der ersten Bürgerbeteiligung zum Wohnungsbau im Blankenburger Süden am Samstag wollten Sie eigentlich mit Anwohnern diskutieren. Stattdessen wurden Sie – sagen wir es vorsichtig – scharf kritisiert für ihre bis dato unbekannten Pläne, statt 5.000 oder 6000 bis zu 10.600 Wohnungen zu errichten. Wie kam es dazu?

Ausgang der Planungen für den Blankenburger Süden war immer eine landeseigene, landwirtschaftlich genutzte Kernfläche mit einer Größe von 70 Hektar. Darauf gibt es das Potenzial für bis zu 6.000 Wohnungen.

Der Plan Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Linkspartei und Grüne Ende 2016 darauf verständigt, elf auch mit sozialer und kultureller Infrastruktur ausgestattete Stadtquartiere mit ursprünglich insgesamt 37.000 Wohnungen neu zu bauen. Der Blankenburger Süden gehört dazu, außerdem Standorte wie die Michelan­gelostraße in Prenzlauer Berg (30 Hektar), Buch (54 Hektar), auf den Buckower Feldern (10 Hektar) und die Europacity an der Lehrter Straße (44 Hektar).

Die Bürger Bausenatorin Lompscher hat immer wieder betont, wie wichtig ihr die Beteiligung der Bürger bei diesen Projekten ist. Am Samstag fand die Auftaktveranstaltung für den Bau des Blankenburger Südens statt – und geriet zum Fiasko für Lompscher, weil sie ohne Vorankündigung doppelt so umfangreiche Planungen vorstellte. Viele Bürger fühlten sich überrumpelt. Derzeit wird auf dem Internetportal mein.berlin.de weiterdiskutiert und -geschimpft. (bis)

So weit, so bekannt.

Die Voraussetzung, um im Blankenburger Süden überhaupt ein größeres Wohnungsbaupotenzial zu erschließen, ist die verkehrliche Anbindung. Um sie zu realisieren, wurde ein größeres Untersuchungsgebiet betrachtet – mit insgesamt 420 Hektar. Im Zusammenhang mit den städtebaulichen und verkehrlichen Untersuchungen sind so weitere Wohnungsbaupotenziale in den Blick geraten.

Das hat aber offensichtlich außer Ihnen niemand mitbekommen.

Niemand ist in diesem Zusammenhang nicht richtig, aber offenbar zu wenige. Wichtig ist mir: Am Samstagabend haben wir zum ersten Mal mögliche Entwicklungsalternativen dargestellt. Das war der Auftakt der Bürgerbeteiligung, nicht deren Abschluss.

Nicht einmal Pankows Bürgermeister Sören Benn, ein Parteifreund von Ihnen, war eingeweiht.

Er ist Mitglied des Projektbeirats und wurde ein paar Tage vor der Veranstaltung informiert. Und hat – was ich richtig finde – diese kurzfristige Information auch kritisch in der Öffentlichkeit dargestellt. Benn hat deutlich gemacht, was nicht passieren wird: Dass nämlich nichts passiert. Aber er hat auch deutlich gemacht, dass bevor dort ein Bagger rollt für den Bau von Wohnungen, erst die verkehrlichen und infrastrukturellen Probleme im Pankower Norden gelöst werden müssen. In diesem Punkt sind wir uns einig.

„Die Weiterentwicklung der Planung wurde schlicht nicht kommuniziert.“

Rund 700 Bürger waren bei der Auftaktveranstaltung. Die konnten sich doch gar nicht richtig vorbereiten auf die Debatte, wenn sie urplötzlich mit ganz anderen Dimensionen des Projekts konfrontiert werden. Jetzt hagelt es böse Kommentare im Internetforum des Senats. Verstehen Sie, dass die Bürger sauer sind?

Katrin Lompscher

ist seit Dezember 2016 Senatorin für Stadtentwicklung und Bauen. Die Linkspartei-Politikerin ist damit letztlich verantwortlich, dass wohl wichtigste Ziel des rot-rot-grünen Senats umzusetzen: genügend Wohnungen für die wachsende Stadt Berlin zu schaffen. Ende Januar hatte die SPD-Fraktion Lompscher kollektiv gerügt, sie würde zu wenig neu bauen. Lompscher betont immer wieder, auch die Pflege des Wohnungsbestands sei wichtig.

Ja, das ich verstehe absolut. Die Weiterentwicklung der Planung wurde schlicht nicht kommuniziert. Für die meisten war es so oder so eine Neuigkeit. Aber alle, die sich vorher mit dem Thema beschäftigt haben, hätten mitgenommen werden müssen.

Wer hat das nicht kommuniziert?

Das prüfen wir gerade. Aber klar ist, der Fehler ist auf unserer Seite passiert.

Sie gestehen selbst Fehler ein?

Grafik: Infotext

Selbstverständlich.

Sie bekommen jetzt auch Dresche aus der SPD. Ist das nicht absurd, schließlich hat die SPD Sie immer wieder kritisiert, dass Sie zu wenig Neubau anschieben würden.

Mir geht´s hier nicht darum, ob ich Gegenwind bekomme oder nicht. Wenn wir Bürgerbeteiligung ernst nehmen und die Herausforderungen der wachsenden Stadt bewältigen wollen, dann müssen wir frühzeitig kommunizieren. Den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, ist nicht ganz ohne: Wenn ich zu früh dran bin, schaffe ich möglicherweise Verunsicherung und schrecke Leute auf, indem wir über Themen reden, die vielleicht erst in 20 Jahren realisiert werden. Wenn ich zu spät kommuniziere, wird mir zu Recht vorgeworfen, es sei ja schon alles entschieden. Was den Blankenburger Süden angeht, sind wir in einem sehr frühen Stadium.

Ich habe aber nach der Kritik aus der SPD gefragt: der Pankower Abgeordnete Dennis Buchner spricht von einem völlig überdimensionierten Projekt.

„Wir können die Stadt nicht gegen den Willen der Leute entwickeln. Wir können sie auch nicht entwickeln, ohne dass es jemand merkt. „

Die Kritik eines Abgeordneten ist keine Generalkritik durch „die“ SPD. Zumal hier nur die gleiche Überraschung geäußert wurde wie von vielen anderen. Ich kann diese Kritik nachvollziehen. Damit muss man jetzt sehr ernsthaft umgehen. Wir müssen für Berlins strategische Entwicklung – es geht hier ja um ein mittel- und langfristiges Projekt – Räume erschließen, um für das künftige Wachstum gewappnet zu sein.

Wollen Sie wieder auf die Pankower Bürger zugehen?

Ja, das ist doch völlig klar. Mit dem Auftakt ist der Diskurs eröffnet und nicht beendet. Wir werden die Debatte fortsetzen. Und wir alle haben wahrgenommen, welche Ängste und Verunsicherungen bestehen. Darauf werden wir reagieren.

Sie haben als Senatorin immer die Bedeutung des Bürgerdialogs betont. Sehen Sie Ihre Glaubwürdigkeit durch den Verlauf am Samstagabend beschädigt?

Wir müssen den Prozess wieder einfangen. Wir können die Stadt nicht gegen den Willen der Leute entwickeln, wir können sie auch nicht ohne die Leute entwickeln, wir können sie auch nicht entwickeln, ohne dass es jemand merkt. Wir müssen solche Prozesse und Projekte gemeinsam immer weiter verbessern.

Die von Bürgern vehement bekämpfte Bebauung der Elisabeth-Aue ebenfalls im Pankower Norden mit geplanten knapp 5.000 Wohnungen haben Linke und Grüne in den Koalitionsverhandlungen gekippt mit dem Argument, die verkehrliche Anbindung sei schlecht und es würde zuviel Naturraum vernichtet. Auch diese Entscheidung wirkt vor dem Hintergrund von Samstagabend reichlich seltsam.

Die Koalitionsverhandlungen haben damals elf neue Stadtquartiere bestätigt und eines nicht: das war die Elisabeth-Aue. Der Blankenburger Süden gehört zu den elf bestätigten Quartieren. Und allen Verantwortlichen ist klar: Wenn wir die Verkehrsprobleme vorher nicht entschärfen, wird dieses Stadtquartier nicht gebaut werden können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.