Entlang der Keystone-XL-Pipeline: Und plötzlich kamen die Erdbeben

Öl ist in Oklahoma eine der Quellen des Wohlstands mit Kultstatus. Doch nun gibt es eine neue Fördermethode – und die hat fatale Nebenwirkungen.

Keystone XL ist Chefsache: Barack Obama 2012 in Cushing, Oklahoma, keine 50 Kilometer von Prague entfernt. Bild: ap

PRAGUE (OKLAHOMA) taz | „Vorsicht, brennbare Flüssigkeit“ steht auf dem Schild, das in Prague an vielen Gattern hängt. Auf den Weiden dahinter wird gebohrt. Oder es wird Salzlake, das giftige Abwasser, das bei jeder Ölförderung in großen Mengen anfällt, zur Langzeitlagerung drei bis sechs Kilometer tief in den Boden gespritzt. Seit die traditionellen Ölquellen zur Neige gehen, wird in Oklahoma die Frackingmethode intensiv genutzt. Dabei wird das Gestein in der Tiefe mit Wasser und Chemie erschüttert und gebrochen, um das Öl zu „befreien“.

Landwirtschaft und Öl sind in Oklahoma die beiden Quellen des Wohlstands. Doch nur das Öl hat Kultstatus. Tulsa, das seit 1901 bohrt, nennt sich stolz die „Ölhauptstadt der Welt“. Bei Paraden rollen Festwagen mit, die Bohrtürme und Pipelines darstellen. Und der „golden driller“ ist die beliebteste Skulptur im Bundesstaat. Es ist ein 23 Meter hoher Bohrarbeiter mit muskulösem Oberkörper, der den Arm lässig auf einen Bohrturm lehnt.

Am Ortsrand von Prague, eine Autostunde östlich von Oklahoma City, steht die Verlegung der Keystone XL kurz vor dem Abschluss. Während in den weiter nördlich gelegenen Bundesstaaten bis heute keine Genehmigung für die Pipeline vorliegt, wird sie in Oklahoma und Texas bereits gebaut. Barack Obama persönlich hat im Frühling 2012 bei einem Besuch den Anstoß für das „südliche Bein“ gegeben. „Es gehört zu unserer Energiestrategie, mehr Öl und mehr Gas hier bei uns zu Hause zu produzieren“, sagt er vor einem Hintergrund von grünen Rohren.

Schlagzeilen hat Prague weder wegen der Pipeline noch wegen der Bohrungen gemacht – sondern weil es urplötzlich zu einem Erdbebengebiet wurde. Im Rekordjahr 2011 bebte die Erde rund um Prague 1.400-mal. Aber am Abend des 5. November kommt der ganz große Stoß: Stärke 5,6 auf der Richterskala.

Der Anlass: US-Präsident Obama will in diesem Jahr entscheiden, ob die Keystone XL Pipeline gebaut werden darf.

Die Pipeline: Über 3.462 Kilometer soll Teersandöl aus Kanada in texanische Raffinerien transportiert werden.

Die Serie: Unsere US-Korrespondentin sucht die Geschichten entlang des Pipelineverlaufs.

Herzattacke im Trümmerhaufen

Im Epizentrum des Bebens hören Mary und Joe Reneau einen ohrenbetäubenden Knall. „Als wäre ein Flugzeug in den Garten gestürzt“, sagt der 77-Jährige. Der Kaminschornstein reißt ein großes Loch ins Dach, alle Fenster platzen aus der Fassade, der Nippes fällt aus den Regalen, und die große hölzerne Standuhr im Wohnzimmer kippt um. Inmitten des Trümmerhaufens erleidet Mary Reneau eine Herzattacke. In der 42 Kilometer entfernten katholischen Universität St. Gregory stürzen Türmchen ein. In 17 umliegenden Bundesstaaten ist das Beben spürbar. Danach hören die meisten Bewohner von Prague erstmals von der Erdfalte unter ihrem Boden.

Am Tag nach dem großen Beben stellt die Geologin Katie Keranen, die heute an der Cornell University im Bundesstaat New York lehrt, zwölf Seismometer rund um das Haus der Reneau auf. Zwei Jahre später veröffentlicht sie ihre Forschungsergebnisse gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen in der Zeitschrift Geology. Sie geht davon aus, dass die langjährigen Einspritzungen von Salzlake die Beben ausgelöst haben.

„Die Einspritzungen erfolgen nicht in Hohlräume“, erklärt Keranen, „sondern in Felsen, die wie Schwämme gefüllt werden. Das erhöht den Druck und kann zu Friktionen führen“. Ihre Untersuchung weist auch darauf hin, dass zwischen dem Beginn von Einspritzungen und tektonischen Bewegungen Jahrzehnte vergehen können.

Die Schwarmtheorie der Behörden

Die Aufsichtsbehörden in Oklahoma kommen zu einem anderen Ergebnis. „Die Erdbebenfolge in Prague hat natürliche Ursachen“, stellt Austin Holland von der geologischen Behörde fest. „Die Erdbeben haben nicht im gleichen Rhythmus zugenommen wie die Einspritzungen, sondern treten in einem Schwarm auf.“

Auch die Ölunternehmen bestreiten, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer Aktivität und den Erdbeben gibt. Sie intensivieren ihre Bohrungen und Einspritzungen. Im Januar dieses Jahres hat Oklahoma 10.000 Einspritzbrunnen, zwei davon auf dem Land der Familie Reneau. Seit Joe Reneau in den Ruhestand gegangen ist, praktiziert das Ehepaar die typische Oklahoma-Mischung: Sie machen Heu für den Verkauf und verpachten Land an Ölfirmen.

Joe Reneau glaubt, dass sich die Erde unter Prague beruhigt hat. Seine 70-jährige Frau ist skeptischer. Aber beide wollen in ihrem Haus bleiben, solange es geht. Zumal klar ist, dass der Verkauf einer Immobilie in einem Erdbebengebiet nicht einfach ist.

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