Entlassungen beim Berlin Verlag: Eine endliche Geschichte

Der Berlin Verlag, Aushängeschild der Hauptstadt und Heimat großer Autoren, steht vor einer Zäsur: 13 seiner 21 Mitarbeiter sollen gehen.

Eine Hand deutet auf ein Bücherregal

Wie soll es mit dem Berlin Verlag weitergehen? Foto: imago/Stefan Noebel-Heise

BERLIN taz | Dieser Tage umschreibt man das Weltgeschehen am besten in Form von Fußballanalogien. Wenn man das tragische Spiel betrachtet, das sich im traditionsreichen Berlin Verlag zuletzt abgespielt hat, so könnte man die altbekannten Floskeln auspacken: Man kann hinfallen, muss aber auch wieder aufstehen. Mund abputzen, weitermachen. Nur ist die Zäsur in dem noch in der Berliner Friedrichstraße residierenden Verlag so gravierend, dass man fragen muss: Wie weitermachen, wenn zwei Drittel der Mannschaft des Feldes verwiesen wurde? Und was ist mit denen, die fortan nicht mehr mitspielen dürfen?

Anfang Mai hat die Geschäftsführung des Berlin Verlags verkündet, dass aus dem derzeit 21-köpfigen Verlagsteam 13 Mitarbeiter gehen müssen. Grund: Das seit 2012 zum Münchner Piper Verlag gehörige Unternehmen, in dem bereits literarische Schwergewichte wie die Ungarn Péter Esterházy und Petér Nádas, Ingo Schulze, Richard Ford, Jonathan Littell („Die Wohlgesinnten“) und die südafrikanische Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer verlegt wurden, ist wirtschaftlich nach Angaben der Geschäftsführung seit Jahren defizitär.

So zeigte der Mutterverlag Piper bei der Agentur für Arbeit die Kündigung der Mitarbeiter für Ende Juni an; drei Mitarbeitern bietet man eine Weiterbeschäftigung in München an – Ausgang ungewiss. Ausgesprochen worden ist bislang ist keine Kündigung; wahrscheinlich ist aber, dass sie zum angegebenen Termin erfolgt. Juristisch spricht man aufgrund der Relation übrigens von einer „Massenentlassung“. Neben Verlagsleiter Georg Oswald sollen nur drei Lektoren und ein Presseansprechpartner in Berlin verbleiben – Marketing, Rechtsabteilung, Vertrieb und was sonst noch so zu einem Verlag gehört wird nach München ausgelagert.

Der Berlin Verlag soll dann zur Marke nach dem Vorbild der Hauptstadt-Imprints Hanser.Berlin und Rowohlt.Berlin werden. Von Frühjahr 2017 sollen nur noch zehn bis zwölf Titel, ausschließlich Hardcover, pro Saison fertiggestellt werden, sagt die verlegerische Geschäftsführerin Felicitas von Lovenberg gegenüber der taz. Von Lovenberg, lange Jahre Literaturredakteurin der FAZ, ist seit März im Amt.

„Die Mitarbeiter haben nichts mehr zu verlieren“

Sie habe eine „wirtschaftliche Baustelle vorgefunden, die man nicht länger ignorieren konnte“, erklärt die 42-Jährige. „Der Berlin Verlag hatte immer großes Renommee, aber wirtschaftlich ist er nie profitabel gewesen.“ Überlegungen, ihn radikal umzustrukturieren, habe es schon vor ihrem Dienstantritt gegeben. Ein eigenständiges Taschenbuchprogramm gibt es fortan nicht mehr, die Unterhaltungssparte „Bloomsbury Berlin“ wurde bereits eingestellt.

Der Betriebsrat ist entsetzt über die Vorgehensweise der Geschäftsführung, die Fronten sind verhärtet. Auf einen Sozialplan für Mitarbeiter, die gehen müssen, konnte man sich nicht einigen. Die Informationspolitik sei intransparenter als „bei der Schraubenfabrik um die Ecke“, sagt Jurist Niklas Pastille, der den Betriebsrat vertritt.

Zahlen habe man nie vorgelegt bekommen, bis jetzt sei von der Geschäftsführung keine einzige schriftliche Seite zur Begründung der Maßnahmen vorgelegt worden. „Sektenähnlich“, meint Pastille. Er hält überdies bisherige Abfindungsangebote für inakzeptabel. „Deutlich ­weniger als ein Monatsgehalt pro Betriebsangehörigkeitsjahr“ sollten die Mitarbeiter demnach erhalten. Ein grobes Foul, meint Pastille.

Am heutigen Freitag werden die Geschäftsführung um den kaufmännischen Geschäftsführer des Piper Verlags, Christian Schniedermann, und der Betriebsrat erneut verhandeln. „Wobei wir eigentlich nur mit deren Anwalt sprechen“, sagt Pastille, „denn die Geschäftsführer sagen nichts.“ Unwahrscheinlich, dass es jetzt zu einer Einigung kommt. Und dann? Man sei durchaus bereit, dass sich das Verfahren „monatelang verschleppt“, sagt Pastille, „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nichts mehr zu verlieren. Sie haben loyal, mit viel Einsatz und für vergleichsweise geringes Gehalt gearbeitet. Und sie lernen gerade, sich zu wehren.“

Es versprach frischen Wind, Glamour

Kommen Betriebsrat und Geschäftsführung nicht auf einen Nenner, wird als nächste Instanz eine von beiden Seiten zu bestimmende Schiedsstelle eingeschaltet. Gegründet wurde der Berlin Verlag 1994 von Arnulf Conradi, Veit Heinichen und Elisabeth Ruge, klingende Namen des Literaturbetriebs. Auch Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war an der Verlagsgründung beteiligt. Conradi und Ruge haben dem Verlagsprogramm zu einem starken literarischen Profil verholfen. Das Haus galt als vielversprechendste deutsche Neugründung in den Neunzigern.

Es versprach frischen Wind, Glamour und spiegelte den Geist der entstehenden Berliner Republik wider. Ein Besuch auf der Verlags-Party sei seinerzeit vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Pflicht gewesen, erzählen sich Kollegen. In der Verlagsgeschichte wechselten die Konzernzugehörigkeiten: Im Jahr 1998 übernahm Bertelsmann den Verlag, von 2003 an gehörte er zur Bloomsbury-Gruppe. Seit 2012 ist er unter dem Dach von Bonnier Media Deutschland – genau wie der Piper Verlag.

Nachdem Elisabeth Ruge den Berlin Verlag 2011 verließ, hat das Haus allerdings einige Autorinnen und Autoren verloren. Esterházy, Schulze, Littell, Ford: Sie veröffentlichten seither im von Ruge 2011 mitgegründeten neuen Verlag Hanser.Berlin. Auch die spätere Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch verlegte Ruge zunächst im Berlin Verlag, später bei Hanser.Berlin. Derweil gab es an der Friedrichstraße ebenfalls Abgänge in anderen Verlagsabteilungen. In den vergangenen vier Jahren, so sagt es Christian Schumacher-Gebler, Geschäftsführer von Bonnier Media Deutschland, habe das Haus jährlich Defizite im siebenstelligen Bereich eingefahren.

Es habe immer wieder Interventionen von Seiten Bonnier und Piper gegeben, aber „die moderaten Anpassungen während dieser Zeit haben leider zu keiner Kehrtwende geführt“, erklärt Schumacher-Gebler. So wolle man sich nun nach eben jenem Konzept aufstellen, nach dem andere Verlage – etwa auch der zu Kiepenheuer & Witsch in Köln gehörende Galiani Verlag – gut funktionierten. Alternativlos nennt Schumacher-Gebler die Maßnahmen. Unumgänglich, sagt von Lovenberg.

„Durststrecken sind fest einkalkuliert“

„Die schlichte Unwahrheit, gegenüber uns ist durch nichts belegt“, meint dagegen Betriebsrats-Anwalt Pastille. Er weist auch darauf hin, dass man mit Piper ja immerhin einen Verlag im Rücken habe, der Geld erwirtschafte – man hätte in München verantwortlicher mit der Situation umgehen müssen. Laut der jährlichen Buchmarktanalyse von Buchreport hat Piper im Jahr 2015 einen Umsatz von 50,7 Millionen Euro erwirtschaftet und damit nur leichte Verluste im Vergleich zum Vorjahr. Dagegen konnte man zwischen 2012 und 2014 den Umsatz von 47,1 auf 54,2 Millionen Euro steigern. Der Berlin Verlag war seit der Übernahme durch Piper nicht mehr einzeln gelistet. Von den anderen großen Bonnier-Verlagen konnte Carlsen in den vergangenen Jahren zulegen, während die Ullstein Verlage saisonal schwankten.

Prinzip sei es, dass die Einzelverlage von eigenständigen Verlegern erfolgreich weiterentwickelt würden, sagt Schumacher-Gebler. „Durststrecken sind insofern fest einkalkuliert und auch kein Problem. Allerdings sollten die Durststrecken nicht zum Dauerzustand werden. Das zeichnete sich beim Berlin Verlag in der bisherigen Struktur ab.“ Von Lovenberg steht hinter diesem Kurs, die Entscheidung sei auf Piper-Ebene gefallen. Sie sagt: „Ich halte die Marke Berlin Verlag weiterhin für sehr stark, und ich glaube an das Programm.“ Eine Umbenennung komme daher nicht in Frage.

Für den Herbst hat der Verlag mit neuen Büchern von Margaret Atwood, James Salter und Gerhard Falkner ein gewohnt anspruchsvolles Programm angekündigt – während das Sachbuchprogramm im Herbst noch sieben Titel hat, wird es im Frühjahr 2017 deutlich schmaler ausfallen. Ein Drittel der Neuerscheinungen sollen dann Sachbücher sein, also etwa drei bis vier Titel. Für die bald dezimierte Belegschaft, so von Lovenberg, suche man nach räumlichen Alternativen zu den Büros in der Friedrichstraße. Daran, dass der umstrukturierte Verlag die Schrumpfkur überstehe, glaube von der alten Belegschaft kaum jemand, berichtet Anwalt Pastille.

Falls es keine Einigung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung gibt, bliebe den entlassenen Mitarbeitern nur die Klage vor dem Arbeitsgericht. Verlagsleiter Oswald, der die Situation derzeit nicht kommentieren möchte, muss bereits zum Frühjahrsprogramm 2017 ein schlagkräftiges neues Programm auf die Beine stellen. Auch wenn sein Team nur noch eine Rumpftruppe ist.

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