Entlastungspaket der Bundesregierung: Trickreich gerechnet

Das dritte Entlastungspaket der Regierung stellt sich als Scheinriese heraus. Derweil verteidigt Christian Lindner seinen geplanten Inflationsausgleich.

Christian Lindner umringt von Personen

Wer soll das bezahlen? Beratung im Bundeskabinett am 14. September Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Die Ankündigung Anfang September war vollmundig. „Das dritte Entlastungspaket, das wir jetzt geschnürt haben, ist von seinem Umfang größer als die ersten beiden zusammen“, verkündete Bundeskanzler Scholz (SPD) nach einem 22-stündigen Sitzungsmarathon der Ampelkoalitionäre. „Es geht um 65 Milliarden Euro, wenn man alles zusammenrechnet.“ Das klingt nach verdammt viel. Aber wie kommt die Regierung auf diese enorme Summe?

Das wollte die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek vom Bundesinanzministerium wissen. Nach wochenlangem Warten hat sie nun eine Antwort auf ihre schriftliche Frage erhalten – deutlich später, als es die Regeln des Bundestags eigentlich vorsehen.

Die Aufstellung, die der Parlamentarische Staatsekretär Florian Toncar (FDP) an Reichinnek geschickt hat und die auch der taz vorliegt, nähren Zweifel an der propagierten Wucht des Pakets zur Bekämpfung der dramatisch steigenden Lebenshaltungskosten. Denn offenkundig hat die Ampelkoalition es mit allen möglichen Posten, die ohnehin entweder schon im Koalitionsvertrag vereinbart waren oder turnusmäßig fällig sind, aufgebläht.´

Ein Beispiel dafür ist die mit knapp 4,8 Milliarden Euro veranschlagte Erhöhung des jetzt „Bürgergeld“ genannten Hartz-IV-Regelsatzes, die auch ohne Krise erforderlich gewesen wäre. Auch die ohnehin anstehende Anhebung des Kindergeldes zählt dazu. Die aufgrund von Urteilen des Bundesfinanzhofes aus dem vergangen Jahr erforderliche Gesetzesänderung zur Abschaffung der Doppelbesteuerung von Renten ist mit mehr als 2,9 Milliarden Euro eingerechnet.

Trickreiche Posten

Auch der Ausgleich der kalten Progression, der mit 10,1 Milliarden Euro zu Buche schlägt, ist keine Reaktion auf die gegenwärtige Krise. „Fast ein Sechstel des Pakets – und damit der deutlich größte Posten – entfällt auf das Inflationsausgleichgesetz“, kritisiert Reichninnek. Dabei werde der Ausgleich der kalten Progression selbst aus den Reihen der Koalition als „falsches Instrument“ in der gegenwärtigen Situation bezeichnet.

Andere Posten im 3. Entlastungspaket können zumindest als trickreich bezeichnet werden. Das gilt zum Beispiel für die Reduzierung der Umsatzsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent, denn die soll ja nur eine Mehrbelastung, nämlich die Gasumlage, ausgleichen. Auch die Verschiebung der Preiserhöhung beim CO2-Preis führt nicht zu einer Entlastung, sondern nur zur Vermeidung einer Mehrbelastung.

Etwas fragwürdig erscheint auch, das Angebot an die Arbeitgeber, eine von ihnen zu zahlende einmalige Inflationsprämie an die Beschäftigten in Höhe von 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei zu stellen, im Entlastungspaket aufzuführen.

Interessant ist zum einen, dass das Finanzministerium nur von 5 Millionen Begünstigen ausgeht, obwohl es 34,3 Millionen sozialversicherungsplichtig Beschäftigte gibt. Es glaubt also offenkundig nicht daran, dass viele Unternehmen das Angebot annehmen werden. Zum anderen ist es nicht wirklich seriös, den Verzicht auf Steuernahmen, die es ohne die Prämienzahlung gar nicht geben würde, als 1,2-Milliarden-Euro schwere Mindereinahme aufzuführen.

Als nicht so ganz seriös kann auch die Summe angesehen, die das Finanzministerium für die angestrebte 9-Euro-Ticket-Nachfolgeregelung eingepreist hat: insgesamt 3 Milliarden Euro, die Hälfte auf den Bund verbucht. Nur: Als Preis für das neue Ticket wird in dem Ministeriumsschreiben zwischen 49 und 69 Euro angegeben. Aber warum wird dann nicht auch eine Kostenspanne angegeben?

„Wer Wochen nach öffentlicher Verkündung eines Programms nicht fähig ist, zu erklären, woraus das Programm besteht, setzt sich dem Verdacht aus, die Wahrheit mindestens verzerrt zu haben“, kommentiert Reichinnek das Ministeriumsschreiben. „Die nach mehreren verpassten Fristen nun vorliegenden Zahlen belegen den Verdacht.“

Tatsächlich, so hat die linke Abgeordnete nachgerechnet, beläuft sich die außerplanmäßige Entlastung für die Bür­ge­rin­nen und Bürger nur auf knapp 30 Milliarden Euro, wovon gerade 20,2 Milliarden vom Bund getragen würden. Und das bei zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen durch die gestiegene Inflation alleine im ersten Halbjahr von rund 29 Milliarden Euro.

„Das, was die Bundesregierung als ‚65 Milliarden-Entlastungsprogramm‘ verkauft, ist allenfalls eine Mogelpackung“, konstatiert Reichinnek.

Lindner will die kalte Progression bekämpfen

Christian Lindner hat derweil sein Inflationsausgleichsgesetz im Bundestag vorgestellt. „Unser Land ächzt unter galoppierenden Preisen“, sagte der FDP-Vorsitzende am Donnerstagvormittag im Plenum. Das sei keine statistische Größe, sondern betreffe den Alltag vieler Menschen. „Die Sorge um die Nebenkostenabrechnung, die Sorge, ob die Wohnung warm ist, die Sorge, ob am Ende des Monats Geld dafür da ist, den Kühlschrank zu füllen“, zählte er auf. Es sind erstaunlich warme Worte des Bundesfinanzministers, der sich an anderer Stelle auch mal über „Gratismentalität“ echauffiert hatte – aber da ging es noch um die Nachfolge des 9-Euro-Tickets.

Dieses neue Gesetz hat Lindner als Finanzminister maßgeblich vorangetrieben. Es ist Teil des dritten Entlastungspakets. „Die Inflation ist eine Bedrohung für Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilität unseres Landes“, sagte Lindner.

Mit dem geplanten Gesetz soll unter anderem das Kindergeld erhöht und der Kinderfreibetrag angehoben werden. Doch vor allem geht es um den Abbau der kalten Progression. Damit soll verhindert werden, dass Menschen mit steigenden Löhnen in einen höheren Steuertarif rutschen, obwohl sie aufgrund der Inflation nicht mehr Geld zur Verfügung haben.

48 Millionen Menschen würden davon profitieren. Lindner gab auch ein Beispiel: Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern mit einem Jahreseinkommen von 56.000 Euro würde um 680 Euro entlastet. Ab einem Einkommen von 61.972 Euro bleibt der Entlastungsbetrag gedeckelt, Superreiche können nicht zusätzlich profitieren.

Das neue Gesetz ist teuer

Eigentlich ist der Abbau der kalten Progression keine neue Erfindung. Auch Olaf Scholz hat das als Finanzminister in der Großen Koalition bereits zweimal getan – allerdings wurden damals auch die Superreichen mit entlastet.

Lindner appellierte ausdrücklich an die Länder, sich an den Kosten zu beteiligen – diese hatten in den vergangenen Tagen kritisiert, dass sie ohne Absprache einen großen Teil des dritten Entlastungspaket finanziell stemmen sollen.

Zudem gab es in der öffentlichen Diskussion schon im Vorfeld unterschiedliche Auffassungen dazu, wem der Abbau der kalten Progression tatsächlich zugute kommt. Prozentual profitieren davon kleine und mittlere Einkommen am meisten, in absoluten Zahlen aber steigt die Entlastung mit der Höhe der Einkommen. Gleichzeitig ist es ein teures Vorhaben: Das Inflationsausgleichsgesetz bedeutet für den Staat 2023 voraussichtlich Mindereinnahmen von 12,2 Milliarden Euro, 2024 werden es knapp 18 Milliarden.

Kritik kommt von Opposition und Grünen

Von Mathias Middelberg, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gab es ein vergiftetes Lob. Das Inflationsausgleichsgesetz sei „ein guter Baustein“, aber auch eine Selbstverständlichkeit. Der Staat habe durch die Inflation rund 50 Milliarden Euro an Mehreinnahmen, fast die Hälfte entfielen dabei auf den Bund. Das sei eine „Rückgabe von Übergewinnen“.

Ganz anders bewertete es hingegen Andreas Audretsch von den Grünen. Der Abbau der kalten Progression sei „jetzt in der Krise das falsche Instrument“. Denn es entlaste „die Reichsten“. Dennoch würden die Grünen es mittragen, weil ärmere Haushalte durch andere Maßnahmen im Entlastungspaket entlastet würden. Das klang nach Zustimmung mit Zähneknirschen.

Christian Görke, Sprecher für Finanzpolitik der Linksfraktion, musste sich in seiner Kritik weniger zurückhalten: Mit dem Gesetz gäbe es 479 Euro für den DAX-Manager, 150 Euro für die Kassiererin und die Friseurin in Teilzeit werde gar nicht entlastet.

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