Epidemiologe über die Ebolakrise: „Die WHO ist unterausgestattet“

Die WHO hat vor allem zweckgebundenes Geld. So konnte sie auf Ebola nicht schnell reagieren, sagt Public-Health-Experte Oliver Razum.

Hilfskräfte bei der Desinfektion nahe der liberianischen Hauptstadt Monrovia. Bild: ap

taz: Herr Razum, nach den jüngsten Ebola-Fällen im eigenen Land diskutieren die Vereinigten Staaten darüber, ob ein Reiseverbot aus Westafrika das Risiko der Epidemie in den USA eindämmen könnte. Großbritannien lässt derzeit in London-Heathrow die Fluggäste überprüfen, Frankreich misst die Körpertemperaturen von Passagieren aus Guinea. Wie wirksam ist solches Screening?

Oliver Razum: Reisebeschränkungen erfolgen aus politischen Gründen. Nach außen hin sieht es so aus, als wenn man was tut, aber die Wirksamkeit darf angezweifelt werden. Menschen gehen auf Reisen, bevor sie überhaupt Symptome haben oder wissen, dass sie sich infiziert haben. Das wissen wir spätestens seit dem Sars-Ausbruch 2003. Mit Infrarotmessungen am Flughafen filtert man diese Menschen nicht heraus. Daneben erschweren derlei Screening-Maßnahmen die Bekämpfung der Epidemie vor Ort.

Inwiefern?

Hilfeleistungen werden erschwert, wenn Grenzen geschlossen und Ein- und Ausreisen verkompliziert werden. Man kann ja nicht einfach Reis und Medikamente abwerfen. Was gebraucht wird, sind ausgebildetes Personal, Material und behelfsmäßige Behandlungs- und Isolierstationen. Wir haben bei Ebola die fatale Situation, dass wir in Ländern, in denen es eh kaum gut ausgebildetes Gesundheitspersonal gibt, sich dann auch noch die wenigen in den Gesundheitsdiensten Tätigen infizieren, weil es nicht genügend Schutzmaterialien gibt und sie einfachste Hygienestandards nicht einhalten können.

Es fehlen selbst Desinfektionsmittel und Gummihandschuhe. Wie kann das sein?

Wir haben eine Organisation, die Epidemien frühzeitig erkennen, publik machen und die Hilfe weltweit koordinieren sollte. Das ist die Weltgesundheitsorganisation …

die bei der Einschätzung des aktuellen Ebola-Ausbruchs ganz offenbar versagt hat.

Die WHO wird jetzt dafür kritisiert, dass sie ihren Aufgaben nicht rechtzeitig oder nicht sachgerecht nachgekommen ist. Das ist eine wohlfeile Kritik von Staaten, die selbst bewusst dazu beigetragen haben, die WHO über Jahre unterzufinanzieren und damit strukturell zu schwächen.

Jahrgang 1960, ist Professor für Epidemiologie und International Public Health an der Universität Bielefeld. Er war auch als Arzt in Simbabwe tätig.

Warum?

Die reichen Länder haben der WHO die ohnehin geringen Finanzmittel teilweise zweckgebunden zur Verfügung gestellt, weswegen die WHO – etwa im Fall von Ebola – gar nicht über das Budget verfügen kann, das nominell da ist. Die WHO muss aber, um zeitnah eingreifen zu können, wenn es zu Ausbrüchen wie jetzt in Westafrika kommt, Ressourcen unmittelbar mobilisieren können. Zudem braucht sie mehr Personal, um Ausbrüche zu erkennen.

Über die Ebola-Epidemie beraten seit Sonntagabend in Berlin beim jährlichen Weltgesundheitsgipfel Fachleute aus rund 90 Ländern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bekräftigten auf dem Gipfel, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stärken zu wollen. Sie sagten zu, Hilfsgüter und Ausrüstung in die Region zu transportieren. Gemeinsam mit der französischen Armee baue die Bundeswehr eine Luftbrücke in die betroffenen Länder auf. Mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung werde das Deutsche Rote Kreuz ein mobiles Krankenhaus mit mehr als 200 Betten sowie eine Ebola-Behandlungsstation in der Region aufbauen und betreiben. Die Bundeswehr werde eine weitere mobile Krankenstation für bis zu 100 Patienten einrichten.

„Ärzte ohne Grenzen“ hat schon vor Monaten vor einer Ebola-Katastrophe gewarnt. Diese Hinweise hat die WHO nicht ausreichend ernst genommen. Ist Ignoranz eine Ressourcenfrage?

Sicherlich ist das ein berechtigter Kritikpunkt. Es ist ein strategischer Fehler, sich darauf zu verlassen, dass beim Eintreten einer Public-Health-Katastrophe dann irgendwo schon schnell Mittel eingesammelt werden können, und zugleich eine Organisation, die genau hierfür zuständig ist, systematisch unterauszustatten. Die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, Alarm zu schlagen, ist zudem immer ein Balanceakt. Bei der Vogelgrippe etwa hat die WHO frühzeitig Alarm geschlagen, und hinterher haben alle auf die WHO eingeprügelt, dass ihre Warnungen überzogen waren. Wir können nicht ausschließen, dass es mit Ebola ähnliche Situationen geben wird.

Was sollte man bei Ebola jetzt noch falsch einschätzen?

Dass die Gesundheitssysteme der afrikanischen Länder nachhaltig gestärkt werden müssen, nicht nur vorübergehend. Zudem kann es passieren, dass der erste Impfstoff, der hoffentlich bald entwickelt und produziert sein wird, vielleicht nicht so gut wirksam ist wie ein späterer. Dann müssen vielleicht Hunderttausende Dosen Impfstoff weggeworfen werden.

Der Bundesgesundheitsminister hat sich ausdrücklich zur Stärkung der Vereinten Nationen und der WHO bekannt. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Bereits die letzte Bundesregierung hat 2013 eine Global-Health-Strategie herausgegeben. Darin wird die WHO als internationaler Impulsgeber anerkannt. Die Frage der finanziellen Unterausstattung wird in diesem Dokument aber nicht ausreichend behandelt. Der einzige konkrete Vorschlag sind interne Reorganisationsmaßnahmen. Das reicht nicht.

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