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Erdoğan und die OppositionDie CHP trägt Mitschuld an der Krise

Derya Türkmen
Kommentar von Derya Türkmen

Die CHP steht für Modernisierung, aber auch für Unterdrückung. Das Angebot der DEM zur Kooperation schlug sie aus. Die Opposition blieb gespalten.

CHP-Anhänger*innen während einer Zeremonie zum 102. Jahrestag der Parteigründung Foto: Francisco Seco/AP/dpa

D ie CHP, die sich gern als Gralshüterin der Republik versteht, trägt selbst einen erheblichen Teil der Verantwortung für die derzeitige Krise. Sie hat die Spaltung der Opposition vertieft. Recep Tayyip Erdoğan mag heute die türkische Politik dominieren wie kein anderer, doch seine Stärke wäre ohne die Schwäche der CHP kaum so groß. Die CHP ist die Staatspartei, die den Kemalismus über hundert Jahre geprägt hat. Mit diesem Erbe verbindet sich Modernisierung, aber auch eine Geschichte der Unterdrückung.

Es war die CHP, die kurdische Identität leugnete, Sprache verbot und kulturelle Vielfalt als Bedrohung behandelte. Diese Vergangenheit wirkt nach. Zwar unternahm die Partei einen Kurswechsel, wollte jünger, urbaner, weltoffener werden. Doch nationalistische Reflexe sind geblieben. Genau deshalb fiel es ihr so schwer, die laufenden Friedensprozesse aufzugreifen. Statt die Forderungen nach Anerkennung, Sprache und Selbstverwaltung ernsthaft zu unterstützen, schwieg sie.

Dabei wäre es ihre Verantwortung gewesen, Brücken zu schlagen und die Opposition zusammenzuhalten. Besonders deutlich wird das beim Verhältnis zur prokurdischen DEM. Noch im März stand die DEM an der Seite von Ekrem İmamoğlu. Doch von der CHP selbst kam kein ernsthafter Versuch, diese Geste aufzugreifen. Sie ließ eine historische Chance ungenutzt verstreichen. Heute erlebt die CHP im Übrigen genau das, was prokurdische Po­li­ti­ke­r:in­nen seit Jahren trifft: die Entmachtung gewählter Ver­tre­te­r:in­nen durch den Einsatz von Zwangsverwaltern.

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Erdoğan füllt diese Lücke geschickt. Indem er mit der DEM über Frieden spricht, signalisiert er Offenheit. Das tut er, weil er sie für eine Verfassungsänderung braucht. Noch ist die Opposition nicht endgültig gescheitert, doch sie ist gespalten. Eine Front gegen den Präsidenten hätte es gebraucht, eine klare Anerkennung der gemeinsamen Verantwortung. Stattdessen hält die CHP an alten Mustern fest. Genau das macht sie verwundbar – und erleichtert es Erdoğan, seine Macht weiter auszubauen.

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Derya Türkmen
Ist seit Oktober 2023 bei der taz, schreibt am liebsten über Gesellschaftthemen, Filmpolitik, Migration und die türkische Diaspora in Deutschland. Hat TV- und Filmproduktion in Hamburg, Angewandte Medien in Mittweida studiert, sowie Asian Cinema und TV-Broadcast in Ayr/Schottland.
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