piwik no script img

Erhalt der Luchs-PopulationEin Traumpaar für den Harz

Ein Kuder aus der Schweiz und eine Luchsdame aus der Ukraine sollen im Harz für Nachwuchs sorgen. Sonst droht die Tierart in der Region auszusterben.

Nach einer 30-tägigen Quarantäne soll die Katze Rikki zu ihrem Partner in das Freigehege einziehen und dort für Nachwuchs sorgen Foto: Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen
Reimar Paul

Von

Reimar Paul aus Göttingen

taz | Eigentlich ist das Harzer Luchsprojekt eine Vorzeigegeschichte für den Artenschutz. Seit dort vor 25 Jahren die ersten Pinselohren ausgewildert wurden, hat sich der Bestand gut entwickelt. In und um das Mittelgebirge streifen schätzungsweise 50 bis 60 erwachsene Luchse, sagt Projektleiter Ole Anders. Dazu kommt eine nicht bekannte Anzahl von Jungtieren.

Mehrere Luchse haben den Harz inzwischen verlassen und ihre Streifgebiete auf die weitere Umgebung ausgedehnt. Sichtungen gab es bereits im Weserbergland, im thüringischen Eichsfeld und in Nordhessen.

Anders als Wölfen droht den Luchsen auch niemand mit Abschüssen oder Obergrenzen. Obwohl sie ab und zu auch mal ein Schaf reißen, sind sie auch bei Jägern und Landvolk bisher gut gelitten. Touristiker vermarkten die Raubkatzen inzwischen sogar als Maskottchen der Region.

Gleichwohl schien es zuletzt so, als könnten die Harz-Luchse mittelfristig aussterben. Denn die Population ist mit den anderen, kleineren Luchsvorkommen im Bayerischen Wald und im Pfälzer nicht vernetzt. Deswegen drohen Inzucht und Degeneration.

Situation für Harz-Luchse „zunehmend dramatisch“

Anders bezeichnet die Situation als „zunehmend dramatisch“ und zeigt Bilder von einem Luchs ohne Ohren von der französisch-schweizerischen Grenze. Dort gebe es auch viele Luchse mit Herzanomalien. „Diese Population ist 25 Jahre älter als die Harzpopulation und nicht vernetzt mit anderen. Im Grunde können wir durch das Beispiel absehen, wo wir in 25 Jahren landen, wenn nichts passiert.“

Es passiert aber etwas. Zoologische Gärten, Umweltverbände und Forschungsinstitute in mehreren Ländern haben neue Auswilderungs- und Zuchtprogramme angeschoben. Der Nationalpark Harz beteiligt sich an der Initiative. Bereits Anfang August gelang es Anders und seinem Team, einen Kuder, also ein männliches Tier, aus den Alpen in der Harz zu holen. Der sechs Jahre alte Luchs lebte in einem Tierpark in der französischen Schweiz, inzwischen ist er in ein Auswilderungsgehege für Luchse bei Bad Harzburg übergesiedelt.

Seit Anfang Oktober ist das künftige Zuchtpaar nun komplett: Aus der Ukraine traf die siebenjährige Luchsin Rikki im Nationalpark ein. Nach einer 30-tägigen Quarantäne soll die Katze zu ihrem Partner in spe in das Freigehege einziehen und dort für Nachwuchs sorgen. Der erhoffte Nachwuchs wiederum soll ausgewildert werden und durch Paarung mit anderen Luchsen den Bestand der Population sichern.

Ausreiseprobleme für Luchsin Rikki

Der Transport von Rikki durch ein niederländisches Spezialunternehmen dauerte nach Angaben von Ole Anders drei Tage. „Das war eine nervenaufreibende Zeit“, sagt er. Ein Lufttransport sei aufgrund der Kriegssituation in der Ukraine unmöglich, der Transport auf dem Landweg sehr schwer zu organisieren gewesen.

Zunächst mussten bürokratische Hürden überwunden und die erforderlichen Dokumente für die Ausreise der Luchsin beschafft werden, dann gab es Verzögerungen bei den Grenzübertritten von der Ukraine nach Polen und von dort nach Deutschland.

Wegen Problemen und sprachlichen Schwierigkeiten bei der Zollabfertigung seien stundenlang Telefonate, E-Mails und Messenger-Nachrichten zwischen der Transportfirma, dem Zoo in Kiew, dem Nationalpark Harz und dem zuständigen deutschen Veterinäramt hin und her gegangen, berichtet Anders. Es sei für alle Beteiligten ein „Krimi“ gewesen, „bis schließlich klar war, dass Rikki die EU-Grenze nach Polen und dann auch die deutsch-polnische Grenze passieren durfte“.

Rikki hat bisher noch keinen Nachwuchs gehabt. Nach der Quarantäne wird sie im Harz zunächst noch durch einen Zaun von ihrem zukünftigen Partner getrennt. „Zum Beschnuppern“, sagt Ole Anders. „Wenn sie sich vertragen, kommen sie in ein gemeinsames Gehege.“ Dann heißt es abwarten. Paarungszeit ist bei den Luchsen im Frühjahr.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Der Luchs ist ein absoluter Einzelgänger.



    www.deutschewildti...de/wildtiere/luchs



    Laut Deutsche Wildtier Stiftung: "Das Revier eines Weibchens umfasst 50 bis 100 Quadratkilometer, bei Männchen sind es in der Regel mehr als 150 Quadratkilometer. ... Gibt es wenige Beutetiere oder ist der Wald in viele kleine Gebiete zerschnitten, kann ein Revier bis zu 450 Quadratkilometer umfassen."



    Zerschnitten wird es durch Straßen und Bahnstrecken, auf denen immer wieder auch Luchse umkommen. Zudem gibt es nach wie vor Wilderei. (Dank Tracking konnte ein gechipter Luchs z. B. bis in die Kühltruhe eines Jägers verfolgt werden.)



    Was der Artenschutz vor allen Dingen braucht, - aber nicht bekommt, sind stabile Lebensräume. Sicher vernetzt durch Korridore, mittels derer die Populationen sich austauschen können. Der Mensch müsste also Fläche abgeben. Und da wird es schwierig. Tatsächlich müssen wir aber dringend Lebensräume zur Verfügung stellen, wenn wir dem Artensterben entgegenwirken wollen. Angefangen im eigenen Garten.

    • @Woodbine:

      Die taz 2019 zur Wilderei in Bayern:



      taz.de/Wilderei-in-Bayern/!5622975/

      "Der Luchshasser ging in die Falle



      Seit Jahren verschwinden Luchse im Bayerischen Wald spurlos. Der Verdacht: Wilderer stellen ihnen nach. Jetzt wurde erstmals einer verurteilt."



      Lesenswert!

  • Wenn man die Tiere besendert und das dann journalistisch begleitet, kann das bestimmt wieder eine schöne Homestory für "Familie Harz-Luchs" mit Migrationshintergrund im Setting der Mainstream-Medien werden. Am besten werden noch die Namen der zukünftigen "Tierbabys" vermarktet und Patenschaften ausgelobt.

  • Solche Projekte sollten auch auf anderen Gebieten und mit anderen Wildtieren durchgeführt werden, das ist vielversprechend. Es kann nur der Artenvielfalt dienlich sein....

  • Und wenn Rikki und der Luchs-Kater sich nicht mögen? Hat da mal einer dran gedacht? Das riecht mir sehr nach Zwangsheirat.