Erinnerung an ein Jahr S21-Protest: Mut und Entschlossenheit

Schlagstöcke und Wasserwerfer hätten das Ende der Stuttgart-21-Bewegung sein können. Doch ein Jahr später sind die Protestler noch da - und marschieren wieder.

Déjà-vu: Proteste in Stuttgart - dieses Mal ohne Wasserwerfer. Bild: dpa

STUTTGART taz | Vor einem Jahr standen sie im Stuttgarter Schlossgarten und bekamen die Staatsmacht in Form von Schlagstöcken und Wasserwerfer-Strahlen zu spüren – an diesem Freitag kamen die vielen Tausend Stuttgart-21-Gegnern wieder zusammen, um an diesen massiven Polizeieinsatz zu erinnern. "Das hätte damals das Ende der Bewegung sein können", sagte die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, auf der Kundgebung zum Jahrestag auf dem Schlossplatz. Doch die S21-Bewegung habe Mut und Entschlossenheit bewiesen. Die Veranstalter zählten am Freitag insgesamt 20.000 Teilnehmer auf dem Schlossplatz. Die Polizei sprach offiziell von 5.000.

Am 30. September im vergangenen Jahr war die Polizei mit Hundertschaften in den Schlossgarten gekommen und hatte die zahlreichen und überwiegend Demonstranten gewaltsam zurückgedrängt, um Gitter für die Fällung von Bäumen aufzustellen. Mehrere Hundert BürgerInnen waren dabei teils schwer verletzt worden.

Eines der zentralen Themen der Protestaktion am Freitag war die juristische Aufarbeitung des 30.9.. Die habe es bis heute nicht gegeben, kritisierte der Vater des S21-Protets, Gangolf Stocker. Dabei gäbe es genug Gründe für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Stocker warf der Polizei und der Justiz "alte Seilschaften" vor.

Der ehemalige Strafrichter Dieter Reicherter drückte seine "Empörung über den Untersuchungsausschuss" aus. Auch dieser hatte keine Konsequenzen für die damals Verantwortlichen zur Folge. Es werde in Stuttgart keine Ruhe geben, sagte Reicherter, "bis dieser Tag nicht objektiv aufgearbeitet ist".

Entschädigung der Opfer

Reicherter hatte am Donnerstagabend ein Bürgertribunal mitorganisiert. Am Ende dieses Tribunals standen Forderungen, die demnächst der grün-roten Landesregierung übergeben werden sollen. Dazu gehören unter anderem die Einsetzung einer unabhängigen Ermittlerkommission, die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes, die Entschädigung der Opfer, die Belangung der politisch Verantwortlichen sowie die Kennzeichnungspflicht für Polizisten.

Berthold Frieß, Landesgeschäftsführer der Umweltschutzorganisation BUND, erinnerte am Freitag jedoch daran, dass der 30. September auch ein schwarzer Tag für PolizistInnen gewesen sei. Doch vor allem sei er "ein rabenschwarzer Tag für unsere Demokratie" gewesen.

Mit Blick auf die nun nahende Volksabstimmung haben viele Redner den Demonstranten Mut zugesprochen, auch wenn es angesichts des hohen Quorums schwer werde. Das Quorum sieht vor, dass mindestens ein Drittel aller Wahlberechtigten für den Ausstieg aus der Projektfinanzierung stimmen müsste.

"Wir haben immer auf nahezu verlorenem Posten gekämpft", sagte der Theaterregisseur Volker Lösch. Die Bewegung sei oft tot gesagt worden, habe aber bislang jede Hürde genommen. "Wir haben die Herausforderung immer angenommen", sagte Lösch. Er erinnerte unter anderem an die S21-Schlichtung und die von den Grünen gewonnene Landtagswahl.

An die Kundgebung schloss sich ein Demonstrationszug durch die Stuttgarter Innenstadt an. Dieser endete im Schlossgarten, wo das Aktionsbündnis gegen S21 ein weiteres Kulturprogramm bot. Zu Live-Musik schauten viele andächtig auf eine große Leinwand neben der Bühne, wo Videos vom damaligen Einsatz gezeigt wurden. Manche zündeten Kerzen oder Laternen an. Über den Bäumen hing ein großer, hell beleuchteter Ballon mit der Aufschrift "30.9. mahnt…!". Um 23 Uhr, knapp anderthalb Stunden bevor vor einem Jahr der erste Baum gefällt wurde, fand zusätzlich ein Schweigemarsch statt.

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