Erinnerung: „Wir sind tatsächlich zornig“

Mit Kunstinstallationen vor Kriegerdenkmälern will eine Initiative der Nordkirche zu deren Umgestaltung anregen. Doch das stößt vielerorts auf Widerstand.

Hoffnung auf Denkanstöße: Das Denkmal am Stephansplatz ist immer wieder verfremdet worden. Bild: Miguel Ferraz

taz: Ist die Zerstörung der Kunstinstallation am Kriegerdenkmal in Ihren Augen besser als gar keine Reaktion, Herr Hentschel?

Ulrich Hentschel: Es hilft der Aufmerksamkeit. Aber wünschenswert ist vor allem, und das erleben wir auch, dass die Installation bei denen Reaktionen hervorruft, die im Alltag daran vorbeigehen. Ich habe zweimal eine halbe Stunde am Kriegerdenkmal am Stephansplatz verbracht und viele Leute stehen bleiben sehen. „Was soll die Wäsche hier“, sagen sie und schauen sich die Inschrift zum ersten Mal genauer an: „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“, steht dort. „Das ist ja furchtbar“, sagten die Leute dann.

Das heißt, die Reaktion auf die Installation an den sechs Standorten ist insgesamt positiv?

Das ist schwierig zu quantifizieren. Die häufigste Reaktion ist sicher: Was soll das denn? Das war übrigens auch meine Reaktion, als ich von der Idee der Künstler hörte, eine Wäscheleine mit weißer Wäsche daran vor die Kriegsdenkmäler zu hängen. Aber als ich nach zwei Minuten anfing, darüber nachzudenken, was das mit der Wäsche denn bedeuten sollte, fand ich es interessant.

Es gibt einen großen Kontrast zwischen der pathetischen Wucht der Denkmäler und der Banalität der Wäsche. Ist das das Provozierende daran?

Die Wäsche hängt normalerweise hinter dem Haus, es ist der von der Nachbarschaft abgeschirmte Alltag. Jetzt ist sie nach vorne geholt, um die Kriegsverherrlichung hinter dem Alltag zu sehen. Der Alltag, das wissen wir aus den Kriegen, lief gerade für die Deutschen ja, solange sie nicht unmittelbar betroffen waren, normal weiter.

In einer Reaktion auf die Zerstörung sagten Sie, dass man mit „Zorn zur Kenntnis nehmen müsse“, dass es Menschen gebe, die die Kunstaktion nicht zulassen wollten. Was machen Sie mit Ihrem Zorn?

Der Zorn flaut ab und wir versuchen, ihn in weitere Aufklärungsarbeit umzusetzen. Aber wir sind tatsächlich zornig über diese Mischung aus Ungebildetheit und bewusster Zerstörung von Nachdenklichkeit. Diese Menschen haben keine Argumente vorzubringen, sondern lassen rechte Aggressivität an einem Kunstwerk aus.

Ulrich Hentschel, 64, Studienleiter bei der Evangelischen Akademie der Nordkirche mit Schwerpunkt Erinnerungskultur. Er hat die Installationen mit in Auftrag gegeben.

Sie vermuten eine politische Haltung, nicht bloß Randale?

In Bramfeld bin ich unsicher. Dort gibt es eine rechte Szene, die bis vor einigen Jahren am Kriegerdenkmal ihre Kundgebungen gemacht hat, bevor die lokale Friedensinitiative und die Arbeitsgruppe Denkmal eigene Kundgebungen veranstaltet haben. In Harburg dagegen ist die Wäsche sauber abgenommen worden, das war keine Zerstörung, sondern Diebstahl.

Und wo ist es politisch motiviert?

Beim Kriegsklotz am Stephansplatz sind gezielt kritische Transparente abgenommen worden, nun hat man die Wäsche und die Stangen heruntergerissen. Am Kirchentag hatten wir dort eine Kundgebung, zu der wir auch Ludwig Baumann eingeladen haben, der im Zweiten Weltkrieg desertiert ist. Während er sprach, verteilte eine Gruppe der Burschenschaft Germania Flugblätter, in denen sie das Denkmal verteidigte und die Deserteure als Feiglinge beschimpfte.

Die Künstler Axel Richter und Uwe Schloen haben im Auftrag der evangelischen Nordkirche seit September an sechs Orten in Hamburg eine Installation mit Wäsche vor Kriegsdenkmälern angebracht. Dies ist Teil einer Aktion, die zur Umgestaltung dieser Denkmäler aufruft.

An einigen Standorten sind die Installationen inzwischen beschädigt worden.

Mehr Informationen unter: www.denk-mal-gegen-krieg.de

Ist das für Sie ein Impuls, mit diesen Gruppen in einen Dialog zu treten?

Mit den rechten Gruppen können wir es nicht, weil sie nicht wollen. Uns liegt auch mehr daran, Desinteressierte darauf aufmerksam zu machen, dass in der Stadt mindestens hundert solcher Denkmäler mit nationalistischen Parolen stehen. Ich finde es bedenklich, dass sich Kirchenvorstände und das aufgeklärte Bürgertum nicht mit der Frage auseinandersetzen wollen.

Ein Anwohner in Bramfeld beschwerte sich, woraufhin die Polizei die Wäsche entfernte. Ist die Obrigkeit auch skeptisch?

Es ist interessant, dass sofort ein Streifenwagen losfuhr. Die Beamten haben den Staatsschutz gefragt, der sie erst einmal beruhigt hat. Ich sehe die Hilflosigkeit der jungen Beamten eher gelassen. Unser Fokus ist ein anderer: etwa dass der Bezirk in Bramfeld das dortige Denkmal umgestaltet. Das ist auch eine Aufgabe für manche Kirchengemeinde, auf deren Friedhöfen sich Kriegerdenkmäler befinden, die den Soldatentod verherrlichen, etwa in Blankenese.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.