Erinnerungskultur in Südtirol: Das war überfällig

Ein neues Dokumentationszentrum im italienischen Bozen setzt sich mit der faschistischen Architektur des lokalen Siegesdenkmals auseinander.

Siegesdenkmal mit Manschette. Bild: Alessandro Campaner/Südtiroler Landesarchiv

„Das Auffallendste an Denkmälern ist“, notierte Robert Musil, „dass man sie nicht bemerkt.“ Dies traf in besonderer Weise auf das Siegesdenkmal in Bozen zu, der Hauptstadt Südtirols. Obwohl es kaum zu übersehen ist. Wer über die wichtigste Brücke der Stadt fährt, die Talferbrücke, stößt direkt darauf.

Als monumentaler Triumphbogen markiert es die beiden Seiten einer Stadt: hinter ihm die Altstadt Bozen, vor ihm das neue Bolzano. Es bedurfte also einer gewissen Anstrengung, es nicht zu sehen, und die zu leisten waren die meisten, deutsch- wie italienischsprachige Südtiroler, bereit. Es war von Grund auf falsch gelagert, aus purer Ideologie geboren, der zu begegnen sinnlos schien.

Schließlich gab es ja auch noch die, die es nicht lassen wollten, mit dem Denkmal an den Sieg Italiens über Österreich-Ungarn im Jahr 1918 zu erinnern und an das Ende der deutschen Vormachtstellung im Alpenraum. Ihnen standen jene gegenüber, die nicht müde wurden, das Trauma der Annexion der deutschsprachigen Bevölkerung durch einen ergaunerten Sieg Italiens zu beschwören. Jeder, der vom unüberwindbaren Starrsinn gezeichnet war, konnte sich daran festbeißen. Der Rest schielte daran vorbei. Ohnehin musste man sich auf den Verkehr konzentrieren. Aus der Perspektive eines Autofahrers ist das Siegesdenkmal eine Verkehrsinsel.

Daran hat sich jetzt einiges geändert. Das Monument steht offen da, die hohen Zäune, die es vor Anschlägen schützen sollten, sind entfernt, es wurde renoviert und nach langem Streit einigte man sich darauf, im Keller des Siegesdenkmals ein Dokumentationszentrum einzurichten. Es wurde im Juli dieses Jahres eröffnet; 86 Jahre nach seiner Einweihung durch Mussolini, der es zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bei dem Architekten Piacentini in Auftrag gegeben hatte.

Gesten der Unterwerfung

Auf den ersten Blick sichtbar ist ein digitaler Ring, der an der Frontseite um eine der liktorischen Säulen gelegt wurde. In roter Laufschrift gibt er den verkürzten Titel der Ausstellung wieder: „BZ ’18–’45“. Diese kleine banale Manschette bewirkt Erstaunliches: Sie wirkt wie ein Nasenring, an dem das Denkmal aus dem miefigen Stall der Geschichte heraus in die gegenwärtige Reflexion geführt wird. Nicht mehr die Repräsentanz des Denkmals ist, was strahlen soll; stattdessen unterstützt der analytische Blick auf zwei Weltkriege, zwei Diktaturen und zwei faschistische Ideologien die Erkenntnis und wappnet für den Umgang mit heutigen und künftigen Weltansprüchen.

Die komplette Entzauberung verkörpert allein die liktorische Säule mit den antiken Fasci – die Kampfbündel, die Sinnbild waren für Mussolinis Revolution –, um die jetzt die Leuchtziffern zweier Weltkriege flitzen. Jetzt fällt es leicht, den eingearbeiteten Gesten der Unterwerfung nachzuspüren. War man bisher gezwungen, zu dem Triumphbogen emporzusehen, ist es jetzt erlaubt, auf einer Ebene mit dem Denkmal zu stehen und auf alles Darunterliegende hinabzusehen.

Im Eingangsbereich des Dokumentationszentrums empfängt einen ein Zitat von Brecht: „Die Pflicht eines Patrioten ist es, sein Land vor der eigenen Regierung zu schützen.“ Das lässt keine Zweifel offen: Hier soll dem naiven Blick keine Gelegenheit gegeben werden, sich an einer totalitären Geschichte zu erbauen.

Ein innerer und ein äußerer Parcours lassen in der Ausstellung dem Besucher die Freiheit, zwischen den politischen Ereignissen einerseits und der Entstehung, der Funktion und der Bauart des Denkmals andererseits zu wechseln. Machtwechsel, Faschismus, Italianisierung, der Pakt zwischen Hitler und Mussolini, die Optionszeit, die nationalsozialistische Herrschaft, Bozen als ein Kreuzungspunkt zweier Diktaturen: Das sind die politischen Ereignisse.

Karikatur des Triumphes

Kunsthistoriker setzen sich mit der Bildsprache des Bildhauers, Malers und Architekten Marcello Piacentini auseinander. Angesichts der überbordenden Vielzahl der symbolischen Bezüge, die er genutzt hat, von der Antike bis zur christlichen Erlöserfigur, und angesichts der absolutistischen Strenge, die aus allen Details spricht, wirkt das Denkmal doch auch wie eine Karikatur.

Der Bau des Siegesdenkmals kennzeichnet einen geschichtlichen Moment, als der italienische Faschismus sich in seiner Höchstphase befand. Die Ausstellung scheut sich nicht, den Stolz der Sieger zu zeigen, und dabei nicht beim Chauvinismus der Herrschenden stehen zu bleiben, sondern auch eine patriotische Gesellschaft einzubeziehen, die im Rausch der modernen Italianità von sich überzeugt war und die sich feierte, jubelte und die sich zweifellos auf der Gewinnerseite wähnte.

Es ist ein mutiger Schritt, den italienischen Faschismus an einem neuralgischen Ort darzustellen, dort, wo sein Triumphgebaren in direkter Nachbarschaft zu denen inszeniert wurde, die er unterdrückte. Dass seine Geschichte auch dort reflektiert wird, wo lange hauptsächlich das Schicksal der besetzten und eroberten Südtiroler im Vordergrund stand, bietet die Chance, auch für die Reflexion der deutschen Geschichte in ein neues Verhältnis einzusteigen. Was es jetzt schon ist: ein starkes Zeichen des Vertrauens, das sich beide Seiten mit dem Dokumentationszentrum zugemutet haben.

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