Erlöse aus dem Sotschi-Abo: Kvartira – das meint: Schutzraum

Quarteera ist ein russischer Verein für Schwule, Lesben, Trans* und Intersexuelle. Die NGO erhält die Hälfte der Erlöse aller Sotschi-Probeabos.

Bild: privat

Sie alle können aus ihrer ehemaligen Heimat horrible Geschichten erzählen. Es sind Berichte aus dem Russland des Wladimir Putin. Einem Staat, dessen Parlament voriges Jahr ein Gesetz verabschiedet hat, das schon gewogenes, interessiertes Sprechen über Schwule, Lesben und Trans*-Menschen unter Strafe stellt. Oder um es mit den Worten der prominenten Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa bei der letztjährigen Leichtathletik-WM in Moskau zu sagen: Andere Länder mögen es anders sehen, aber in ihrem Land würde man nur Beziehungen gutheißen, die Kinder hervorbringen und aus Mutter und Vater bestehen.

Andere Russen sehen das anders

Die Leichtathletin mag das so sehen wie so viele aus der neuen russischen Elite, aber andere Russen, ob sie noch einen Pass ihres Landes haben oder inzwischen über einen deutschen verfügen, sehen das anders: allen voran die Männer und Frauen der Gruppe Quarteera, die sich vor drei Jahren in Deutschland gründete. Quarteera – das ist eine Wortmischung. Queer an ihrem Ende umreißt das Spektrum der Menschen, um die es geht. Schwule Männer, lesbische Frauen, Trans* und Intersexuelle – Menschen also, die aus der aktuellen Logik des russischen Verständnisses von Antiwestlichkeit herausfallen. Und die erste Silbe, meint das russische Wort für Kvartira – eine gemütliche Wohnung. Quarteera will ein Schutzraum sein, eine Behausung für Menschen, die sie in gewisser Weise sehr nötig haben. Denn tatsächlich ist eine Organisation auch in sehr privater Hinsicht wichtig. Viele Mitglieder und AktivistInnen von Quarteera e.V. wirken in ihrem Sinne, ohne dass ihre familiären Angehörigen von ihrem – queeren – Tun wüssten. Eltern- oder Geschwistersolidarität mit Lesben und Schwulen? Wie überall auf der Welt – selten oder gar nicht existent. Kvartira hat also den Charakter eines Raums für die Schmuddelkinder des (nicht nur) russischen Wegs, der sich vom Westen, von den bürgerrechtlichen Errungenschaften freier Länder distanziert.

ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben. Er koordinierte die täglichen taz-Sonderseiten zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi.

Als die taz sich im November entschloss, zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein Sonderteam zu gründen, um angemessen Sport, Politik und Kultur in Russland der olympischen Tage journalistisch angemessen zu spiegeln, fragten wir uns intern, wie diese Aktion auch konkret nützlich für Betroffene sein könnte. So ersannen wir das Sotschi-5-Wochen-Abo für 20 Euro – und die Hälfte von den keineswegs die Druckkosten deckenden Erlösen wollten wir einem guten demokratischen Zweck zukommen lassen. Weil die Putin'sche Politik sich daraus speist, Hetze und Missgunst wider Schwule, Lesben und Trans*menschen zu betreiben und zu säen, war es naheliegend für die taz, eine queere Organisation zu suchen. Der LGBT*-Aktivist Klaus Müller half schließlich, Quarteera e.V. auszuwählen. Wir hätten auch Umweltvereine bedenken können, aber Organisationen der Nichtheterosexuellen erhalten in der Regel von einem Nicht-Underground-Medium (auch der taz) nie offene Förderung.

Auf keiner Payroll

Quarteera e.V. war und ist uns bestens geeignet: Wenige Mitglieder, Männer wie Frauen, organisieren bei Asylverfahren Rechtshilfe; sie halten die Kommunikationswege nach Russland offen und stabil; sie sind durch kein Ministerium oder irgendeinen Thinktank geleitet – sie haben sich selbst gegründet, sie sind unabhängig, sie sind auf keiner Payroll und stehen nur für eigene Interessen ein. Inzwischen haben sie es, durch karge Spenden, zu einer eigenen Präsenz etwa auf dem Berliner CSD gebracht – und sie werden weiterarbeiten, denn noch immer, beispielsweise, ist es ein skandalöser Zustand, dass schwule oder lesbische Flüchtlinge aus Russland in Heimen untergebracht werden, in denen sie bisweilen Mitflüchtlingen als Heimnachbarn ausgesetzt sind, die homophob sind und entsprechend agieren.

Quarteera schrieb uns: „Wir versuchen, diejenigen, die bereits in Deutschland sind, mit Rat und Tat zu unterstützen, ihnen bei der Suche nach einem Anwalt, in Fragen des deutschen Alltagslebens oder in schwierigen Momenten des Asylprozesses zu helfen. Gleichzeitig antworten wir auf die zahlreichen E-Mails aus Russland, die uns mit der Frage erreichen, wie man nach Deutschland kommen kann. Zurzeit (Februar 2014) wissen wir von 15 asylsuchenden Schwulen und Lesben aus Russland. Das sind sowohl Paare als auch Einzelpersonen, eine Familie mit einem kleinen Kind. Die Aussichten auf Asyl sind ungewiss, bisher gibt es nur zwei positive Ergebnisse.” Das Gebiet ihrer Wahrnehmung beschränkt sich nicht auf Russland. Es werden zudem Kontakte nach Kirgisien, Georgien und in anderen Staaten der früheren UdSSR gepflegt. Ihr Kampf geht also weiter - und sei es durch die Ausgestaltung ihrer eigenen Website, die stetig auf Deutsch und Russisch aktualisiert werden muss: www.quarteera.de bietet alle Infos und ist eine Nachrichtenbörse – auch für Menschen bis ans östliche Ende Russlands.

15.000 Euro von der taz

Quarteera e.V. wird auf dem taz.lab 2014 am 12. April in Berlin für ihre Arbeit ausgezeichnet – und zwar ganz praktisch durch den immensen Zuspruch zu Probe-Abos der taz: Dies macht auch das große Interesse der queeren Leserschaft an der sotschi.taz nachdrücklich deutlich. Die taz wird die Ehre haben, dieser fleißig arbeitenden NGO (im Wortsinn) Quarteera gut 15.000 Euro überreichen zu können. Mögen Sie damit der Flüchtlingsarbeit aufhelfen, mögen sie damit FreundInnen in Russland helfen können – von Wladiwostok bis Kaliningrad, von Sotschi bis nach St. Petersburg.

Was sie sich wünschen? „Wir freuen uns über Unterstützung bei unserer Arbeit mit der russischsprachigen Community hier in Deutschland, die die Erfahrung einer toleranten und offenen Gesellschaft zurück nach Russland trägt.”