Eröffnung der Frankfurter Buchmesse: Die Welt in Fetzen
Loren Legarda, José Rizal, Wolfram Weimer und Rilke, nein Adorno: philippinische wie deutsche Politiker boten zur Buchmesseneröffnung manch Einblicke.

Im letzten Jahr waren sich alle des Dilemmas bewusst: Italien war Gastland der Frankfurter Buchmesse und die Würdenträger:innen aus Rom wollten begrüßt werden. Da diese jedoch einer rechten, postfaschistischen Regierung angehörten, die zudem unter Zensurverdacht stand, waren bei der Eröffnung im letzten Herbst mitunter akrobatische Balanceakte seitens der deutschen Redner:innen zu beobachten.
Zwischentöne dieser Art fehlten in diesem Jahr ganz. Tosender Applaus brandete auf nach der Rede der philippinischen Senatorin Loren Legarda, die an den Nationalhelden und Schriftsteller José Rizal erinnerte. Rizal war Ende des 19. Jahrhunderts hingerichtet worden, weil er die spanische Kolonialregierung kritisiert hatte. Ihn zu feiern, ist unverfänglich, sein Tod lange her. Senatorin Legarda brachte die Übel der Welt zur Sprache, Ungerechtigkeit, Korruption, Tyrannei, gegen die Literatur eine Waffe sei. Welche Anwendung diese Waffe aktuell auf den Philippinen findet, sagte sie nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weit auseinander auf dem Inselstaat, die politischen Geschicke des Landes liegen in den Händen von Clans, den „fat dynasties“, einflussreichen philippinischen Familiendynastien. An der Spitze: Präsident Ferdinand Marcos jr., Sohn des 1986 aus dem Land gejagten Diktators.
Auch deutsche Politiker betraten bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, die bis Sonntag läuft, am Dienstagabend das Podium. Was aus der Richtung zu hören war, fiel größtenteils in die Kategorie Multifunktionsrede, denn mit Literatur hatte das Ganze zumeist wenig zu tun. Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) erinnerte an das Stadtplanungskonzept „Neues Frankfurt“, das in diesem Jahr 100. Geburtstag feiert, und beschwor seine Zuhörer:innen, sich für den Erhalt der Demokratie einzusetzen. Entscheiden, was das Richtige sei, und dann die Bevölkerung davon zu überzeugen, das mache für ihn einen großen Politiker aus, so Josef.
Dem guten Willen eines Erwachsenen ausgeliefert
Auch sein Nachfolger auf der Bühne im Frankfurter Congress Center, Hessens Kultusminister Armin Schwarz, streifte das Thema Literatur nur am Rande. Der CDU-Politiker erzählte von einem 12-jährigen Mädchen aus Afghanistan, das er offenbar getroffen hatte, hinter ihm lief jedenfalls eine Diashow über den Bildschirm, die Schwarz in einem Klassenraum zeigte. Dass dieses Mädchen nun in Deutschland zur Schule gehe und die gleichen Rechte habe wie alle anderen Jungen und Mädchen, das sei für ihn der Inbegriff von Demokratie. Ein interessantes Gleichnis: eine Gruppe Unmündiger, dem guten Willen eines Erwachsenen ausgeliefert, alle mit unterschiedlichen Bleibe- und Duldungsrechten ausgestattet.
Die Brücke zwischen den verschiedenen Wortbeiträgen bei der Buchmesseneröffnung schlug eine Stimme aus dem Off. Angeblich einem echten Menschen zugehörig, den man allerdings nie zu Gesicht bekam, hätte die Stimme auch einer künstlichen Quelle entstammen können. Die Sinne waren jedenfalls geschärft, warnte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer doch eindringlich vor den Gefahren, die von KI ausgehen. Zumindest wenn es sich um ausländische KI-Unternehmen handele, die sich auf „vampiristische Weise“ an den Ideen „kluger Köpfe“ bediene. Nichts anderes als „digitaler Kolonialismus“ sei das.
Der parteilose Politiker und Gründer des konservativen bis rechtsliberalen Magazins Cicero recycelte seine Rede vom internationalen Literaturfestival Berlin, das er mit ähnlichen Worten eröffnete. Von den Wiesen „unserer blauen Blumen“ war erneut die Rede, von Rilke, diesmal auch von Adorno. Die Brücke zur Literatur schlug Weimer immerhin, KI werde die Welt der Bücher „in Fetzen reißen“, sagte er, sie weitaus dramatischer verändern, als es die Digitalisierung vermochte. Letztere, da war sich Weimer immerhin sicher, habe die Buchbranche aber zumindest gut überlebt.
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