Eröffnung der Kulturhauptstadt: Breslau will europäisch bleiben

Bei den Feierlichkeiten zum Auftakt von Breslaus Jahr als Kulturhauptstadt am Sonntag setzte die Stadt ein klares Signal für ein demokratisches Polen.

Zuschauer bei den Eröffnungsfeierlichkeiten auf dem Marktplatz in Breslau

Breslauer BürgerInnen sehen sich lieber als Europäer. Foto: ap

Eigentlich heißt ja das Motto der europäischen Kulturhauptstadt Breslau 2016 „Raum für das Schöne“. Weil aber die Lage in Polen gerade weniger schön ist, geriet auch die feierliche Eröffnung des Kulturhauptstadtjahrs zu einem Politikum. „Europa ist unsere Zukunft. Der Nationalismus dagegen ist von gestern“, sagte Breslaus Stadtpräsident Rafał Dutkiewicz am Sonntag bei der feierlichen Eröffnungsgala in der neuen Breslauer Philharmonie – und bekam dafür großen Beifall. Polens Vizepremier und Kulturminister Piotr Gliński, der aus Warschau angereist war, wusste in diesem Moment, dass er in Breslau kein Heimspiel haben würde.

Auf den Straßen und Plätzen war am Wochenende von Politik wenig zu spüren. Vielmehr feierte sich die Odermetropole mit ihren 630.000 Einwohnern wieder einmal selbst. Am Freitag und Samstag strömten Tausende auf die Wyspa Słodowa, die Malzinsel nahe dem Dom, um sich die Tanzperformance „Insel im Feuer“ anzuschauen. Feurig ging es auch an den zwei Dutzend Infoständen zu, wo bei Kaffee, Tee und wärmenden Feuerschalen die Programmzeitungen verteilt wurden.

„Breslau erwacht“, lautete das Motto des Eröffnungswochenendes – und das konnte man durchaus auch als Drohung an Warschau verstehen. Norman Davies, der britische Biograf der Stadt, schrieb in einem Beitrag für die Kulturhaupstadtzeitung: „Manche haben heute Schwierigkeiten, solche Begriffe wie Nachbarschaft, Brüderlichkeit oder das Zusammenleben mit anderen zu verstehen. Wie es funktioniert, können sie von Breslau lernen.“

Tatsächlich war mit der Wahl der Kulturhauptstadt 2016 auch das Thema europäischer Identität oder besser Identitäten verbunden. Eine deutsche Stadt, aus der nach dem Krieg eine polnische Stadt wurde, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als europäische Stadt neu erfinden musste: Das war in Breslau/Wrocław nicht nur das Werk von Politikern wie Dutkiewicz, sondern das Verdienst vieler.

Im Stadtmuseum wurden die Porträts der zehn Nobelpreisträger der Stadt aufgehängt, obwohl unter ihnen kein Pole war. In seinen Krimis ließ der Bestsellerautor Marek Krajewski seinen Kommissar Eberhard Mock im deutschen Breslau der späten dreißiger Jahre ermitteln. Und schon 1965, daran erinnerte Stadtpräsident Dutkiewicz in seiner Rede am Sonntag, reichte der Breslauer Bischof Bolesław Kominek den Deutschen mit den berühmte Sätzen die Hand: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Dutkiewicz: „Uns macht das Streben nach Freiheit aus und die Suche nach Neuem.“

Auf dem Weg in die europäische Zukunft

Breslau auf dem Weg in die Zukunft, und zwar in eine europäische Zukunft, war auch die Botschaft eines Sternmarschs, an dem am Sonntag zehntausend Bürger teilnahmen. Aus den vier Himmelsrichtungen führten die Spaziergänge zum Marktplatz, jeder von ihnen einem Teil des Breslauer „Spirits“ gewidmet: Wiederaufbau, Multikulturalität, Hochwasser und Innovation. In diesen Etappen vereint sich tatsächlich ein europäischer Geist.

Der Wiederaufbau nach 1945 war noch ganz als Werk der polnischen Inbesitznahme in den sogenannten wiedergewonnenen Gebieten zu verstehen. Doch bald schon widmete sich die Stadt ihrer böhmischen, habsburgischen und preußischen Vergangenheit. Die Stadt der Bürger wurde schließlich 1997 geboren, als Tausende die Schätze der Universitätsbibliothek vor dem verheerenden Oderhochwasser in Sicherheit brachten und den wiederaufgebauten Altstadtmarkt mit Sandsäcken schützen. Und schließlich ist sie die Stadt der Innovation, der Forschung, aber auch der künstlerischen Impulse in benachteiligten Vierteln wie der Odertorvorstadt Nadodzre.

In der niederschlesischen Metropole wird gern behauptet, Berlin liege näher als Warschau

Gleichwohl hat der politische Rechtsruck in Polen auch die niederschlesische Metropole erreicht, in der immer wieder gern behauptet wird, Berlin liege näher als Warschau. Die Aufführung des Theaterstücks „Der Tod und das Mädchen“ von Elfriede Jelinek im Teatr Polski hätte Kulturminister Piotr Gliński am liebsten verhindert – wegen angeblicher Pornografie. Das Stück fand dennoch statt und wurde vom Breslauer Publikum gefeiert.

Vor dem Theater aber mussten sich die Zuschauer von der rechtsradikalen „Bewegung für die Wiederauferstehung Polens“ und den Teilnehmern eines katholischen „Rosenkranz-Kreuzzugs“ beschimpfen lassen. Zuvor war bei einem rechten Marsch durch die Innenstadt eine Puppe mit Schläfenlocken verbrannt worden. Auch im weltoffenen, liberalen Breslau ist in den vergangenen Jahren eine rechtsradikale, nationalklerikale Szene herangewachsen.

In seiner Rede auf der Eröffnungsgala betonte Kulturminister und Vizepremier Gliński, dass er außerordentlich gern nach Breslau gereist sei. Dann sprach er von den christlichen Werten, die Europa auch ausmachen, und von Breslau als einem Ort der polnischen Geschichte und Kultur, fast als gelte es, keine europäische, sondern eine polnische Kulturhauptstadt zu würdigen. Doch die Breslauer, das haben sie an diesem Wochenende klargemacht, wollen europäisch bleiben.

Als Gliński am Ende seiner Rede sagte, Polen sei eine „stabile Demokratie“, ging Gelächter durch das Publikum, einige riefen „Propaganda“. Doch dann brauste im gleichen Moment tosender Beifall auf. Ja, Polen, ist eine stabile Demokratie, und die lassen wir uns von Warschau nicht kaputtmachen, lautete die Botschaft. Breslau ist mit einer klaren Ansage ins Kulturhauptstadtjahr gestartet.

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