Eröffnung des Literaturfestival Berlin: Alles wird diskutiert

Literatur und große interantionale Stars allein reichen nicht. Es muss auch etwas bezweckt werden – das suggerierten die Eröffnungsreden.

Liao Yiwu eröffnet das Internationale Literaturfestival Berlin. Bild: dpa

Berlin hat das internationalste unter den großen Literaturfestivals der Republik. Der Anspruch ist hier nicht nur, internationale Literaturstars zu präsentieren – das gibt es bei der Lit.Cologne, dem „Leipzig liest“-Programm während der Leipziger Buchmesse und dem Poetenfest in Erlangen auch. In Berlin schwingt vielmehr, wenigstens irgendwo im Hinterkopf, der Anspruch mit, zum kulturellen Austausch und vielleicht sogar zur Völkerverständigung beizutragen.

Das sieht man nicht nur, wenn man das Programm studiert, mit seinen vielen afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Autoren. Das sah man am Dienstag auch einmal wieder bei der diesjährigen Eröffnung des Festivals im Haus der Berliner Festspiele.

Nach der Veranstaltung hielt gar nicht so sehr die Literaturszene der Hauptstadt im Garten des Gebäudes bei Bier und Wein ein Stelldichein; statt Verlagsmenschen und Literaturkritikern dominierte die Kulturaustauschszene.

Die „Konflikte in dieser Welt“ hob Festivalchef Ulrich Schreiber in seiner Eröffnungsansprache dann auch als Festivalthema hervor: die Konflikte „zwischen Religionen und in den Regionen“ – und lustigerweise hatte er die Aufzählung mit den „Konflikten zwischen Mann und Frau“ angefangen.

Nicht der Ort für genuin literarische Standortbestimmungen

So vage das alles auch ist, zeigt es doch etwas von dem Rahmen, in dem dieses Festival unter Schreibers Leitung gestellt ist. Es ist nicht der Ort für genuin literarische Standortbestimmungen, etwa der neuen deutschen oder auch einer anderssprachigen Literatur. „Nur“ Literatur reicht nicht, es muss mit ihr auch etwas bezweckt werden, natürlich etwas Gutes.

Zum Glück ist das konkrete Programm des Festivals dann meistens viel bunter und direkter als dieser im Ungefähren bleibende Überbau. Es wird, vom Arabischen Frühling bis zur Postdemokratie, alles diskutiert werden, was auch sonst diskutiert wird. Stars wie Ha Jin, Kiran Nagarkar, Herta Müller, Catherine Millet, Peter Nádas, Zeruya Shalev werden da sein.

Es gibt interessante Rahmenveranstaltungen wie einen Graphic Novel Day und ein Solidaritätskonzert für Pussy Riot. Insgesamt 86 Autorinnen und Autoren aus 46 Ländern werden sich bis zum 16. September vor den Mikrofonen abwechseln.

Hilferuf und Klagerede

Das alles ist ziemlich genau das, was man vom Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) gewohnt ist. Aber so etwas wie eine Neuigkeit gibt es dieses Jahr auch: Es ist übersichtlicher angeordnet als während der vergangenen Jahre. Fast schon traditionell ist das ilb ein leicht chaotischen Festival.

Doch im Programmheft meint man schon die ordnende Hand von Thomas Böhm zu erkennen, der vergangenes Jahr beim Island-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse als Literaturmanager sein Meisterstück abgeliefert hat und nun als Programmchef Ulrich Schreiber zur Seite gestellt ist.

Dass einem als Beobachter diese Rahmung durch Kulturaustausch dieses Jahr besonders stark auffiel, lag auch am Festprogramm der Eröffnungsveranstaltung, vor allem am Festredner Liao Yiwu. Von seinem amerikanischen Biografen Michael Day wurde er ausschließlich als Veteran des Massakers vom Tiananmenplatz vorgestellt.

Individuelle Stimmen

Kein Wort über Yiwus Version der Oral History. Keine Bemerkung über sein großes, großes Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“, mit dem dieser Autor einfachen Menschen vom „Bodensatz der Gesellschaft“ – als ein solcher bezeichnet Liao Yiwu sich auch selbst – individuelle Stimmen gegeben hat.

Und Liao Yiwu selbst setzte sich in seiner eindringlichen und mit großem Ernst vorgetragenen Rede für ein freies Tibet ein. Ein verzweifelter Hilferuf für die tibetische Kultur, eine Klagerede anlässlich der Selbstverbrennungen in Tibet, das war dieser Auftritt. Der Friedenspreisträger dieses Jahres umrahmte seine Rede zudem selbst mit musikalischen Darbietungen. Erst trat er solo mit einem chinesischen Instrument, das einer Oboe ähnelte, auf.

Nach seiner Rede war er zusammen mit Cello und einem Percussionisten Teil eines Trios. Beide Musikstücke waren erkennbar vom Wunsch beseelt, als Repräsentant eines besseren China dem westlichen Publikum Einblicke in chinesische Spiritualität zu gewähren. Das war, gerade auch in der hilflosen Unvermitteltheit, in dem dieser Programmpunkt stand, durchaus berührend. Aber einen Moment von emotionaler Erpressung hatte das auch.

Und man blieb durchaus mit der Frage zurück, ob eine intellektuelle Reflexion über die Eingriffsmöglichkeiten der Literatur einem Literaturfestival nicht vielleicht doch eher angemessen gewesen wären. Aber die kann ja während des Festivals noch kommen

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