Erstaufnahme in Neumünster: Kinderflüchtlinge ab in die Provinz

Seit dem Wochenende werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Erwachsene auf die Bundesländer verteilt.

„Laufen“, „Weinen“, „Umverteilen“ - für Flüchtlingskinder ist vieles neu. Foto: Carsten Rehder/dpa

BREMEN/NEUMÜNSTER taz | Die graue Fassade der ehemaligen Polizeidienstelle wirkt nicht sehr einladend, auch ein Gerüst steht noch vor der Tür. Trotzdem eröffnete Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) am Montag eine Einrichtung zur zentralen Erstaufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Neumünster. Damit sollen sie aus der überfüllten Erstaufnahme für alle Flüchtlinge herausgeholt werden. Mit der Stelle zur vorläufigen Inobhutnahme möchten das Land und die Stadt Neumünster die Anforderungen des neuen Bundesgesetzes zur Verteilung der minderjährigen Flüchtlinge umsetzen.

Das Gesetz trat am Sonntag in Kraft und regelt eine Verteilung der Kinder und Jugendlichen nach dem „Königsteiner Schlüssel“, nach dem auch alle anderen Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden. Bisher blieben sie dort, wo sie ankamen – eine Regelung, die einst auf dem Vorrang des Kindeswohls beruhte.

Im Norden wurden vor allem die Städte wie Hamburg oder Bremen für überdurchschnittlich viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zum Ziel. Von nun an sollen die Jugendämter die Flüchtlinge nur noch vorläufig in Obhut nehmen, bis sie binnen vier Wochen verteilt werden (siehe Kasten).

In Bremen kamen dieses Jahr 2.000 minderjährige Flüchtlinge an. Aus dem Bremer Sozialressort heißt es, man liege damit vier- oder fünfmal über dem, was die Stadt nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müsste. Alle, die ab Montag in Bremen ankommen, sollen nun verteilt werden. Diejenigen, die schon länger in der Stadt lebten, seien nicht betroffen.

Ein Bundesgesetz regelt seit dem 1. November den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) neu:

Das Jugendamt, bei dem der Flüchtling auftaucht, nimmt ihn vorläufig in Obhut und überprüft binnen sieben Tagen, ob er gesund, minderjährig und ohne Angehörige in Deutschland ist.

Das Ergebnis wird über das Land an das Bundesverwaltungsamt gemeldet, das die Verteilung nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel berechnet.

Steht die Berechnung, geht es rückwärts und das ausgewählte Land benennt das Jugendamt, das den Flüchtling aufnimmt. Dann wird ein Transport organisiert.

Dass Bremen besonders viele Kinder aufgenommen hat, solle dabei „vorübergehend angerechnet“ werden, sagt Bernd Schneider, der Sprecher des Sozialressorts. Auf dem Weg in ihr neues Zuhause sollen die Kinder dann begleitet werden, allerdings nicht unbedingt von einer ausgebildeten Fachkraft, sagt Schneider. Die Person müsse „dafür geeignet“ sein.

Landen würden die Bremer Kids dann wohl überwiegend in Niedersachsen – laut Gesetz sollen sie ins nächste Land verteilt werden, das seine Aufnahmequote noch nicht erfüllt hat. Bis Ende Mai seien in Niedersachsen rund 670 Flüchtlingskinder aufgenommen worden, heißt es aus dem Sozialministerium. Derzeit laufe eine Abfrage bei den Kommunen zu genaueren Zahlen.

Von den Trägern äußern einige ihre Zweifel, dass alle Kommunen der neuen Aufgabe gewachsen seien. Heiner Dirks, Geschäftsführer der Evangelischen Jugendhilfe Osnabrück sagte etwa dem NDR: „In den Regionen, wo kein Aufgreifen stattfand, erleben sie jetzt zum ersten Mal, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen.“ Aus seiner Sicht fehlt es vor allem an Unterkünften, Personal und Infrastruktur, wie geeigneten Schulen. Ähnlich äußerte sich der „Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (B-UMF): In kurzer Zeit müssten Fachkräfte eingestellt, Jugendwohngruppen eröffnet, Schulplätze geschaffen und DolmetscherInnen gefunden werden. Länder und Kommunen hätten seit dem Gesetzesbeschluss dafür zu wenig Zeit gehabt.

Aus dem niedersächsischen Sozialministerium hieß es dazu, es sei „eine große Herausforderung“, genügend Betreuungsplätze für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu schaffen. „In den Jugendämtern wird auf Hochtouren gearbeitet“, erklärte Ministeriumssprecherin Heinke Traeger. Mehrere Jugendämter könnten „gemeinsam auf freiwilliger Basis Kompetenzzentren bilden“, Kommunen, die bislang wenig Erfahrungen gesammelt hätten, könnten sich „Rat und Unterstützung“ von anderen holen. „Das Kindeswohl muss gesichert werden, das ist das entscheidende Ziel“, sagt Traeger.

Aus Schleswig-Holstein dagegen kommen deutlichere Worte: Man erwarte bis Ende des Jahres die Ankunft von 2.500 minderjährigen Flüchtlingen. „Angesichts der Dimension werden wir für eine befristete Übergangszeit für diese Gruppe eine Abweichung von den geltenden Standards schwer vermeiden können“, kündigte Sozialministerin Alheit an.

Das ist auch in Neumünster zu beobachten. Der Träger der Einrichtung, die Jugendwohlfahrt, beschäftigt vier Fachkräfte weniger als vorgeschrieben, um die insgesamt 56 Jugendlichen zu betreuen. Dabei soll das Haus in Neumünster ein Modellprojekt für weitere Stellen zur vorläufigen Inobhutnahme sein, etwa in Lübeck, Kiel und im Kreis Segeberg.

Neben den 16 Fachkräften sollen auch fremdsprachige Mitarbeiter eingestellt werden, etwa um Deutsch zu unterrichten, sagt Volker Rüge, Leiter der Jugendwohlfahrt in Neumünster. „Wir arbeiten aber an einem tagesfüllenden Programm“, sagt Rüge. Dabei setzt die Jugendwohlfahrt hauptsächlich auf ehrenamtliche Helfer, denn: „Das pädagogische Budget dafür ist klein“, sagt Rüge.

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