Erste Schiedsrichterin im Niger: Pfeifende Langstrecklerin

Kabiratou Nassam ist Fußball-Schiedsrichterin im westafrikanischen Niger. Die erste. Sie träumt von WM und Olympia.

Kabiratou Nassam auf dem Platz zwischen zwei Spielerinnen

Mit Pfeife: Kabiratou Nassam (M.) Foto: Dana Roesiger

BERLIN taz | „Schiri, du null, geh nach Hause. Du kennst die Regeln nicht“, nennt Kabiratou Nassam einige der Beleidigungen vom Spielfeldrand, die für sie zum Alltag gehören, und lacht darüber. Die 28-Jährige hat sich in ihren zwei Jahren als Schiedsrichterin bereits ein dickes Fell zugelegt. „Das ist nach dem Spiel vergessen“, wischt sie jede Anfeindung abgeklärt beiseite.

Gemeinsam mit einer Schiedsrichterin aus Georgien und einer weiteren aus Bangladesch leitet sie derzeit die Spiele des Discover-Football-Festivals, das seit Dienstag in Berlin stattfindet und Frauen aus aller Welt ermöglicht, sich über den Fußball zu vernetzen. Seit 2009 gibt es das Projekt. Das war auch das Jahr, in dem der Fußball begann, eine größere Rolle in Nassams Leben zu spielen.

Ihre sportliche Karriere begann sie mit elf Jahren als Leichtathletin. Bereits als Schülerin trat sie in ihrem Heimatland Benin als Langstreckenläuferin zu Wettbewerben über drei bis vier Kilometer an, mittlerweile läuft sie erfolgreich bei Halbmarathon- und Marathonwettkämpfen. Fußball spielte sie nur selten. Das änderte sich, als sie 2009 mit ihrer Mutter nach Niger, in die Hauptstadt Niamey, zog.

Ein Jugendzentrum in der Nachbarschaft bot zwei Mal in der Woche ein Training für Mädchen und junge Frauen an. Nassam gefiel das Spiel, sie merkte jedoch schnell: Fußball ist in Niger zwar sehr populär, es gibt im Männerfußball auch zwei nationale Ligen, der Frauenfußball jedoch wird nicht unterstützt. Landesweit gebe es nicht mehr als eine Handvoll Teams, meist an Schulen angegliedert, sagt Nassam.

Eine Aussicht auf einen regulären Ligabetrieb gibt es nicht. Die Gründe für dieses Defizit liegen ihrer Ansicht nach in der Religion. 95 Prozent der Nigrer sind Muslime, viele haben Vorurteile: „Frauen, die kurze Sportkleidung tragen, werden als unweibliche Frauen oder als Männer beschimpft. Das betrifft eigentlich fast alle Arten von Sport“, sagt Kabiratou Nassam.

Vorbild aus Benin

Trotz der Vorbehalte in der Gesellschaft, ihre Familie habe sie in ihrer Sportbegeisterung immer unterstützt, auch als sie 2013 als eine von drei Frauen an einem Schiedsrichterlehrgang teilnehmen wollte: „Ich dachte, in diesem Land ist keine Karriere als Fußballspielerin möglich, vielleicht ist eine als Schiedsrichterin möglich.“ Vorgemacht hat das Nassams Vorbild Rosalie Tempa N’dah aus ihrem Heimatland Benin. Als Schiedsrichterassistentin war sie bei zwei Frauenfußballweltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen aktiv.

Kabiratou Nassam will genauso werden. Bereits in ihrem Frauenfußballteam habe sie Verantwortung übernommen und sei als Botschafterin des Fairplay-Gedankens aufgetreten. Als Unparteiische mache es ihr Spaß, sich für den gegenseitigen Respekt einzusetzen. Drei bis vier Spiele pro Monat leitet Nassam, stets in Niamey und Umgebung.

Bei Spielen der Frauen ist sie zumeist erste Schiedsrichterin. Weil es jedoch kaum Frauenfußballspiele gibt, stehen sie und die beiden anderen Schiedsrichterinnen bei Spielen der Männer häufig als Assistentinnen an der Seitenlinie. Hauptamtlich ein Männerfußballspiel zu leiten, sei Frauen noch nicht gestattet: „Da wird die Messlatte sehr hoch gelegt. Der Frauenfußball wird als Trainingsfeld benutzt, um später einmal im Männerfußball pfeifen zu können.“

Studium mit Preisgeldern finanziert

Dabei werde sie als Frau von Spielern und Fans nicht anders behandelt als ihre männlichen Kollegen. Ein Problem mit mangelndem Respekt in der „Männerdomäne Fußball“ habe Nassam bisher nicht ausmachen können: „Das Verliererteam wird immer auf dich schimpfen, egal ob du Mann oder Frau bist. Der beste Weg, sich Respekt zu verschaffen, ist es, das Spiel gut zu pfeifen und die Regeln gut zu kennen.“

Geld lässt sich als Schiedsrichterin im nigrischen Fußball keines verdienen. Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Human Development Index, einem von den Vereinten Nationen erhobenen Wohlstandsindikator, belegte das Land 2013 den letzten Platz. Die finanziellen Prioritäten von Staat und Wirtschaft liegen daher nicht im Sport. Dadurch ist der Anreiz, Spiele zu manipulieren, gering. Für Kabiratou Nassam bedeutet es zudem, dass sie ihr Studium mit ihren als Langstreckenläuferin gewonnenen Preisgeldern finanzieren muss.

Trotz des fehlenden finanziellen Anreizes scheint Nassams Beispiel anderen jungen Frauen Mut zu machen: Für den zweiten Schiedsrichterinnenlehrgang haben sich im vergangenen Jahr bereits 30 junge Frauen angemeldet. Kabiratou Nassam freut sich darüber, formuliert für die Zukunft aber zugleich eine Forderung: „Dann muss der Verband auch eine Frauenliga entwickeln, damit die Frauen auch pfeifen können.“

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