Erster Ostkongress der Grünen: Katzendreck vorm Kreisbüro
Anfeindungen und schlechte Umfragewerte: Die Probleme der Grünen im Osten sind vielfältig. Grüne aus Ost und West tauschten sich, was man tun kann.

Rund 480 Mitglieder und Sympathisanten sind wie Gaßmann nach Sachsen-Anhalt gereist, die Hälfte der Teilnehmenden kommt nach Parteiangaben aus dem Westen. Es sei Zeit, aufeinander zuzugehen, appelliert der Co-Vorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, bei seiner Eröffnungsrede auf der Bühne.
Auf der anderen Seite des Saals hofft Gaßmann derweil, dass die Bundespartei mit dem Kongress endlich mehr Themen aus Ostdeutschland aufnimmt: die ungleiche Vermögensverteilung etwa oder die andere Sicht auf den Krieg in der Ukraine in Teilen der Bevölkerung. So erklärt er es später der taz. Es brauche konkrete politische Angebote, die die ostdeutsche Erfahrung berücksichtigen. „Der Kongress war überfällig“, sagt der Thüringer.
Im Unstrut-Hainich-Kreis zählen die Grünen laut Gaßmann etwa 45 Mitglieder. Wie vielerorts kämpfen sie mit Anfeindungen. Er zeigt ein Foto. „Wochenlang hat uns jemand Katzenkot vor das Büro gekippt.“ Die Polizei habe keinen Täter ermitteln können. Gleichzeitig seien die vielen Wahlkämpfe in den vergangenen Monaten bei der dünnen Personaldecke eine große Kraftanstrengung gewesen. Doch die Belohnung blieb aus.
Alibiveranstaltung oder Schwungrad?
Dass die Grünen vergangenes Jahr bei der Landtagswahl in Thüringen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, habe unter anderem an der niedrigen Akzeptanz der grünen Bundespolitik im Land gelegen, glaubt Gaßmann. Auch in Brandenburg schafften es die Grünen nicht ins Parlament. Nächstes Jahr stehen erneut zwei Landtagswahlen in Ostdeutschland an. In Sachsen-Anhalt liegen die Grünen laut einer Umfrage derzeit bei 3 Prozent. Zum Vergleich: In westdeutschen Bundesländern bekommt die Partei überall mindestens doppelt so viel Zuspruch, teilweise sogar deutlich mehr.
Eine Strategie, wie die Partei ihre Ergebnisse im ländlich geprägten Ostdeutschland verbessern kann, entwickeln die Kongressteilnehmer:innen am Wochenende nicht. Manche äußern die Sorge, dass das Ganze nur eine Alibiveranstaltung ohne reale Konsequenzen bleibt. Für andere ist der erste Ostkongress der Partei ein Erfolg, der die Vernetzung fördere und den ostdeutschen Verbänden Schwung gebe.
Bei einem der Workshops am Samstagmittag tragen einige Grüne Herausforderungen zusammen, die vor allem die ländlichen Kreisverbände betreffen. Die sind prägend in Ostdeutschland, weil es nur wenige Metropolen gibt. Mit dabei ist die 28-jährige Carolin Renner. Sie ist seit 2022 Sprecherin der 147 Bündnisgrünen im Kreis Görlitz, gelegen ganz im Osten Deutschlands an der Grenze zu Polen.
Ähnliche Probleme in Ost und West
In der Fläche fühle man sich als Bündnisgrüne oft allein, sagt Renner der taz. Der Kongress zeige aber: „Leute, die das Gleiche erreichen wollen wie ich und vor ähnlichen Herausforderungen stehen, die gibt es überall.“ Das mache ihr Mut.
Egal, ob Ost oder West, fast alle Kreisverbände kämpfen mit ähnlichen Problemen: Das Geld ist knapp und das Wissen darüber, wie man in der Partei zusammenarbeitet, ist lückenhaft.
Tino Gaßmann, der Kreisvorsitzende aus Thüringen, besucht am Nachmittag eine Podiumsdiskussion zur Wirtschaftspolitik. Sein Eindruck vom Grünen-Kongress? „Das war schon sehr konkret“, sagt er nach der Veranstaltung der taz. Bei der Zuwanderung von Arbeitskräften in Thüringen sehe er Schnittmengen zwischen den Zielen der Grünen und den Wünschen von Unternehmen.
„Der Kongress ist eine gelungene Veranstaltung, aber daraus muss nun eine langfristige Strategie folgen, für die Partei und ihre Politik“, glaubt Gaßmann. Das sei Aufgabe der Parteispitze. Kann die das? Immerhin sind die beiden Co-Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak beide „Wessis“. Gaßmann überlegt kurz. „Ich traue ihnen das zu, aber es wird nicht einfach.“
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