Espresso im Londoner East End: „Mein Herz schlägt für Italien“

Pellicci's Café liegt mitten in Londons East End. Für die Kundschaft gibt's Pasta und Fish'n Chips, aber beim Viertelfinale schlägt das Herz der Besitzer nur für die Tifosi.

Im Pellicci's gibt es morgens Ei, Bohnen und Speck, mittags Pasta und Hähnchen. Freitags werden Fish'n Chips aufgetischt. Bild: Oliver Pohlisch

LONDON taz | „Mama würde mich mit dem Stock schlagen, wenn ich nicht zu Italien halte.“ sagt Nevio Pellicci mit gespieltem Ernst und hofft nicht nur deshalb auf einen Sieg der Tifosi gegen die Engländer – und zwar schon vor einem Elfmeterschießen. Der Sound seiner Worte verrät, das der Mittdreißiger ein waschechtes Gewächs des Londoner Ostens ist.

Hier, an der geschäftigen Bethnal Green Road, auf halber Strecke zwischen der City und dem Olympiastadion, befindet sich seit mehr als 100 Jahren das Café, das seinen Familiennamen trägt.

Vorne der kleine Gastraum mit originaler Art Déco-Holzvertäfelung: Dicht stehen Tische und Stühle beieinander, an der Decke Neonröhren, die Espressomaschine mit Ferrari-Wappen faucht ununterbrochen, aus dem Radio tönt Robbie Williams. Eine Durchreiche gibt den Blick nach hinten in die Küche frei.

Dort steht Mutter Maria Pellicci seit 50 Jahren am Herd. Morgens Ei, Bohnen und Speck, mittags Pasta und Hähnchen. Freitags gibt's Fish'n Chips. Als Nevio Pellicci Senior 2008 starb, war es für seine Frau, ihren Sohn und Tochter Anna keine Frage, dass sie den Betrieb weiterführen würden. „Wir sind eines der wenigen traditionellen italienischen Cafés in London“, sagt Nevio.

Immun gegen die „Starbuckisierung“

„Noch vor ein paar Jahren gab es mehr davon, aber die Alten mussten sie dichtmachen, weil die Jungen lieber bei der Bank arbeiten wollten.“ Dem Pellicci's kann wohl auch die „Starbuckisierung“ nichts anhaben, zu sehr ist es mit dem Mythos des rauhen East End verwoben.

Mit schöner Regelmäßigkeit wird es von den Medien als das Café porträtiert, in dem das berühmt-berüchtigte Gangsterpaar Ronnie und Reggie Kray in den 1960er Jahren regelmäßig seinen Espresso trank. Deshalb mischen sich immer wieder Touristen unter die Stammkundschaft. Für Nevio und Anna ist das Pellicci's Arbeitsplatz und Wohnzimmer zugleich.

Und Spielfeld. Sie servieren, was ihre Mutter kocht und werfen dabei mühelos ihren Gästen verbal die Bälle zu – mit einer Synthese aus charmantem Palaver und der robusten Offenheit des Londoner Ostens. „Sunny, Du bist doch auch für die Blauen. Schließlich gab's für Dich neulich 'ne Extrawurst gratis,“ schießt Nevio einen jungen Mann an.

Selbst der Rentner mit den Zahnlücken, dessen Geld kaum für die Tasse Tee langt, wird ins Spiel miteinbezogen. Und Anna setzt beherzt das Schirmmützen bewehrte Mod-Mädchen an einen Tisch mit dem schüchternen Anzugträger, der gerade ein üppiges englisches Frühstück verdrückt.

Rot-weiß-grün beflaggte Fassade

„Wie wird’s ausgehen am Sonntag?“, will sie von jedem wissen. Dass die meisten Kunden eindeutig dem Team von Trainer Roy Hodgson die Daumen drücken, weiß Anna dabei nur zu gut. „Mein Herz“, so sagt sie, „schlägt aber für Italien“. Und Nevio trägt sich mit dem Gedanken, die Fassade des Cafés noch vor dem Match rot-weiß-grün zu beflaggen.

„Schon in der Schule mochte ich die Tifosi. Die anderen Kinder hätten's komisch gefunden, wenn's nicht so gewesen wäre, schließlich heiße ich ja Pellicci.“ Die Peliccis wanderten Anfang des vorigen Jahrhunderts aus dem toskanischen Lucca nach London aus.

Aber noch heute gibt es enge verwandtschaftliche Beziehungen dorthin. „Die Familie ist mir wichtig,“ meint Nevio und leitet daraus seine Loyalität für Buffon und Balotelli ab. Klar, der schlechte Ruf des Stiefel-Fußballs sorgt ihn. Die illegalen Wettgeschichten sind wohl ein fester Bestandteil, bedauert er.

Doch, so Nevio, die Jungs hätten sich trotz des Fehlens wirklich großer Stars in ihren Reihen bei der EM gut geschlagen und sogar ihr schlechtestes Spiel gegen Irland noch 2:0 gewonnen.

Kein Drama

Die Engländer hätten gegen die Ukraine Glück gehabt. Sollten sie am Sonntag trotzdem durchkommen, dann wäre das für ihn aber kein Drama, sondern im Gegenteil sogar profitabel: „Am Montag wäre der Laden voller Gäste. Alle würden kommen, um zu sehen, wie es uns mit der Niederlage geht. Ein bisschen Schadenfreude gehört schließlich zum Fußball.“

Nevio glaubt, dass letztlich weder Italien noch England an den Deutschen vorbeikommen werden. Und das nicht nur, weil sein Cousin Tony, der ebenfalls im Café arbeitet, leichte Ähnlichkeiten mit Jogi Löw besitzt. „Sie haben die beste Mannschaft und holen den Titel.“ Von seinem deutschen Lieblingsverein wird aber wohl auf Dauer niemand im DFB-Team spielen. Der heißt nämlich St. Pauli.

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