Essay Kritik an Trump: Ende des Kuschelns

Geht es den Kritikern von US-Präsident Trump wirklich um die Verteidigung gemeinsamer westlicher Werte? Schön wär’s.

Demonstrantin mit einem Schild: "Dump Trump"

Soweit klar. Und sonst? Foto: ap

Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Gewaltenteilung und gutes Benehmen: Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump ist der Eindruck entstanden, dass diese Themen ein Herzensanliegen aller möglichen Leute sind – von Wirtschaftsmagnaten bis zu Spitzenpolitikern. Das freut diejenigen, die sich mit den meisten dieser Anliegen lange alleingelassen fühlten. Aber es steht zu befürchten, dass sie sich zu früh freuen. Es gibt Indizien dafür, dass die scheinbare Übereinstimmung hinsichtlich der Kritik an Trump auf einem Missverständnis beruht.

Ja: Die Sorge bei den Verbündeten der USA wächst angesichts der politischen Richtung, die Donald Trump einschlägt. Nein: Sie meinen nicht alle dasselbe, wenn sie gemeinsam den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten kritisieren. Je lauter dieser Chor singt, desto seltener wird nach seinem Repertoire gefragt.

Die Frage, wer Trump eigentlich verurteilt und aus welchen Gründen, wird immer seltener gestellt. Hauptsache, Widerspruch. Das gaukelt eine Gemeinsamkeit vor, die nicht besteht.

Kein Tag vergeht, ohne dass Bilder von Demonstrationen um die Welt gehen, auf denen sympathische Frauen und Männer selbst gebastelte Schilder mit freundlichen Botschaften hochhalten. Kein Tag vergeht, an dem Donald Trump nicht mit einer neuen, bizarren Äußerung für Kopfschütteln sorgt – in fast allen politischen Lagern, selbst in seinem eigenen. Kein Tag vergeht ohne ungewöhnlich deutliche Kritik am US-Präsidenten von jemandem, dem oder der man das eigentlich nie zugetraut hätte. Wenn das kein Hinweis darauf ist, dass es eben doch gemeinsame westliche Werte gibt, die auch gemeinsam verteidigt werden!

Herzzerreißende Erzählungen über getrennte Familien

Schön wär’s. Davon kann keine Rede sein. Zunächst einmal und vor allem ist das ein Hinweis auf die Gesetzmäßigkeiten, denen Medien folgen. Mit Inhalten hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun – und schon gar nicht mit einer Analyse dieser Inhalte.

Medien, vor allem elektronische Medien, bedienen sich sogenannter human touch stories, also besonders eindrucksvoller Geschichten über Einzelschicksale, um Interesse zu wecken und Einschaltquoten zu steigern. Deshalb wurde die Berichterstattung über das Einreiseverbot für Bürgerinnen und Bürger aus sieben überwiegend muslimischen Ländern in die USA begleitet von herzzerreißenden Erzählungen über getrennte Familien.

Wunderbar, dass solche Geschichten es einmal in die Hauptnachrichten schaffen. Weniger wunderbar, dass im Windschatten dieser Informationen das Augenmerk von dem abgelenkt wird, was in Europa, auch in Deutschland, geschieht und was in den letzten Jahren geschah.

Deutschland schiebt nach Afghanistan ab

Zur Erinnerung: Die Bedingungen für die Zusammenführung von Familien aus Krisengebieten ist in Deutschland 2016 dramatisch verschärft worden. Bis zu zwei Jahren müssen sie jetzt darauf warten.

Zur Erinnerung: Deutschland hat Asylsuchende nach Afghanistan abgeschoben. Das ist ein Staat, in dem seit Jahren ein gemeinsamer Militäreinsatz von Ländern stattfindet, die von sich behaupten, sie verteidigten westliche Werte. Und sie verfolgten mehrere Ziele, zum Beispiel die Einführung der Demokratie. Der Erfolg ist gering.

Die scheinbare Übereinstimmung hinsichtlich der Kritik an Trump beruht auf einem Missverständnis

Kanzlerin Angela Merkel hat mit der Kürzung von Mitteln für Schleswig-Holstein gedroht, weil das Bundesland gegenwärtig keine Asylbewerber nach Afghanistan abschieben will. Worin besteht eigentlich der Unterschied zu einer von Donald Trump angekündigten Streichung von Geldern für Kalifornien, das Immigranten ohne gültige Papiere nicht juristisch verfolgen will?

Zur Erinnerung: Gerade erst hat sich die Europäische Union auf ein Zehn-Punkte-Programm verständigt, mit dem die Flucht über das Mittelmeer verhindert werden soll. Hüter westlicher Werte und Unterzeichnerstaaten der UN-Flüchtlingskonvention behaupten zu glauben, dass eine engere Zusammenarbeit mit dem Failed State Libyen das Flüchtlingsproblem in Europa lösen könne. Aber: Worin unterscheidet sich das – grundsätzlich – vom Bau der Mauer nach Mexiko, die Donald Trump angekündigt hat?

Auffanglager in Libyen?

Zur Erinnerung: Flüchtlinge sollen von Europa ferngehalten werden – mithilfe des türkischen Präsidenten. Dabei hält ihn innerhalb der EU wohl niemand mehr für einen Verbündeten im Hinblick auf Menschenrechte und Demokratie. Sollte Recep Tayyip Erdoğan das Abkommen aber nicht mehr erfüllen können oder wollen, dann kann man ja nach anderen Partnern suchen.

Erwogen werden derzeit beispielsweise Vereinbarungen mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, der Oppositionelle ohne jede Rücksicht auf internationale Konventionen verfolgt. Immerhin ist Ägypten ein langjähriger Verbündeter der westlichen Welt. Der überwältigende Anteil der Militärausgaben des Landes wird von den USA bezahlt – da wird man ja wohl wenigstens verlangen können, dass er uns Probleme vom Hals hält. Oder?

Europa verhält sich – im Prinzip – nicht anders als Donald Trump

Zurück nach Deutschland. Zur Erinnerung: Thomas Oppermann – das ist der Fraktionsvorsitzende der traditionsreichen sozialdemokratischen Partei Deutschlands – trat zunächst dafür ein, gerettete Bootsflüchtlinge vom Mittelmeer in „Auffanglager“ nach Libyen zurückzuschicken. Inzwischen hat er seine Position ein wenig differenziert. Ein wenig.

Alle menschenrechtlichen Erwägungen, die derzeit von Entscheidungsträgern gegen Trump ins Feld geführt werden, sind scheinheilig. Europa verhält sich – im Prinzip – nicht anders als der neue US-Präsident. Das, was ihm wirklich zur Last gelegt wird, ist sein wirtschaftspolitischer Kurs. Anders ausgedrückt: Wenn er sich zu internationalem Freihandel bekennt, dann wird der exportorientierte Rest der Welt mit seinen Menschenrechtsverletzungen schon klarkommen. War ja bisher auch nicht anders.

Einfachste Ebene der Lagerbildung

Aber über all den Scherzen, die sich im Zusammenhang mit Donald Trump anbieten – schon wieder so ein blöder Tweet, was haben wir gelacht, höh, höh, höh! –, geht fast alles unter, was sonst noch so passiert. Der US-Präsident macht es seinen Gegnerinnen und Gegnern leicht: Je länger man seine Äußerungen auf Twitter verfolgt, desto eher gewinnt man den Eindruck, dass der Mann ein ernsthaftes Intel­ligenzproblem hat. Und vielleicht tatsächlich psychisch krank ist.

Nüchtern betrachtet jedoch geht es im Zusammenhang mit seiner Präsidentschaft vor allem um zwei Probleme: Um die Frage, ob Trump das Prinzip der Gewaltenteilung anzuerkennen bereit ist. Das ist ein überwiegend innenpolitisches Thema. Und um die Frage, ob er willens ist, geschlossene Verträge einzuhalten. Das ist ein überwiegend außenpolitisches Thema.

Gegenwärtig sieht es so aus, als wolle er – geradezu lustvoll – beide Fragen verneinen. Er benimmt sich wie ein Schulhof-Bully, der umso lauter lacht, je mehr seiner Klassenkameraden vor ihm zurückweichen. Das ist ja auch die einfachste Ebene der Lagerbildung: Du passt dich dem Typen in der Hoffnung auf Vorteile an – wie zahlreiche US-Republikaner es getan haben, deren devote Haltung gegenüber Trump sogar viele Parteifreunde und -freundinnen schockiert hat. Genützt hat es ihnen nichts. Oder du verweigerst dich in der Hoffnung, dass dein Mut irgendwann in ferner Zukunft anerkannt wird.

Nette Stimmung hier

Aber Politik ist eben kein Streit zwischen Heranwachsenden. Es ist ein Unterschied, ob Bundesbank-Präsident Jens Weidmann klar Stellung bezieht gegenüber der Behauptung von Donald Trump, die EU würde sich Wettbewerbsvorteile mit einem absichtlich schwach gehaltenen Euro verschaffen. Oder ob Menschenrechtler darauf hinweisen, dass der Kurs von Donald Trump insgesamt auf Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfassungsbruch hinausläuft.

Wenn es zum guten Ton gehört, sich vom Regierungschef eines anderen Landes zu distanzieren, ist Misstrauen angebracht. Gegenwärtig ist die Stimmung im Lager all derjenigen, die den neuen US-Präsidenten kritisieren, allzu nett. Sie alle tun so, als glaubten sie ernsthaft, einer Meinung zu sein im Hinblick auf den neuen Kurs im Weißen Haus.

Das sind sie nicht. Es gibt Kritiker und Kritikerinnen des US-Präsidenten, denen es vor allem um das Thema Menschenrechte geht. Andere interessieren sich vor allem für das Thema Freihandel. Das ist nicht dasselbe. Man sollte auch nicht so tun, als ob. Deshalb: Ende des Kuschelns, nach innen und nach außen. Im Hinblick auf eine demokratische Diskussion wäre das ein – überfälliger – Anfang.

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