Ethan Zuckermans Buch „Rewire“ : Gefangen in der Filterblase

Das Internet ist riesig, aber wir surfen im Kreis. Das ginge auch anders, erklärt der Medienforscher Ethan Zuckerman in seinem Buch „Rewire“.

Blogs, Übersetzungstools, News-Aggregatoren: Das Netz streckt die Hand aus, doch der Nutzer bleibt in seiner Welt gefangen. Bild: imago/Bernd Müller

Der Medienforscher Ethan Zuckerman hielt sich für einen echten Internetkosmopoliten, der die Weiten des Netzes nutzt, um sich auch über Chinas Kampf gegen die Pornografie zu informieren oder die Einführung der Scharia im Sultanat Brunei.

Weil Zuckerman aber an einer Universität arbeitet und schon ahnte, dass Selbstbild und die Realität sich unterscheiden können, wenn man sie über eine simple Selbstbeobachtung erfasst, zeichnete er eine Zeitlang sein Surfverhalten auf.

Was herauskam, ist überaus interessant. „Wie ich festgestellt habe, besteht ein krasser Unterschied zwischen mir, wie ich mich selbst wahrnehme, und der Person, die meine Webbrowser-Chronik geschrieben hat“, schreibt Zuckerman in seinem Buch „Rewire“. „Ich halte mich für einen global ausgerichteten Menschen: Ich habe den Vorsitz im Vorstand einer gemeinnützigen Organisation in Kenia, sitze in den Vorständen von Organisationen, die sich mit afrikanischem Journalismus und globalen Bürgermedien beschäftigen, und an vielen Tagen schreibe ich über aktuelle Ereignisse in den verschiedensten Winkeln der Entwicklungsländer.“

Das alles sei an seinem Medienkonsum kaum zu erkennen: „Viel offensichtlicher erkennt man beim Verfolgen meiner Online-Spuren, dass ich eine Schwäche für Internethumor habe und dass ich übermäßig viel Zeit darauf verwende, meine Lieblings-Football-Mannschaft, die Green Bay Packers, im Auge zu behalten.“

USA am wenigsten engstirnig

Man könnte so viel erfahren. Aber am Ende daddelt man doch wieder den ganzen Tag zwischen Spiegel Online und Facebook hin und her, statt das „Kongo Echo“-Blog auf taz.de zu lesen. Wir machen uns das Internet viel kleiner, als es für uns sein könnte. Gefangen in einer von Google, Facebook und uns selbst gefilterten Blase, einer „Filter Bubble“ wie der Autor Eli Pariser sie einmal beschrieb.

Das internationale Nachrichtennetz, das zeigt Ethan Zuckerman mit Google-Daten nun in „Rewire“, besteht aus der Summe vieler nationaler Nachrichtennetze. Wenn man etwa die 50 wichtigsten Nachrichtenseiten in Frankreich ansieht, führen 98 Prozent aller Besuche auf französische Seiten.

In Deutschland führen 98,7 Prozent auf deutsche Seiten. Die USA zählen mit nur 93,9 Prozent US-internen Verweisen zu den am wenigsten engstirnigen Nationen von News-Konsumenten, was an den vielen Einwanderern und Studenten liegt, vermutet Zuckerman.

In den Achtzigern war die Furcht vor Aids allgegenwärtig. Heute leben HIV-Positive in Therapie so lange wie Nicht-Infizierte und stecken auch ohne Kondom niemanden an. Ob die Schlacht gewonnen ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Juli 2014. Außerdem: Man muss nicht immer glücklich sein, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid. Und: Der Windparkbetreiber Prokon ist pleite. Wer ist der Mann hinter der Firma? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aus Beobachtungen wie diesen hat Zuckerman, der am MIT Center for Civic Media forscht, den Untertitel von „Rewire“ und seine zentrale Forderung entwickelt: „Warum wir das Internet besser nutzen müssen“.

Der Kommunikationswissenschaftler prüft Netzwerktheorien, inspiziert Übersetzungstools, beobachtet globale Twitter-Phänomene und sammelt Anekdoten von Kosmopoliten, um eine Idee zu entwickeln, wie das funktionieren könnte.

Kulturvermittler als Brückenbauer

Ganz besonders wichtig erscheinen ihm dabei Menschen, die er als Brückenbauer bezeichnet. Sie stammen aus einer Kultur, leben in einer anderen und können deshalb besonders gut zwischen beiden vermitteln. Er schildert einige solcher Biografien.

Der Computeringenieur, der in Kenia aufwuchs, zur US-Armee ging und dann wieder nach Nairobi, ist ein „Kind der dritten Kultur“. So würde es die Soziologin Ruth Hill nennen. Eine dritte Kultur, die entsteht, wenn man aus einer kommt und in einer anderen lebt.

Zuckerman selbst hat zusammen mit der langjährigen CNN-Korrespondentin in China, Rebecca MacKinnon, ein Projekt namens Global Voices gegründet. Auf der Seite finden sich Texte von Bloggern aus Äthiopien, Algerien, Russland oder China. Die Artikel werden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Es gibt die Seite auch auf Deutsch.

Anfangs dachte Zuckerman, man müsse all diese Texte nur zugänglich machen, dann werde der Ansturm schon beginnen. Er musste dann feststellen, dass viele sich verhalten wie er selbst. Theoretisch finden sie es sehr bedeutend, dass es all diese Berichte gibt. Praktisch lesen sie sie aber selten. Obwohl man dank gar nicht so schlechter automatischer Übersetzer selbst ukrainische Nachrichten ganz ordentlich entschlüsseln könnte, grob wenigstens.

Auf der Seite newspapermap.com etwa gibt es eine Übersicht von Zeitungen aus aller Welt – mit Übersetzungsknopf. Damit das, was Zuckerman ein Nachfrageproblem nennt, gelöst wird, müssten einerseits die Geschichten so gut sein, dass sie wirklich gelesen werden, glaubt er. Und die Kosmopoliten sollten einmal anfangen, sich selbst zu beobachten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.