Europa, die USA und der Freihandel: Ziemlich fremde Freunde

Warum lässt TTIP die Massen protestieren? Vielleicht, weil der transatlantische Distanzabbau etwas anderes braucht als ein Wirtschaftsabkommen?

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Sind die USA Fremde oder Freunde? Schwer zu sagen. Die Auffassungen gehen erheblich auseinander. Den einen gelten die USA als Mutterland von Raubtierkapitalismus und Kulturimperialismus, den anderen als Land der Befreier vom Nationalsozialismus und der unbegrenzten Freiheiten. Nach der NSA-Affäre scheint die Distanz zwischen dem alten und dem neuen Kontinent zugenommen zu haben. Oder ist die transatlantische Partnerschaft Teil der europäischen Identität, der so etwas nichts ausmacht, wie viele PolitikerInnen gern glauben machen?

BefürworterInnen unterstellen den TTIP-GegnerInnen anti-amerikanische Reflexe, doch die bestreiten das

„Fremde Freunde“ – das trifft die Beziehung wohl am besten. Wie schwierig das Verhältnis ist, zeigt die Auseinandersetzung über das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA. Die Regierungen der beiden Blöcke wollen zumindest im Bereich der Wirtschaft trennende Barrieren abbauen.

Seit 2013 verhandeln sie über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum – das wäre mit 800 Millionen VerbraucherInnen der größte der Welt. Von Hawaii bis Litauen sollen dieselben Regeln und Standards gelten und Unternehmen die gleichen Marktbedingungen haben. „Weniger Zölle und Handelsbarrieren verbessern die Exportchancen und schaffen Umsatz und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks“, sagt Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.

Das glauben Millionen Menschen vor allem diesseits des Atlantiks nicht. Sie sehen in TTIP keinen Pakt unter Freunden, sondern eine Art feindliche Übernahme. Sie wollen nicht die vermeintlich schlechteren Verbraucherstandards der USA, die dort übliche Gentechnik und die Vorfahrt für den freien Markt. „TTIP nützt nur den großen Konzernen“, sagt „Stop TTIP“-Aktivistin Maritta Strasser von Campact.

Angst und Misstrauen

Die GegnerInnen misstrauen dem geplanten Pakt, weil sie auch den USA misstrauen, die bis heute nicht veröffentlicht haben, was sie in den Verhandlungen überhaupt erreichen wollen. Sie fürchten nichts weniger als die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie, denn der geplante Pakt soll tief in politische Entscheidungsprozesse eingreifen. Ist das gerechtfertigt?

Von Bremerhaven über den großen Teich Bild: dpa

Auf jeden Fall mobilisiert diese Angst die Massen: Ob ÄrztInnen, BuchhändlerInnen, GewerkschafterInnen oder KommunalpolitikerInnen aller möglichen Parteien – landauf, landab versammeln sich Menschen, um über das geplante Abkommen zu diskutieren und Widerstand dagegen zu organisieren. Im Oktober demonstrierten in Berlin mehr als 200.000 Menschen für einen Verhandlungsstopp, mehr als 3 Millionen haben die Initiative der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben.

BefürworterInnen unterstellen den TTIP-GegnerInnen anti-amerikanische Reflexe, weil sie auf schlechte US-Standards verweisen. Doch die FreihandelskritikerInnen bestreiten das und betonen ihre enge Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten aus den USA.  Es ist eine neue transatlantische Freundschaft, die durch den gemeinsamen Protest entsteht.

Die alte und neue erhoffte Nähe der fremden Freunde ist Thema beim taz.lab. Ist die „Stop TTIP“ Bewegung in Deutschland antiamerikanisch? Was will die europäische Wirtschaft in Übersee? Und wäre es nicht viel einfacher, wenn alles bliebe, wie es ist? Oder braucht der europäisch-amerikanische Distanzabbau etwas anderes als ein Wirtschaftsabkommen? Darüber diskutieren auf dem taz.lab Matthias Machnig (SPD) und „Stop TTIP“-Aktivistin Maritta Strasser von Campact.

ANJA KRÜGER ist Wirtschaftsredakteurin der taz