Eva Menasses „Tiere für Fortgeschrittene“: Aus dem Leben anderer Monaden

Die oft unbegreifliche Spezies Mensch: In ihrem neuen Buch seziert die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse das Seelenleben.

Viele Menschen

Auch in der Menge noch Nomaden? Foto: dpa

„Raupen“, „Schafe“, „Opossum“, „Enten“ und so weiter heißen die einzelnen Erzählungen – insgesamt sind es acht – in diesem Buch, dem die Autorin den Titel „Tiere für Fortgeschrittene“ gegeben hat. Jeder Geschichte ist ein mottoähnlicher Wenigzeiler vorangestellt, in dem es um die Spezies geht, die im Titel der jeweiligen Erzählung genannt wird.

Die Erzählungen selbst handeln allerdings keineswegs von den jeweils titelgebenden Wesen, sondern immer nur von ein und demselben Tier in seinen verschiedenen phänotypischen Ausformungen: vom Homo sapiens und seinem mitunter schwer begreiflichen Verhalten.

Das Herstellen eines inhaltlichen Bezugs zwischen Motto/Titel und dem Inhalt der Erzählung ist manchmal banal, manchmal aber nur mit viel gutem Willen und unter Zuhilfenahme eines weit aufgestellten Assoziationsapparats möglich. – Man kann das natürlich so machen; aber so ganz allgemein hinterlassen die inhaltlich dann doch wenig ausgeloteten Tiermetaphern den Eindruck eines ziemlich unnötigen formalen Manierismus. Braucht ein Band mit Erzählungen denn ein geschlossenes inhaltliches Konzept? Wenn man es derart an gesträubten Nackenhaaren herbeiziehen muss, eigentlich nicht unbedingt.

Die Genauigkeit der Beobachtung allerdings ist vielleicht ein Element, das diese Erzählungen durchaus mit einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Arbeitsweise verbindet. Eva Menasse zeigt jedenfalls eindrucksvoll, dass ihr prinzipiell nichts Menschliches fremd ist. Denn so verschieden wie die titelgebenden Tiere sind auch die Menschen, aus deren Perspektiven sie erzählt. Darunter solche, deren Lebenswelten jener der Autorin vermutlich recht nah sind: wie zum Beispiel die Großstadtmutter in „Haie“, die durch die Einschulung ihrer Tochter die Bekanntschaft eines faszinierenden Mannes macht, der vielleicht, vielleicht aber auch nicht, mit der libanesischen Mafia zu tun hat.

Riesiger Kosmos von Monaden

Auch das Leben von Stipendiaten einer Künstlerkolonie (diese Erzählung heißt in schöner Ironie „Schafe“) ist vermutlich ein aus eigenem Erleben gespeister Topos. Weit entfernt von solchen Szenarien dagegen ist zum Beispiel das Leben des alten Mannes („Raupen“), der mit verbissener Hingabe seine demente Frau pflegt und sich allen Versuchen seiner pragmatischen Töchter widersetzt, die Mutter in ein Heim zu stecken. Oder das des zurückgezogenen lebenden, eigenbrötlerischen Architekten („Schlangen“), der von seiner Frau verlassen wurde und sich mit einem jungen Paar anfreundet, das nebenan eingezogen ist.

Es sind keine großen Dramen, die Menasse schildert, sondern kleine Verschiebungen im Alltag, die, gewollt oder nicht, aus irgendwelchen Gründen bedeutsam werden oder werden könnten. Jede der Personen lebt dabei in ihrer ganz eigenen Lebenslogik, gespeist von Vorstellungen, Antriebskräften und emotionalen Einstellungen, die ebenso eigen sind, man könnte auch sagen: einzigartig.

Genaue Beobachtung verbindet Menasses Erzählungen mit naturwissenschaftlich ausgerichteter Arbeitsweise

Im Grunde zeigen diese Erzählungen kleine Ausschnitte aus einem riesigen Kosmos von Monaden, von voneinander getrennten, unterschiedlich fühlenden und denkenden lebendigen Einheiten, die immer auf dieselbe Weise getrennt von den anderen existieren werden, auch wenn sie mit ihnen zusammenleben.

Eva Menasse: „Tiere für Fortgeschrittene“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 320 Seiten, 20 Euro

Es ist wohl diese grundlegende Vorstellung, dass das Eigene, Eigenartige auch immer das ist, das ein Wesen/einen Menschen von den anderen trennt, die bewirkt, dass all diese Texte mit einem seltsam undefinierten Hauch von Melancholie – man könnte es auch Traurigkeit nennen – umweht scheinen. Denn das menschliche Zusammensein ist ein fragiles Konstrukt und die menschliche Kommunikation voller leerer Botschaften, wie die demente Grete in „Raupen“ mit ihren Worthülsen vollendet vorführt: „Nicht wahr, Konrad, sagte sie, und mit den trockenen Haaren rund um das Gesicht sah sie aus wie eine verrückte weiße Sonne in einem Kinderbuch: Es geht uns doch gut? Wir haben es doch gut miteinander. Hauptsache, man ist gesund.“

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