Evangelikale Christen beraten nach Abtreibungen

Ein evangelikaler Klinikkonzern will Frauen nach einer Abtreibung eine „begleitende psychosoziale Betreuung“ anbieten. Neutral und ergebnisoffen kann diese nicht sein.

Beratung durch den Pastor: Der evangelilkale Agaplesion-Konzern lehnt Abtreibungen in seinen Kliniken ab. Foto: Jan Woitas/dpa

Wie neutral kann eine Beratung nach einer Abtreibung sein, wenn diejenigen, die sie anbieten, Schwangerschaftsabbrüche aufgrund ihres Glaubens ablehnen? Diese Frage werden sich Frauen stellen, die in der neuen Klinik im Landkreis Schaumburg eine Schwangerschaft abbrechen. Noch in diesem Herbst soll die Klinik, die aus der Fusion zweier städtischer und eines evangelischen Krankenhauses hervorgegangen ist, eröffnet werden. Der Betreiber, der evangelikale Agaplesion-Konzern, verbietet in seinen 25 Kliniken Abtreibungen. Nach Protesten aus der Bevölkerung und der Politik macht er eine Ausnahme für Schaumburg.

Allerdings sollen keine Klinikangestellten, sondern externe Ärzt*innen und Mitarbeiter*innen den Eingriff durchführen. Zudem hatte ein Konzernsprecher im Dezember angekündigt, dass Frauen eine Beratung angeboten werden soll. Wie genau das Angebot an die Frauen herangetragen werden soll, hat die taz jetzt recherchiert. Danach sollen die externen Ärzt*innen ihre Patientinnen im medizinischen Aufklärungsgespräch auf die Möglichkeit einer „begleitenden psychosozialen Betreuung“ durch Agaplesion-Angestellte hinweisen, wie es die Kliniksprecherin Nina Bernard nennt.

„Es geht hier keinesfalls darum, dass auf Frauen in irgendeiner Art Einfluss auf ihre Entscheidung genommen werden soll, sondern es ist nur für Frauen, die nach dem Eingriff Gesprächsbedarf haben“, schreibt Bernard in einer Mail an die taz.

Daran sei an sich nichts auszusetzen, sagt Maren Weidner, Ärztin und systemische Beraterin bei Pro Familia in Hamburg. Der Familienplanungsverein ist in vielen Orten Deutschlands staatlich anerkannter Träger der gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatungen vor einer Abtreibung. „Wir bieten Frauen auch an, dass sie hinterher noch einmal wiederkommen können“, sagt Weidner. Allerdings würden nur sehr wenige Frauen dieses Angebot in Anspruch nehmen.

In Paragraf 218 des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Bis heute ist eine Abtreibung daher in Deutschland eine Straftat, falls keine der in Paragraf 218a festgeschriebenen Ausnahmen greift.

Nicht rechtswidrig ist ein Schwangerschaftsabbruch, wenn Frauen innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis abtreiben, aber nur, wenn sie sich mindestens drei Tage zuvor von einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle haben beraten lassen.

Der umstrittene Kompromiss wurde 1995 verabschiedet.

Die meisten Frauen seien erleichtert, wenn sie den Abbruch hinter sich haben. „Das kann auch mit Bedauern oder Traurigkeit verbunden sein.“ Frauen, die einen starken Kinderwunsch haben, aber sich unter den Umständen, in denen sie gerade leben, nicht vorstellen können, ein Kind zu bekommen, täten sich mit der Entscheidung meistens schwerer als Frauen, die keine Kinder bekommen wollen.

Stark leiden würden nach Weidners Erfahrung die Frauen, die eine Schwangerschaft nur aus Angst vor den Reaktionen ihrer Herkunftsfamilie abbrechen. „Die dürften eigentlich gar keinen Freund haben, geschweige denn von ihm schwanger werden.“

Das Angebot von Agaplesion möchte Weidner nicht bewerten. „Dazu weiß ich zu wenig.“ Sie gibt aber zu bedenken, was eine gute Beratung ausmacht. „Sie sollte ergebnisoffen sein und an dem anknüpfen, was die Frau mitbringt.“ Das könnten auch Partnerschaftskonflikte sein, die durch die Abtreibung aufbrechen.

Und vor allem: „Die Beraterin sollte der Klientin nicht implizieren, dass sie weiß, warum es ihr schlecht geht und was sie braucht, damit es ihr wieder besser geht.“ Zudem gibt Weidner zu bedenken, dass jede Frau vor einer Abtreibung in einer Beratungsstelle war und es sich anbietet, dort wieder hinzugehen, sofern sie sich dort gut beraten gefühlt hat.

Diese von Weidner formulierten Ansprüche an eine Beratung kann Agaplesion nicht erfüllen. Wer die Beratung machen wird, ob ein Pastor oder eine Sozialarbeiterin, konnte die Kliniksprecherin am Donnerstag nicht sagen. In jedem Fall wird es jemand sein, der zumindest offiziell die ablehnende Haltung des Konzerns gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen teilt.

Abtreibungsgegner*innen suggerieren zudem, dass sehr viel mehr Frauen an den Folgen einer Abtreibung leiden, als bekannt wird. So heißt es beispielsweise auf der Seite der Stiftung „Ja zum Leben“ unter der Rubrik „Fakten“: „92,6 Prozent der befragten Frauen haben starke Schuldgefühle, über 88 Prozent leiden unter einer Depression.“ Das hätten „amerikanische Studien“ ergeben – deren Ergebnisse allerdings durch andere Untersuchungen widerlegt wurden, ebenso wie die angebliche Existenz eines „Post Abortion Syndromes“, einer psychischen Erkrankung infolge einer Abtreibung.

„Wenn eine Frau nach einem Abbruch psychisch erkrankt, dann kann dieser als einschneidendes Erlebnis der Auslöser sein, nicht aber die Ursache“, sagt Pro-Familia-Beraterin Weidner. Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Beratung müsste in einem solchen Fall deutlich mehr leisten, als der Frau nahe zu legen, Gott um Vergebung für ihr sündhaftes Verhalten zu bitten.

Uta Engelhardt, Geschäftsführerin von Pro Familia Niedersachsen, weist auf ein weiteres Problem hin. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz haben Frauen ein Recht auf „Nachbetreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch“. Und im Ausführungsgesetz des Landes Niedersachsen heißt es dazu: „Ratsuchende sollen zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung auswählen können.“

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